2644 Zwei Vorläufer
(Den folgenden Text habe ich als Auftragsarbeit für ein Buch
über die Wiener Künstlergruppe REM, das gerade in Arbeit ist, geschrieben.)
Vor der Gründung der Wiener Künstlergruppe REM hat es schon
Kooperationen gegeben, an denen spätere Remisten maßgeblich beteiligt waren.
Ich werde zwei solche Rem-Vorläufer-Aktivitäten schildern, die in den frühen
Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts stattgefunden haben. Ich muß mich aber
gleich entschuldigen, dass ich mich besonders an all die Personen, die
mitgewirkt haben, nicht mehr genau erinnern kann. Das betrifft auch spätere
Remisten. Ich bitte um Entschuldigung! Es waren bei beiden Aktionen jeweils
zirka 30 Personen (ohne Gewähr) beteiligt, Leute aus den Freundes- und
Künstlerkreisen der Protagonisten, von der Angewandten, vom Schillerplatz und
aus der legendären, tirolerisch dominierten KünstlerWeGe am Fleischmarkt. Ich
selbst war bei beiden Aktionen dabei. Ich bezeichne diese als „Vorläufer“, und
möglicherweise haben sie die Lust, öfters gemeinsame Sache zu machen,
gefördert.
Die erste Aktion haben sich – so wurde es mir erzählt –
Hannes Priesch und ManfreDu Schu ausgedacht, als sie mit Notburga-Corona Bless
und einer Freundin in vorösterlicher Zeit am Lande in Oberösterreich auf einem
Bauernhof privat zu Gast waren und erstaunt registrierten, wie die gesamte
Familie superfleißig bis fanatisch dem Osterputz frönte. Sie selbst frönten
mehr dem Reden, Diskutieren, Zeichnen, Kritzeln und Konzipieren und nach einer
gewissen Zeit meinten sie, es wäre angebracht, der Gastgeberfamilie die
Mithilfe anzubieten. Das Angebot wurde angenommen und die beiden Herren wurden
eingeteilt, den Gehsteig vorm Haus aufzuwaschen, ja richtig mit Kübel und
Fetzen aufzuwaschen. Die beiden fanden dies – wie ich es auch fände – leicht
absurd und zum Lachen. Während sie also den Gehsteig wuschen entstand die Idee,
so etwas in Wien in größerem Maßstab als absurde Aktion zu veranstalten.
An den Vorbereitungen für diese Aktion waren dann Hannes
Priesch, Brigitte Pokornik und ich maßgeblich beteiligt. Unser Konzept war:
eine große Gruppe von Personen wäscht und reinigt einen Platz in Wien. Ganz
wichtig: wir erklären nichts, reden nichts, es gibt dazu weder Plakate noch
Begleitschriften, Programme oder irgendetwas der Art, auf Reaktionen von
Passanten reagieren wir nicht – die sollen ins Leere laufen. Es sollte mit
unserer Tätigkeit etwas Unerklärtes und Unerklärliches ablaufen, das nicht
gleich eingeordnet werden kann. Damit uns die Verweigerung der Kommunikation
leichter fällt, beschlossen wir, als Verfremdungseffekt bei der Aktion Masken
zu tragen. Im Tiefziehverfahren stellten wir auf einem selbst hergestellten
Tonmodell (war Brigittes Kopf das Modell?) aus durchsichtiger Plastikfolie
Masken her, die wir leicht mit hellen Farben besprühten, um das Gesicht schon
ein wenig, aber nicht völlig zu verdecken und unkenntlich zu machen.
Ich – tendenziell überkorrekt und überbürokratisch – habe
darauf bestanden, diese Aktion ordnungsgemäß bei den Behörden anzumelden, mit
dem an sich richtigen Argument, dass sonst die Aktion - unangemeldet - gleich wieder abgebrochen
werden könnte. Diese Aufgabe haben Hannes Priesch und ich übernommen und diese
Anmeldung hat sich als eine Aktion für sich herausgestellt: wenn ich mich
richtig erinnere, haben wir bei 16 verschiedenen Behörden, Ämtern und
Abteilungen vorgesprochen. Die Aktion war ja nicht wirklich einzuordnen: keine
politische Demonstration, kein Straßentheater usw. Zuerst bei der Polizei an
einem Freitagnachmittag, wo die Wichtigen schon alle im Wochenende waren, der
uniformierte, die Stellung haltende Beamte („des is jo amoi a saubere Aktion!“)
verwies uns zur Genehmigung auf den Montag. Am Montag – wie vorhergesehen –
waren wir bei der Staatspolizei gelandet, der Beamte in Zivil vermutete eine
versteckte politische Demo und wollte uns die hintergründigen Absichten nicht
ungeschickt herauskitzeln. Wir versichertem ihm wahrheitsgemäß: keine Plakate,
keine Texte, keine Reden – nur waschen und putzen. Die Reihenfolge der weiteren
Behördengänge – wir wurden zum Teil wörtlich im Kreis geschickt – kann ich
nicht mehr exakt rekonstruieren: Bundesbehörden, Stadt Wien (Theater, MA xy …),
Bezirk, und - weil wir uns für die Aktion den Platz vor der Mariahilferkirche
ausgesucht hatten – hatten auch Kirche und Pfarre ein Wort mitzureden.
Erschwerend kam hinzu, dass wir mit unserem Timing in die Wahlkampfzeit einer
Gemeinderatswahl geraten sind, was wir nicht angepeilt hatten und lieber
vermieden hätten, weil es uns nur um eine absurde Aktion ging. Aber die
Vorbereitungen liefen schon auf Hochtouren und irgendwann bekamen wir das
behördliche Placet (bei der Aktion selbst waren dann Vertreter der
Staatspolizei, der Gemeinde, des Bezirkes und der Kirche als Beobachter
anwesend).
Als nächsten Schritt nach dem Placet haben wir dann über
Schillerplatz, Angewandte, FleischmarktWeGe und Freundeskreise so zirka 30
Leute zusammengetrommelt, die mit Besen, Staubsauger, Kübeln, Putzfetzen und Putzschwämmchen,
Bürsten (von groß bis Zahn-) angekommen sind. Eine Bassena für das Wasser in
einem unversperrten Hauseingang hatten wir schon vorher ausgekundschaftet und
ebenso einen Stromanschluss für den Staubsauger. Alle Teilnehmer haben eine
Maske bekommen, und zum vereinbarten Zeitpunkt starteten wir mit der Reinigung.
Wir kehrten, putzten, wuschen den Platz, großflächig und detailverliebt auch
die Fugen zwischen den einzelnen Randsteinen. Wir hatten uns ausgemacht, ruhig
und konzentriert und wie ganz ernsthaft unsere Arbeit zu machen, und möglichst
nicht auf Anfragen, Reaktionen der Passanten zu achten, Fragen zu ignorieren
und nicht zu beantworten. Aber zwei Reaktionen sind mir dennoch in Erinnerung
geblieben: Ein vorbei-fahrender Taxifahrer hielt an, sprang wutentbrannt aus
seinem Auto – aus welchen Motiven auch immer -
und schrie uns an: „Was macht ihr da für einen Blödsinn! Wer bezahlt
euch! Wer hat euch das angeschafft!“
Eine zweite Reaktion war mir auch unangenehm: eine Frau
meinte – es war ja Wahlkampfzeit: „Ah, das ist eine Aktion der FPÖ!“ - auch
hier weiß ich nicht recht, ob in Zustimmung oder Ablehnung. Dass diese
Assoziation zu den von den Nazis zum Straßenwaschen gezwungenen jüdischen
Mitbürgern aufgekommen ist, war wohl unvermeidlich und ist verständlich, aber
von uns nicht intendiert. Uns ging es nur darum, die von uns als absurd
empfundene österliche nasse Gehsteigreinigung in Oberösterreich zu übertreiben
und ins Groteske zu überhöhen. Und wir hatten durchaus unseren Spaß dabei.
Die zweite Aktion hatte ich mir ausgedacht. Damals
beschäftigte mich sehr die Frage, wie wir die Wirklichkeit wahrnehmen und wie
sehr wir über unsere Erwartungen und Vor-und Nach-Interpretationen unsere
Wahrnehmung beeinflussen. Was passiert, wenn unsere Sinne etwas wahrnehmen, das
wir nicht einordnen können und für das wir keinen Namen, keine Erklärung, keine
vorbereitete Kategorie, keine Raison haben? Nehmen wir es dann überhaupt wahr
oder verleugnen wir es? Die Ausarbeitung der grundlegenden Idee zu einer Aktion
und deren Vorbereitung haben wieder vornehmlich Hannes Priesch und ich gemacht.
Der Plan war: eine möglichst große Gruppe von Menschen geht auf den
Stephansplatz; nicht als geschlossene Gruppe, sondern einzeln, als Paare, in
kleinen Gruppen. Sie verhalten sich ganz normal wie die Passanten und Touristen
dort: sie schauen herum, reden, … ganz
unauffällig über den ganzen Platz verstreut und ohne den gemeinsamen
Zusammenhang zu zeigen. Zu einem genau vereinbarten Zeitpunkt legen sich alle
Beteiligten am Boden auf den Bauch, zählen langsam 21, 22, 23, stehen wieder
auf und machen genau dort weiter, wo sie unterbrochen haben, als wäre nichts
gewesen: sie plaudern, gehen herum, schauen den Dom an etc. Da es Sommer war,
waren viele Passanten unterwegs und in den Straßencafés viele Gäste. Die
Vorstellung war, bei den zufälligen BeobachterInnen der Szene etwas auszulösen,
das sie nicht einordnen können.
Wieder haben wir unsere Kontakte zur Angewandten, zum
Schillerplatz, im Freundeskreis und zur
KünstlerWeGe am Fleischmarkt (wo sich jetzt das buddhistische Zentrum
befindet) spielen lassen und wieder so um die 30 Personen mobilisiert.
Treffpunkt war die WeGe, wir haben dort nochmals allen unseren Plan erläutert,
den genauen Zeitpunkt festgelegt, den wir alle von einer bestimmten Uhr am
Stephansdom ablesen sollten, wenn nämlich – klack! - die Ziffer x auf y
umspringt. Andy Chicken von der WeGe hat sich bereit erklärt, die Aktion zu
filmen und wir haben es gemacht, wie besprochen: klack! Hinlegen, zählen,
aufstehen, weitermachen. Und dann?
Und dann haben wir selbst nicht gewußt, ob da etwas war. Hat
irgendjemand am Platz die Aktion bemerkt? War irgendwer, wenn auch nur kurz,
irritiert? Unsere Anzahl dürfte für den riesigen Platz zu klein gewesen sein,
um aufzufallen. Auch der Film zeigte das und so wissen wir bis heute nicht, ob
unsere Aktion irgendetwas ausgelöst hat, eine kleine Verwunderung zum Beispiel.
Irritation und Ratlosigkeit sind auf uns selbst gekommen. Auch kein schlechtes
Ergebnis! Oder?
(2.4.2022)
©Peter Alois Rumpf April 2022
peteraloisrumpf@gmail.com
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