Dienstag, 12. Dezember 2023

3478 Die lange Nacht der Kirche

 



2:32 a.m. Ich komme gerade aus dem Bad, wo ich meine Abendtoilette erledigt habe und wenn ich die Brillen nach dem Reinigen des Gebisses vergesse abzunehmen und mich umschaue, merke ich schon, dass es höchst Zeit wäre, das Badezimmer zu putzen, weil es schon ganz schön verdreckt ist. Aber ich warte noch, bis ich mir meines Kreuzes einigermaßen sicher bin. Es schaut eh gut aus, dass sich mein Kreuz für meine Verhältnisse gut erholt hat, aber so lange ist der letzte Anfall noch nicht her. Wenn mir beim Reinigen der Badewanne wieder die Kreuzschmerzen einfahren – und ich geniere mich nicht, so weit es arbeitstechnisch geht, mich dabei hinzuknien um das Vorbeugen des Oberkörpers zu vermeiden – aber wenn die einfahren, kann ich nur mehr auf allen Vieren das Bad verlassen (gut, das ist jetzt übertrieben). Wie gesagt, es schaut gut aus: ich hocke im Bett und habe dabei keine Schmerzen. Ich werde noch ein wenig lesen.

Ich lese Romano Guardini, „Das Ende der Neuzeit“, 1950 erschienen. Ich habe schon Jahrzehnte keinen Guardini mehr gelesen und habe nur zum Buch gegriffen, um ein Zitat zu suchen. Trotz allem packt mich der Guardini doch wieder: seine nüchternen und gewissenhaften Analysen, sein gründliches Durchdenken der behandelten Materie, seine Sprache. Im Grunde – so kommt mir jetzt vor – bin ich doch ein gläubiges, katholisches Kind – ich meine nicht wie die familiär dort Hingetretenen – sondern weil mich – wie damals – irgendetwas davon auf einer tiefen Ebene berührt und ergriffen hat. Und gerade der Guardini ist ja wirklich nicht ohne (zum Beispiel hier: schon damals sehr luzide das baldige Ende der Neuzeit konstatierend) und im Moment empfinde ich doch, dass es schade ist, nicht rechtzeitig in dieses Denken hineingewachsen zu sein, was immer ich dann damit gemacht hätte. Es hätte mir eine gute Basis und eine gute Orientierung gegeben, mein Leben groß anzusetzen, es besonnen zu ordnen, die Verantwortung dafür zu übernehmen und es hätte mich wohl auch vor dem Zynismus speziell der verdorbenen Kriegsgeneration geschützt. Ja, jetzt in der Nacht um diese späte Zeit (2:50 a.m.), wo fast alle schlafen und ihre lauten und destruktiv lebenstüchtigen Bewußtseine ganz wo anders sind und nicht ihre dumpfen Selbstverständlichkeiten in diese nächtliche Welt hineinstrahlen, traue ich mich sogar herschreiben, dass ich damals „zur Heiligkeit berufen“ war (die Versuchung ist jetzt riesengroß, mit irgendeinem Witz die ungeheure Spannung, die diesen Satz herzuschreiben in mir auslöst, abzuleiten. Aber ich widerstehe ihr um meiner letzten Würde willen; ich möchte mich jetzt nicht zum Dodel machen, weil die Welt möglicherweise eine solche Ansage nicht erträgt). Damals als Kind wäre ich zu einem solchen Weg bereit gewesen; wie fragwürdig meine Motive und meine Gemengelage auch gewesen sein mögen (Jetzt ist es zu spät. Ich bin alt und könnte das Ganze nicht mehr so unschuldig und naiv annehmen).

Ja gut! Lassen wir das! Es ist spät und ich will noch ein wenig lesen.

Aber es hat mich sehr aufgewühlt. Jetzt ist es 4:26 a.m. und ich konnte noch nicht einschlafen. Das macht aber gar nichts! Ich mache mir wegen einer schlaflosen Nacht überhaupt keine Sorgen.

Ich bin noch lange wach gelegen.


(12.12.2023)


Peter Alois Rumpf Dezember 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

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