1738 Mein Selbstmord
Irdning ist ein Markt in der Steiermark mit zirka 2750
Einwohnern, dessen Name auf einen slawischen Namen – ich kenne zwei
Ableitungen: eine auf wild, zornig – das auf einen Bach bezogen ist und eine
auf Tannenwald. Jedenfalls bezieht sich dieser Name auf das heutige Altirdning,
denn der nunmehr Irdning genannte Markt ist eine geplante und angelegte
Siedlung. Deshalb steht die Kirche auch an der schönsten und höchsten Stelle
des Schwemmkegels am Rand des an dieser Stelle sehr breiten Ennstals – wäre der
Ort organisch gewachsen, hätte sich wohl der erste Siedler an dieser Stelle
niedergelassen.
Diese Kirche umgibt ein Park, der an Stelle des früheren Friedhofs in späteren Zeiten angelegt wurde. Vorne, zum Marktplatz hin, sind Kastanienbäume gepflanzt – in meiner Kindheit waren die noch groß und prächtig, heute sind sie wegen Neupflanzung klein und schmächtig. Das Gelände fällt an zwei Seiten zu der den Markt durchlaufenden Straße ab und dieser Geländeabbruch ist vermauert und oben im Park mit einem Geländer abgesichert, Mauer und Geländer sind nur an zwei Stellen für eine kleine Stiege südseitig und eine große Treppe, den Hauptaufgang zur Kirche vom Westen her, unterbrochen. An der Ostseite ist der Park ganz offen und man geht ebenerdig in den Park. Jenseits der Straße stehen in einer Reihe die einstöckigen alten Markthäuser des Hauptplatzes.
Diese Kirche umgibt ein Park, der an Stelle des früheren Friedhofs in späteren Zeiten angelegt wurde. Vorne, zum Marktplatz hin, sind Kastanienbäume gepflanzt – in meiner Kindheit waren die noch groß und prächtig, heute sind sie wegen Neupflanzung klein und schmächtig. Das Gelände fällt an zwei Seiten zu der den Markt durchlaufenden Straße ab und dieser Geländeabbruch ist vermauert und oben im Park mit einem Geländer abgesichert, Mauer und Geländer sind nur an zwei Stellen für eine kleine Stiege südseitig und eine große Treppe, den Hauptaufgang zur Kirche vom Westen her, unterbrochen. An der Ostseite ist der Park ganz offen und man geht ebenerdig in den Park. Jenseits der Straße stehen in einer Reihe die einstöckigen alten Markthäuser des Hauptplatzes.
Ich stehe also in diesem Park im Zentrum des Ortes, nahe bei
der südseitigen kleinen Stiege, es ist Abend und schon dunkel. Wenige Menschen
sind unterwegs. Wie das in Träumen so ist, nehme ich sie nur verschwommen und
undeutlich wahr und beachte sie nicht weiter.
Hier steh ich also und habe beschlossen, mich umzubringen.
Mein Leben hat keine rechte Perspektive mehr, ich sehe keinen rechten Sinn,
meine Chancen – so ich welche hatte – habe ich vertan, meine Talente – die ich
sicher habe - und gar nicht wenige - konnte ich nicht einbringen.
Ich bin überhaupt nicht verzweifelt, der Entschluß ist eine
nüchterne, rationale Konsequenz aus meiner gescheiterten Existenz. Das Wort
„ge-scheit-ert“ kommt ja tatsächlich vom Schiff, das in seine Holzscheite
zersplittert ist und untergeht, und in diesem Bild wäre ich der Kapitän, der
erkennt, daß sein Schiff nicht mehr zu retten ist und tapfer und ohne mit der
Wimper zu zucken mit ihm untergehen muß.
Ich habe vor, mich an dieser Stelle hier mit Benzin zu
übergießen und anzuzünden.
Diese Todesart stelle ich mir jetzt als aufgewachter Mensch
ziemlich grausam und schmerzhaft vor, aber dennoch gehört sie zu meinem
Lieblingstagtraum – ich betone: Tagtraum – wenn ich auf der Krankenkasse zu tun
hatte: irgendwelche Anträge zu stellen, Dokumente ein- und nachreichen – die
selben schon zum zwanzigsten Mal – oder wenn ich zum fünfzigsten Mal das
gleiche Formular mit den unveränderten Angaben ausfüllen muß und so weiter und
so fort. Dieser Bittstellermodus ist extrem entwürdigend und erniedrigend. Mir
ist dann vorgekommen, daß man uns hier absichtlich und systematisch sekkiert,
sozusagen strukturell – und da habe ich mir oft in der Phantasie ausgemalt, ich
übergieße mich mit Benzin, zünde mich an und überspring als Brennender die
Barriere zu den kranken Kassenbüttel, um sie auch ein wenig an meinem Feuer
teilhaben zu lassen. Und es soll sie schon ordentlich erschrecken, das Feuer
droht auf sie überzugreifen, ich schreie schon unmenschlich vor Schmerz und sie
werden das nie mehr vergessen. Der Anblick vom Brennenden wird sie ewig
verfolgen und die Schreie werden sie nie mehr aus ihren Ohren bekommen.
Hier im Traum – ich betone: im echten Traum – sind meine
Stimmung und Haltung gänzlich ohne Wut und Verbitterung, höchstens ein wenig
traurig und resignativ – ich habe endgültig aufgegeben, ich habe im Leben
nichts Gscheites mehr zu erwarten.
Ich übergieße mich also mit Benzin, versuche mich
anzuzünden, aber im Freien bläst mir der Wind ständig das Zündholz aus. Ich
denke mir: Gehst halt in die Kirche zu den depperten Pfaffen! Also gehe ich in
die aus meiner Kindheit wohl vertraute und geliebte Kirche hinein. Es sind ein
paar Leute da, in einem Seitenschiff, durch Säulen verdeckt findet irgendeine
Besprechung unter einer Handvoll Pfarrmitarbeitern statt. Nur dort ist ein
schwaches Licht aufgedreht, sonst ist der große und hohe Kirchenraum im
Dunkeln, auch bei mir hier in der Nähe des Eingangs.
Ich zünde mich also an. Ich sehe zwar keine Flammen, aber
bald ist die ganze Kirche voller Rauch, ganz dicht eingenebelt, und ich wundere
mich noch, daß das niemand der Leute merkt. Die reden einfach weiter als wär
nichts.
Dann blicke ich auf den verkohlten Leichnam und mir wird
klar: ich habe mich selber umgebracht, aber einen anderen getötet! Der andere
ist so ein zwölf- bis vierzehnjähriger Bub, der auf dem Kirchplatz mit seinem
Fahrrad herumgefahren ist, wie ich es in dem Alter auch oft gemacht habe, um zu
schauen, ob im Zentrum etwas los ist, ob andere Jugendliche da sind, oder auch
nur so, um einer inneren Unruhe Auslauf zu geben. Ich bin also kein
Selbstmörder, sondern ein Mörder.
Und wie in einem Krimi im Fernsehen kann ich nun verfolgen,
wie die Geschichte weitergeht: der Mörder – also ich – ich kann ihn wie im Film
auf dem Bildschirm sehen – der jüngere Mann schaut mir gar nicht ähnlich – ich
hätte ihn vom Aussehen, seiner Sprache, seinen Gesten her eher für einen
Deutschen gehalten – nimmt das Fahrrad des Jungen und fährt damit nach England.
Also habe ich den Selbstmord vorgetäuscht und die verkohlte Leiche des Buben
als meine da in der Kirche gelassen.
Von England flüchtet der Täter – bin das wirklich ich?
Peter, der Täter? - nach Norddeutschland – eine schlauer und gerissener Trick,
um eventuelle Verfolger in die Irre zu führen – falls der Trick mit der
unterschobenen Leiche nicht funktioniert.
In Norddeutschland arbeitet der Täter auf Tankstellen, als
Lastwagenfahrer, was halt so hergeht, und schlägt sich so durch. Mehrmals wäre
er beinahe aufgeflogen, aber sehr geschickt schafft er es immer, doch
unaufgedeckt zu bleiben und davonzukommen. Sein Ziel scheint Skandinavien zu
sein. Wird er also doch gesucht und verfolgt?
Obwohl mir der Täter sehr fremd ist, glaube ich zu wissen,
daß das ich bin, dessen Flucht ich am Bildschirm verfolge. Der „Bildschirm“ ist
im Traum nicht real, sondern ich sehe das Geschehen im beleuchteten Bereich der
Kirche, aber eben eindeutig als Zuschauer einer auf die Lichtkugel projizierten
oder als eine in der Lichtkugel aufleuchtende Liveübertragung.
Und obwohl der Täter für mich so deutsch wirkt, weiß ich,
daß er aus Graz stammt. Und tatsächlich: irgendwo im Norden spricht eine ältere
Frau den jungen Mann an und sagt. „Ich kenne dich! Wir waren als Kinder in Graz
viel zusammen! Auch im Kindergarten!“
Anscheinend weiß sie noch nichts von der Fahndung, zumindest
wirkt ihre Reaktion ganz unbefangen, offen und ehrlich. Aber schon den ganzen
Krimi lang zittere ich mit dem jungen Mann mit, wenn er in Gefahr ist, habe ich
horrende Angst, wirklich so, als wäre ich er. Und auch jetzt ist mir sofort
klar: das wird jetzt bald auffliegen!
Jetzt stehe ich in Irdning vor der Kirche oben im Park, auf
der Westseite, auf diesem kurzen Stück zwischen Kirche plus Mesnerhäusl und der
großen Treppe, oberhalb des Platzes, wo früher die Haltestelle des
Postautobusses war. Es ist Tag. Unten am Geländer der Parkeinfriedung, gleich mir zu Füßen liegt
verschiedenes Zeugs, ordentlich geschlichtet, soweit es geht, wie Materialien
auf Baustellen. Da steckt im am Geländer angelehnten Haufen auch ein
eingerollter Teppich und mir wird klar, daß da die verkohlte Leiche des Fahrrad
fahrenden Buben eingewickelt ist. Die Leiche ist mehr als verkohlt: es sind
keine Knochen übrig und es schaut mehr wie zusammengepresste Asche einer
archäologischen Schicht bei Ausgrabungen aus. Spielende Kinder beginnen schon
mit einem Steckerl in diesem gepressten Aschenkonglomerat herumzustochern und
schon interessiert sich dafür ein Kriminalbeamter in Zivil und kommt eilig
näher …
Als ich aus diesem Traum aufwache, zittere ich am ganzen
Körper und habe eine Heidenangst. Ich bin wie von innen erfroren und in Panik
rolle ich mich ein und warte, bis ich mich unter der Bettdecke wieder ein wenig erwärmt habe.
(5.2.2020)
©Peter Alois Rumpf, Februar 2020
peteraloisrumpf@gmail.com
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