1781 Nicht Größenwahn
Ich geh in die Albertina - heute als erstes in die
Richter-Warhol-Abteilung - setze mich wenn möglich auf einen meiner
Lieblingsplätze - heute bei den drei Frauen vom Trio 4 (A. Katz) - und zwar
gehe ich zielstrebig hin, nicht wie jemand, der zum Flanieren kommt oder ein
Erstbesucher, der sich erst orientieren muß, nein, zielstrebig, ich weiß ja,
was ich will (zumindest so ungefähr), lege auf die erste freie Lieblingsbank
mein liebes Albertinatäschchen (für Notizbuch, Kugelschreiber, Brille etc.; ein
wirklich schön gemachtes Geburtstagsgeschenk meiner lieben Frau), zieh meine
chinesische Jacke aus, lege auch sie hin, ziehe dann meinen kürbisorangen
Pullover (ebenfalls …) aus, nachdem ich vorher die musikalischen Ohrenstöpsel
heraus genommen und alles hingelegt habe, und dann – unter Herausnahme meiner
Lesebrille, weil ich ansonsten nicht lesen kann, welcher Stöpsel für links,
welcher für rechts zuständig ist – installiere ich diese meine Musikanlage neu,
ziehe die Jacke wieder an, nehme Notizbuch und Stift aus dem Albertinasackerl,
setze mich nun hin, schlage beim eingelegten roten Bändchen auf und schaue erst
jetzt auf das Bild. Ein photographierender Besucher jedoch lenkt mich ab, indem
er sich vor mich stellt, ich komme dadurch auf die selbe Idee, hole mein
liebes, mickriges Handy (ich verabscheue die Wischerei – ich drücke noch
Knöpfe) aus meiner Jackentasche und photographiere ebenfalls – eine Tätigkeit, die ich für hier beim
vorletzten Besuch noch verachtet habe, und stelle erwartungsgemäß fest: dieses
Photo kann das innere Leuchten der drei Frauen nicht wirklich wiedergeben. So,
jetzt schaue ich aufs Bild. Im Ohr Dissolve von John Frusciante, dann gehe ich
weiter zur „psychodelischen Ecke“.
Beim Aufstehen merke ich, daß mich ein Wächter genau
beobachtet. Mein Gott! Ich würde ja hingehen und mich erklären: „ich komme
mindestens ein Mal die Woche her, ich nutze die Besuche hier zum Schreiben
(vielleicht bringe ich sogar den Satz „ich bin nämlich ein Schriftsteller“ über
die Lippen), ich weiß meistens, wo ich mich hinsetzen will. So gehe ich recht
zielgerichtet auf meine Lieblingsplätze, aber um dort zu verweilen, nicht um
etwas zu attackieren. Schauen Sie (hier zeige ich meine Tasche und ihren
Inhalt): Notizbuch, Brille, Jahreskarte, Ausweis, viele verschiedenfarbige
Kugelschreiber (und gebe ihm/ihr/ihnen meine Schublade-Visitenkarte).“
Vielleicht könnte ich mich bezüglich der verschiedenfarbigen Stifte auch auf
Doderer, Heimito von, berufen, aber ich fürchte, mich dabei in einen Wirbel
hineinzureden, der mich erst recht verdächtig macht. Aber so kann es auch nicht
weitergehen, daß ich hier immer ein schlechtes Gewissen gegenüber der Aufsicht
habe, weil ich sie irritieren könnte! Ich würde ihnen gern entgegenkommen, um
ihnen keine Stress zu machen und mir kein Schuldgefühl.
Mir ist zum Heulen und ich verstehe, warum ich kaum noch
mein Zimmer verlassen will. Aber das geht nicht! Es geht nicht, daß ich mich so
unwürdig fühle, daß ich mich entschuldigen zu müssen glaube, den öffentlichen
Raum zu benützen. Es geht einfach um mein Recht zu leben und da zu sein! (das
mir weder Albert noch Tina, sondern meine in meiner Seele abgelegten und
einprogrammierten Urteile absprechen.)
Als ich mich meiner „psychodelischen Ecke“ nähere, stehen
die Leute dort von der Bank auf. Aber nicht wegen mir! Ich bin nicht paranoid!
Ich sehe das mit der Aufsicht realistisch und richtig.
So! Jetzt kann ich die Bilder anschauen (Katharina Grosse,
Liliane Tomasko, Oehlein); ja und der Richter sticht sozusagen von beiden
Seiten her. (John Frusciante, Will to Death).
Ich schaue kaum noch auf die anderen Besucher.
Ich könnte mich zwischendurch zum Schreiben in einen der
Gänge setzen, dort ist es wohl weniger heikel.
Nein, ich muß es aushalten, in der Welt zu sein, auch wenn
ich mit meiner Existenz und mit meinem Verhalten andere irritieren könnte –
sonst komme ich endgültig in des Teufels Küche.
Die psychodelische Ecke. Ich liebe diese Bescheidenheit in
den Bildern hier. Ja, ja! Bescheidenheit! Nicht Größenwahn.
Eine Frau mit Kinderwagen und ganz kleinem Baby – es kann nur
ein paar Tage alt sein – kommt herein. Sie setzt sich auch auf „meine“ Bank,
weil das Baby unruhig geworden ist, um es zu beruhigen. Was für eine schöne,
starke Geste des Universums! Danke, ich bin am richtigen Weg. Segen für Dich,
kleines Kind, deine Eltern und Familie. Liebes Baby, sei gegrüßet und
willkommen in dieser Welt. (Auch) Du bist die große Chance für diese Welt; (auch)
in dir wird die Welt neu! Ich verneige mich. Gold habe ich nicht, Myrrhe glaube
ich auch nicht, Weihrauch habe ich keinen bei mir, sondern zu Hause. Trommeln
kann ich auch nicht (nur mein Bruder!) So kritzel ich halt ein paar Worte für
Dich her. Amen. (Singen tut Ximena Sariñana mit der Omar-Rodriguez-Lopez-Group
eines meiner liebsten Andachtslieder.)
Richters abstraktes Bild von 2016 habe ich mir heute mit
meiner Lesebrille auf ganz nah angeschaut und es hat Whow! gemacht! Eingefahren
wie ein Trip (obwohl ich gar nicht weiß, wie ein Trip einfährt).
Ich setze mich zu Scheibls Glühen nieder und lasse mich
bestrahlen und habe in mein Albertinatascherl ein paar Visitenkarten gesteckt,
um eine vielleicht doch der Aufsicht zu geben – als Entgegenkommen. Bin gespannt,
ob ich mich trauen werde (nein, ich traute mich nicht).
Die Sammlung Hahnlos, die ich bisher übersehen habe und die
völlig überlaufen ist, hat mich komplett irritiert; ob mehr wegen der Tatsache,
daß ich diese Abteilung, auch als Räumlichkeiten, total übersehen habe, oder
wegen der Fülle der Bilder hier. Ich bin in meinem Schock nur schnell
durchgegangen und werde sie mir bei einem eigenen albertinischen Ausflug
vornehmen – denn es werden tolle Bilder gezeigt.
Ich zittere noch nach dem Schock und schon vor
Unterzuckerung.
Ich raste vor der Werefkin und werde die geliebte
Batliner-Sammlung nur mehr durcheilen.
(27.2.2020)
©Peter Alois Rumpf, Februar 2020
peteraloisrumpf@gmail.com
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