Samstag, 2. April 2022

2644 Zwei Vorläufer

 

(Den folgenden Text habe ich als Auftragsarbeit für ein Buch über die Wiener Künstlergruppe REM, das gerade in Arbeit ist, geschrieben.)

 

Vor der Gründung der Wiener Künstlergruppe REM hat es schon Kooperationen gegeben, an denen spätere Remisten maßgeblich beteiligt waren. Ich werde zwei solche Rem-Vorläufer-Aktivitäten schildern, die in den frühen Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts stattgefunden haben. Ich muß mich aber gleich entschuldigen, dass ich mich besonders an all die Personen, die mitgewirkt haben, nicht mehr genau erinnern kann. Das betrifft auch spätere Remisten. Ich bitte um Entschuldigung! Es waren bei beiden Aktionen jeweils zirka 30 Personen (ohne Gewähr) beteiligt, Leute aus den Freundes- und Künstlerkreisen der Protagonisten, von der Angewandten, vom Schillerplatz und aus der legendären, tirolerisch dominierten KünstlerWeGe am Fleischmarkt. Ich selbst war bei beiden Aktionen dabei. Ich bezeichne diese als „Vorläufer“, und möglicherweise haben sie die Lust, öfters gemeinsame Sache zu machen, gefördert.

 

Die erste Aktion haben sich – so wurde es mir erzählt – Hannes Priesch und ManfreDu Schu ausgedacht, als sie mit Notburga-Corona Bless und einer Freundin in vorösterlicher Zeit am Lande in Oberösterreich auf einem Bauernhof privat zu Gast waren und erstaunt registrierten, wie die gesamte Familie superfleißig bis fanatisch dem Osterputz frönte. Sie selbst frönten mehr dem Reden, Diskutieren, Zeichnen, Kritzeln und Konzipieren und nach einer gewissen Zeit meinten sie, es wäre angebracht, der Gastgeberfamilie die Mithilfe anzubieten. Das Angebot wurde angenommen und die beiden Herren wurden eingeteilt, den Gehsteig vorm Haus aufzuwaschen, ja richtig mit Kübel und Fetzen aufzuwaschen. Die beiden fanden dies – wie ich es auch fände – leicht absurd und zum Lachen. Während sie also den Gehsteig wuschen entstand die Idee, so etwas in Wien in größerem Maßstab als absurde Aktion zu veranstalten.

An den Vorbereitungen für diese Aktion waren dann Hannes Priesch, Brigitte Pokornik und ich maßgeblich beteiligt. Unser Konzept war: eine große Gruppe von Personen wäscht und reinigt einen Platz in Wien. Ganz wichtig: wir erklären nichts, reden nichts, es gibt dazu weder Plakate noch Begleitschriften, Programme oder irgendetwas der Art, auf Reaktionen von Passanten reagieren wir nicht – die sollen ins Leere laufen. Es sollte mit unserer Tätigkeit etwas Unerklärtes und Unerklärliches ablaufen, das nicht gleich eingeordnet werden kann. Damit uns die Verweigerung der Kommunikation leichter fällt, beschlossen wir, als Verfremdungseffekt bei der Aktion Masken zu tragen. Im Tiefziehverfahren stellten wir auf einem selbst hergestellten Tonmodell (war Brigittes Kopf das Modell?) aus durchsichtiger Plastikfolie Masken her, die wir leicht mit hellen Farben besprühten, um das Gesicht schon ein wenig, aber nicht völlig zu verdecken und unkenntlich zu machen.

Ich – tendenziell überkorrekt und überbürokratisch – habe darauf bestanden, diese Aktion ordnungsgemäß bei den Behörden anzumelden, mit dem an sich richtigen Argument, dass sonst die Aktion - unangemeldet - gleich wieder abgebrochen werden könnte. Diese Aufgabe haben Hannes Priesch und ich übernommen und diese Anmeldung hat sich als eine Aktion für sich herausgestellt: wenn ich mich richtig erinnere, haben wir bei 16 verschiedenen Behörden, Ämtern und Abteilungen vorgesprochen. Die Aktion war ja nicht wirklich einzuordnen: keine politische Demonstration, kein Straßentheater usw. Zuerst bei der Polizei an einem Freitagnachmittag, wo die Wichtigen schon alle im Wochenende waren, der uniformierte, die Stellung haltende Beamte („des is jo amoi a saubere Aktion!“) verwies uns zur Genehmigung auf den Montag. Am Montag – wie vorhergesehen – waren wir bei der Staatspolizei gelandet, der Beamte in Zivil vermutete eine versteckte politische Demo und wollte uns die hintergründigen Absichten nicht ungeschickt herauskitzeln. Wir versichertem ihm wahrheitsgemäß: keine Plakate, keine Texte, keine Reden – nur waschen und putzen. Die Reihenfolge der weiteren Behördengänge – wir wurden zum Teil wörtlich im Kreis geschickt – kann ich nicht mehr exakt rekonstruieren: Bundesbehörden, Stadt Wien (Theater, MA xy …), Bezirk, und - weil wir uns für die Aktion den Platz vor der Mariahilferkirche ausgesucht hatten – hatten auch Kirche und Pfarre ein Wort mitzureden. Erschwerend kam hinzu, dass wir mit unserem Timing in die Wahlkampfzeit einer Gemeinderatswahl geraten sind, was wir nicht angepeilt hatten und lieber vermieden hätten, weil es uns nur um eine absurde Aktion ging. Aber die Vorbereitungen liefen schon auf Hochtouren und irgendwann bekamen wir das behördliche Placet (bei der Aktion selbst waren dann Vertreter der Staatspolizei, der Gemeinde, des Bezirkes und der Kirche als Beobachter anwesend).

Als nächsten Schritt nach dem Placet haben wir dann über Schillerplatz, Angewandte, FleischmarktWeGe und Freundeskreise so zirka 30 Leute zusammengetrommelt, die mit Besen, Staubsauger, Kübeln, Putzfetzen und Putzschwämmchen, Bürsten (von groß bis Zahn-) angekommen sind. Eine Bassena für das Wasser in einem unversperrten Hauseingang hatten wir schon vorher ausgekundschaftet und ebenso einen Stromanschluss für den Staubsauger. Alle Teilnehmer haben eine Maske bekommen, und zum vereinbarten Zeitpunkt starteten wir mit der Reinigung. Wir kehrten, putzten, wuschen den Platz, großflächig und detailverliebt auch die Fugen zwischen den einzelnen Randsteinen. Wir hatten uns ausgemacht, ruhig und konzentriert und wie ganz ernsthaft unsere Arbeit zu machen, und möglichst nicht auf Anfragen, Reaktionen der Passanten zu achten, Fragen zu ignorieren und nicht zu beantworten. Aber zwei Reaktionen sind mir dennoch in Erinnerung geblieben: Ein vorbei-fahrender Taxifahrer hielt an, sprang wutentbrannt aus seinem Auto – aus welchen Motiven auch immer -  und schrie uns an: „Was macht ihr da für einen Blödsinn! Wer bezahlt euch! Wer hat euch das angeschafft!“

Eine zweite Reaktion war mir auch unangenehm: eine Frau meinte – es war ja Wahlkampfzeit: „Ah, das ist eine Aktion der FPÖ!“ - auch hier weiß ich nicht recht, ob in Zustimmung oder Ablehnung. Dass diese Assoziation zu den von den Nazis zum Straßenwaschen gezwungenen jüdischen Mitbürgern aufgekommen ist, war wohl unvermeidlich und ist verständlich, aber von uns nicht intendiert. Uns ging es nur darum, die von uns als absurd empfundene österliche nasse Gehsteigreinigung in Oberösterreich zu übertreiben und ins Groteske zu überhöhen. Und wir hatten durchaus unseren Spaß dabei.

 

Die zweite Aktion hatte ich mir ausgedacht. Damals beschäftigte mich sehr die Frage, wie wir die Wirklichkeit wahrnehmen und wie sehr wir über unsere Erwartungen und Vor-und Nach-Interpretationen unsere Wahrnehmung beeinflussen. Was passiert, wenn unsere Sinne etwas wahrnehmen, das wir nicht einordnen können und für das wir keinen Namen, keine Erklärung, keine vorbereitete Kategorie, keine Raison haben? Nehmen wir es dann überhaupt wahr oder verleugnen wir es? Die Ausarbeitung der grundlegenden Idee zu einer Aktion und deren Vorbereitung haben wieder vornehmlich Hannes Priesch und ich gemacht. Der Plan war: eine möglichst große Gruppe von Menschen geht auf den Stephansplatz; nicht als geschlossene Gruppe, sondern einzeln, als Paare, in kleinen Gruppen. Sie verhalten sich ganz normal wie die Passanten und Touristen dort: sie schauen herum, reden, …  ganz unauffällig über den ganzen Platz verstreut und ohne den gemeinsamen Zusammenhang zu zeigen. Zu einem genau vereinbarten Zeitpunkt legen sich alle Beteiligten am Boden auf den Bauch, zählen langsam 21, 22, 23, stehen wieder auf und machen genau dort weiter, wo sie unterbrochen haben, als wäre nichts gewesen: sie plaudern, gehen herum, schauen den Dom an etc. Da es Sommer war, waren viele Passanten unterwegs und in den Straßencafés viele Gäste. Die Vorstellung war, bei den zufälligen BeobachterInnen der Szene etwas auszulösen, das sie nicht einordnen können.

Wieder haben wir unsere Kontakte zur Angewandten, zum Schillerplatz, im Freundeskreis und zur  KünstlerWeGe am Fleischmarkt (wo sich jetzt das buddhistische Zentrum befindet) spielen lassen und wieder so um die 30 Personen mobilisiert. Treffpunkt war die WeGe, wir haben dort nochmals allen unseren Plan erläutert, den genauen Zeitpunkt festgelegt, den wir alle von einer bestimmten Uhr am Stephansdom ablesen sollten, wenn nämlich – klack! - die Ziffer x auf y umspringt. Andy Chicken von der WeGe hat sich bereit erklärt, die Aktion zu filmen und wir haben es gemacht, wie besprochen: klack! Hinlegen, zählen, aufstehen, weitermachen. Und dann?

Und dann haben wir selbst nicht gewußt, ob da etwas war. Hat irgendjemand am Platz die Aktion bemerkt? War irgendwer, wenn auch nur kurz, irritiert? Unsere Anzahl dürfte für den riesigen Platz zu klein gewesen sein, um aufzufallen. Auch der Film zeigte das und so wissen wir bis heute nicht, ob unsere Aktion irgendetwas ausgelöst hat, eine kleine Verwunderung zum Beispiel. Irritation und Ratlosigkeit sind auf uns selbst gekommen. Auch kein schlechtes Ergebnis! Oder?

 

(2.4.2022)

©Peter Alois Rumpf  April 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

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