1793 Sechs Stationen
Ich sitze vor meinen drei Grazien (Trio 4) und lasse mich
von ihrem Leuchten infiltrieren. Es dauert bei mir immer zwei, drei Sekunden,
bis das Bild „aufgeht“ und zu wirken beginnt. Das ist heute meine erste
albertinische Station.
Wie fast immer, wenn ich in die Welt hinaus auf Ȃventiure gehe, hänge ich meine
Amulette um: irgendsowas mit Kupferdraht, das irgendwelche Strahlungen abhalten
soll – wer's glaubt, wird selig, wer's nicht glaubt vielleicht auch – mir ist
es wurscht: ich habe es als Schmuckstück gekauft, das ich als Amulett verwende.
Am zweiten Faden hängen drei Stücke: eine Blechmadonna ohne Kind (geweiht oder
nicht? Who knows?) alias Aphrodite alias Ischtar etceterae; ein Holzkreuz
(Holz! Nicht Hohl-), angeblich aus einem Ölbaum aus Bethlehem, wie es Firmlinge
so zwei Jahre nch der Firmung zur Wiedereinholung von unserem Kardinal
Christoph von Schönborn (steht im Brief! Aber eh ohne von) per Post zugeschickt
und geschenkt bekommen – ich habe es meiner Tochter weggenommen, weil sie es
eher entsorgt hätte. Mir ist es wurscht: das Kreuz als Symbol ist älter als der
Kardinal und das Christentum, horizontal, vertikal, diachron, synchron, Himmel
und Erde und Hölle („hinabgestiegen in die Hölle“) - der vertikale Balken geht
ja auch hinunter. Außerdem haben sie das Kreuz (Saturn) leicht aufgewellt
(Neptun) so in Richtung τ (Tau) und Taube
(Uranus-Venus) – soll mir auch recht sein: der Geist weht, wo er
will und der Krieger nutzt die Requisiten, die ihm die Bühne seines Lebens,
seiner Zeit und seiner Kultur bietet. Und einen mexikanischen Schmuckstein, auf
dem ein Psilocybe-Relief eingraviert ist – diese Pilze sollen bei Depressionen
sehr heilsam sein, aber ich tumber Tor habe natürlich keine Ahnung wo und
keinen Mut und unsere Heilmittelwirtschaft ist in den Klauen der
Pharmaindustrie.
Das sind meine Amulette. Dazu am linken Handgelenk eine
scheußliche als Uhr fast unbrauchbare Uhr, auf der Sturm für Sturm Graz steht -
ich sichere mich nach allen Richtungen ab und scheue dabei nicht vor optischen
Täuschungen zurück – und an der linken Hand drei Ringe: einen dicken
männlichen, metallenen, silbrigen: Mittelfinger; einen mit einem (der Liebe und
des) Meereswellen-Relief – vermutlich ein antikes Motiv: Ringfinger; und einen
kleinen, feminin-mädchenhaften Ring mit Zopfmuster und einem weißen, mir
unbekannten Stein („weil ich ein Mädchen bin!“) am kleinen Finger und rechts: wie immer und Tag
und Nacht: der Ehering mit eingravierten Namen und Datum: Ringfinger.
Zurück zu den drei Grazien (gell! Sie inspirieren mich ganz
brav und tapfer!) und sie jagen mir als plastische leuchtende Wesen einen
angenehmen Schauder über den Rücken. Danke, ihr Hübschen! Danke, ihr schönen
Frauen! (Moment! Das Bild ist aus dem Jahr 2009. Passt!) (Jetzt wird er frech,
der alte gekrümmte Doddel!)
Zweite Station. Peter setzt sich in die geliebte
Psychodelische Ecke und gibt der Wächterin seine Visitenkarte. Vor Aufregung,
weil ich die Aufsicht angesprochen und ihr meine Visitenkarte aufgedrängt habe,
kann ich die Bilder hier gar nicht anschauen. Ich sehe nichts. Sie werden schon
trotzdem auf mich einwirken.
Ich werde wohl weitergehen, besser gesagt: vor meiner
eigenen Courage flüchten.
Dritte Station. Peter rastet nach der Hahnlosausstellung bei
den Sphinxen und ist ganz zufrieden. Was mir alles in der Hahnlossammlung
aufgefallen ist – sie macht mich immer noch nervös. Keine Ahnung, was das soll
– bin ich zu faul um es aufzuschreiben. Nur die van-Gogh-Zeichnungen, die ich
überhaupt nicht kannte – ich meine, ich habe noch nie Zeichnungen von van Gogh
gesehen – haben mich sehr beeindruckt, aber auch verschiedene Bilder
verschiedener Maler.
Und jetzt bin ich müde. Ich bin sehr schnell von Eindrücken
überlastet, auch wenn ich gar keinen Anspruch auf emotionale Ergriffenheit, tiefste Erkenntnis, feinsten Kunstgenuß stelle.
Vierte Station. Peter verläßt die Albertina und macht sich
auf den Weg zur U-Bahn.
Fünfte Station. Peter geht durch die Opernpassage und hört
hallende Schreie und riecht die stinkende Ausdünstung eines Jugendlichen nach
Energiedrinks.
Sechste Station. Peter wird in der U-Bahn schlecht vor
Schwäche, aber er hält tapfer durch und schleppt sich nach Hause.
(4.3.2020)
©Peter Alois Rumpf, März 2020
peteraloisrumpf@gmail.com
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