2586 Der Hut der Schweizerin
In Mali Lošinj türmt sich die Hafenstraße wie von einem
stillen Erdbeben angetaucht übereinander. Je länger ich hinschaue, desto
schwächer wird die Kraft der Plattentektonik. Bei Rettenschoess liegen die
Felder und Wiesen flach; nichts ungewöhnliches, aber es fällt mir heute auf. In
Veli Lošinj schwimmt auf der weißen, kosmischen Lava irgend ein dunkles,
schwarzes Trumm daher. Die Katze mit ihrem – vermutlich – Zärtlichkeitswahn
läßt mich kaum schreiben. 13:07 ist es und ich bin vorhin erst aufgewacht.
Meine frankophone Schweizerin ist seit langem wieder einmal sehr deutlich
geworden; Gottseidank nicht ihr depperter Hut, den ihr der Maler verpasst hat.
Inzwischen bin ich aufgestanden gewesen und habe mich
rasiert, und mit meinem neuen Gesicht die Bücherwand betrachtet stelle ich fest: die tektonische Stauchung in
Mali Lošinj ist noch schwächer geworden und der schwarze Klotz in Veli Lošinj
gräulicher, weicher. Rettenschoess und Schweizerin bleiben vorerst unverändert.
Nein! In Rettenschoess tritt rechts oben im Bild ein auflösender Nebel ein. Und
der Hut der Schweizerin ist zu einem krallenförmigen Ding mutiert, ein
Riesending, das nach dem Kopf der armen Frau greift. Fast könnte es ein Volador
sein, der ihr Bewußtsein frißt. Tatsächlich meine ich etwas wie einen Hilferuf
aus ihrer leicht vorgebeugten Haltung und in ihrem Gesicht ablesen zu können.
Mali Lošinj ist plötzlich viel klarer und lichter, wie nach einem befreienden
Schub, der durch das Bild gelaufen ist.
Ich selber bewege mich kaum und lauere, was da erscheinen
will.
(10.2.2022)
©Peter Alois Rumpf Februar 2022
peteraloisrumpf@gmail.com
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