Freitag, 1. Dezember 2023

3475 Schmerzliche Erkenntnisse

 



Ich frage mich oft, warum ich so weltfremd bin, und auch mir fällt als Antwort gleich ein: weil ich im Aufwachsen nicht genügend Welterklärung bekommen habe. Aber das stimmt höchstens oberflächlich, wie mir aktuell an meinem weltfremden Umgang mit meinen Kreuzschmerzen aufgegangen ist.

Vorige Woche hatte ich einen heftigen Anfall von Kreuzschmerzen, so dass ich mich nur mehr mit Abstützen und mit Hilfe eines Stockes aus der Sitzposition erheben konnte und selbst einfaches Gehen nur voller Schmerzen und in Zeitlupe möglich war. Da mir das Schmerzmittel, das ich sehr sparsam eingesetzt hatte (10 Tabletten, November 2020 gekauft), ausgegangen war, schrieb ich per E-mail an meine Hausarztpraxisgemeinschaft – früher wäre ich einfach hingegangen, aber jetzt geht es nur mehr nach Voranmeldung – und bat um ein Rezept für ein Schmerzmittel. Einer der Ärzte dort hat dann angerufen und das Rezept freigegeben und mir empfohlen, das Medikament 5 Tage je 2 Tabletten einzunehmen. So weit so gut. Noch dazu, wo die Schmerzen fast zur Gänze verschwunden gewesen sind. Am Telephon hatte der Arzt noch gesagt: ich solle, wenn nach den fünf Tagen Symptome wie Taubheitsgefühle in den Beinen auftreten, gleich ins Spital gehen.

Gestern sind die Schmerzen in alter Heftigkeit zurückgekommen und seid dem bin ich voll in meiner typischen Weltfremdheitsproblematik und grüble herum, was ich tun soll: Ins Spital? Wie (ich war noch nie als Patient in einem Spital)? Einfach hingehen? Habe ich nicht gehört, dass man so nicht aufgenommen wird? Doch zum Hausarzt? Was hat der Arzt am Telephon genau gesagt (Schmerzen machen dumm und verringern die Aufnahmefähigkeit von Informationen)? Nur bei Taubheitsgefühlen ins Spital oder überhaupt bei Schmerzen? Wie komme ich ins Spital? Muß ich vorher einen Notarzt rufen und der weist mich ein? Oder rufe ich einfach eine Rettung (das so zu tun, damit hatte ich vor Jahren bei meinem Neffen ganz schlechte Erfahrungen (Arbeitersamariterbund))? Oder gehe ich einfach zu den Barmherzigen Brüdern? Wäre ich dort richtig? Diese ganze Grüblerei nicht ohne mich innerlich zu beschimpfen, dass ich so weltfremd bin und so überhaupt keine Ahnung von den Abläufen da draußen habe. Aber genauer betrachtet liegt der zentrale Punkt woanders: nicht draußen, sondern in mir: ich weiß unmittelbar von mir und meinen Empfindungen zu wenig; ich wohne nicht richtig in meinem Körper und spüre und verstehe seine Impulse zu wenig: da liegt die Wurzel meiner Unsicherheit: mein Körper gehört nicht mir; er ist teilweise fremdbesetzt. Damit sind auch meine eigenen Erfahrungen schlecht abgespeichert und mir nur teilweise zugänglich. So kann ich auch nicht zu einem Arzt gehen und klar sagen, was los ist, weil ich mir der Wahrnehmung meiner inneren (körperlichen und seelischen) Impulse nicht sicher bin, sondern permanent alles in frage stelle: ist das, was ich da empfinde, wirklich ein heftiger Schmerz, oder bin ich Hypochonder und übertreibe? (Hat nicht die Reaktion des Arztes damals vor Jahren so ausgeschaut, als hielte er mich für einen Hypochonder?) Steht es mir überhaupt zu, wegen Kreuzschmerzen den ganzen Apparat zu belästigen? Notarzt? Den ruft man doch nur in Todesgefahr, wenn man mit einer Schusswunde daliegt oder bei einem Herzinfarkt; aber wegen Kreuzweh? Was würden Menschen in Kriegsgebieten dazu sagen, wenn ich wegen Kreuzschmerzen Notärzte und Rettungen blockiere (ja, ja, die Söhne der Väter der Kriegsgeneration: du brauchst dich mit deinen Wehwehchen gleich gar nicht melden!)? Etcetera, etcetere, etcetera. (Und jetzt beim Eintippen bin ich nahezu schmerzfrei. Also: viel Wind um nichts?)


(1.12.2023)


Peter Alois Rumpf Dezember 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]

<< Startseite