Freitag, 26. März 2021

2175 Wieder Albertina

 

Vor einem meiner Lieblingsbilder, dem „blauen Zimmer“ von Ed. Vuillard. Dann muß ich mich setzen und gehe zur nächstgelegenen Bank im Nachbarraum und blicke aus der Ferne hin. Die graue Tür erscheint mir heute beinah als ein bewußtes Wesen. Die möglicherweise undinenhafte Frau auf dem Bild ist es gar nicht so sehr, die als solche meine Aufmerksamkeit auf sich zieht und mich jedes Mal anlockt (da gefällt mir beim „Rückenakt unter Bäumen“ von H. Manguin daneben der prächtige Weiberarsch der da im Garten liegenden Frau viel mehr, wobei sich der Garten schon in Farbflecken auflöst), sondern die Malerei. Die Malerei ist es, die Farben, der Pinselauftrag, die Strichführung, die Bildaufteilung, der Raum und die eingehüllte Frauengestalt.

Marianne von Werefkin, ihre zwei Bilder könnte ich lange anschauen, und mich in sie hineinfallen lassen, in den nächtlichen Winterwald, starr gefroren, nur ein Tier - ein einsamer Wolf? - schleicht scheu durch die eisige Stille und wirft einen wunderbaren Schatten, der aus der Nähe betrachtet zeigt, dass er lebt. Oder in das Bild mit der nächtlichen Bar - Asyl für die einsamen Männer, die im Sturm – herbstlich vermutlich – der sich über die Hütte wölbt, alle ihre Köpfe einziehen – und mich vom Licht, das von innen durch die Fenster nach draußen fällt, verführen und verwirren lassen. Alles andere in diesem Raum lasse ich links und rechts liegen.

Munchs Winterlandschaft – wohl die Jahreszeit um meinen Geburtstag herum – so schätze ich – Ende Februar, der Winter schwächelt schon, aber der Frühling ist noch weit. Es könnte einem übel werden so im jahreszeitlichen Niemandsland (es heißt nur noch Winter). Es ist feucht und kalt, unangenehm, die körperlichen und seelischen Ressourcen sind schon fast aufgebraucht, die neuen kommen noch nicht. Krankheit und Erschöpfungszeit.

Meine zwei Lieblingsbilder sind verrückt. Ganz nach rechts. Dresden hängt überhaupt ganz in der rechten Ecke und London links daneben. Die Bank steht nun weit links davon. Gut, jetzt habe ich einen anderen Kokoschka direkt vor mir und zwei Böckls links, einer neu, ein lieber Akt. London schwebt für mich immer noch in den Himmel und in Dresden steht immer noch „die Elbe so still und die Stadt fließt so träge vorbei“ (Wolf Biermann). Vernet-les-Bains, der Blick in einen massiven Garten, nur in der Ferne wird alles etwas leichter.

Jetzt raste ich wieder vor meinem Spiegelbild neben dem depperten Kardinal, der wiederum völlig unverdient von so schönen Klees und Kandinskys begleitet wird. Mein Bauch wölbt sich vor (drei auswölbende Frauen gehen durch diesen schmalen Gang an mir vorbei und ich senke meinen Blick mit Verzögerung). Also ich bin ganz schön fett! Aber ich will mir jetzt die kleinen schlanken Klees anschauen. Weil gerade ein russisches (oder russländisches) Paar die Klees betrachtet, starre ich halt auf meine monströse Wampe gegenüber im Spiegel, die mir immer unangenehmer wird. Jetzt sind die Klees zugänglich: ich finde den Klee oft richtig lustig; vielleicht jedoch neige ich dazu, alles in meine humoristische Resignation oder in meinen resignativen Pseudohumor zu ziehn, unberechtigt.

Oh! Meine zwei Marie-Louise-von-Motesiczkys! Der „Kröpfelweg“ und „der Arbeiter“. (Da lasse ich sogar die Thönys links liegen.) Auch die gehören zu meinen Ikonen. Transportieren echte Transzendenz! Freilich clandestin, verborgen und ohne Geschrei und Propaganda. Und was in den Ikonen erstarrtes Gold ist, ist hier lebendiges Weiß.

Übrigens: es sind sehr wenige Besucher Innen in der Albertina; sehr erholsam!

Vorm Chagall ertönt ein leises Summen wie von einem fernen, monotonen Ohm-Chor. Die Kuh liegt auf der blauen Wiese und ich weide meine Augen in diesem unglaublichen Blau. Alle anderen Bilder lasse ich unbeachtet. Ich habe schon einen Hang zum Monotheismus; zumindest aber für jeden Raum hier einen eigenen, und zumindest zeitweise.

Beim Picasso wird das Summen viel lauter, darum setze ich mich hin. Aber die Picassos sagen mir gar nichts mehr. Das wundert mich: in meinem Pariser Exil bin ich mindestens zweimal die Woche andächtig und ergriffen in seine Villa im Stadtteil Marais gepilgert.

Kein Sitzen mehr vor den tollen Giacomettis. Kurz bleibe ich stehen, aber mein Kreuz will nicht mehr mitmachen.

(26.3.2021)

©Peter Alois Rumpf   März 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

 

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