1632 Ficken
Ist das Reif auf dem Blech des Vordaches?
Ja, ist es!
Während die niedere Sonne von links ins Baumgeäst und auf
die kompatiblen Partien der Dächer und Rauchfänge scheint, konkurriert mein
hauseigenes Surren gegen das des soeben angemachten Standcomputers, mit dem
vorübergehenden wimmernden Heulen des Passierstabes unten in der Küche, dem
anhebenden Schnurren der Katze, die mir zuerst auf den Schoß gesprungen ist, aber
nach einem milden Hustenanfall meinerseits wieder abgesprungen ist. Jetzt zieht
sie den Heizkörper beim großen Atelierfenster meinem Schoßplatz vor, was für
mich zum Schreiben leichter ist.
Daß ich den Computer schon angeworfen habe, bevor ich
überhaupt eine Zeile Text ins Notizbuch notiert habe, zeugt von einem
ungewöhnlichen Handlungsoptimismus und einer außerordentlichen
Erfolgssicherheit, zumindest im Bereich meines seelischen Hintergrundrauschens,
denn ich muß auch gestehen, daß ich beim Einschalten vergessen hatte, noch gar
keinen Morgentext geschrieben zu haben.
Das Wort „anwerfen“ bringt mich auf die Idee, von meinem
Schreibstuhl an der Rückwand des Ateliers aus ein paar Blicke auf den Computer
zu werfen, der sich rechts in zwei, drei Meter Entfernung im rechten Winkel zu
mir befindet, sodaß mein Blick auf den Bildschirm äußerst schräg bleibt und zu
meinem Erstaunen „arbeitet“ die Bildfläche, obwohl noch kein Internet
aufgerufen ist: kleine Dinger poppen auf und verschwinden wieder. „Erstaunen“ war
eine literarische Floskel, die nur für einen Bruchteil einer Sekunde gegolten
hat, dann war mir klar, daß irgendwelche Vibrationen im Raum – zum Beispiel vom
Gang der Katze zum Fenster und retour – den sehr empfindlich? empfindsam?
eingestellten Cursor minimal bewegt haben.
Das Wort „poppen“ bringt mich dazu, folgendes festzuhalten:
„poppen“ geht, wenn es halb lustig gemeint ist. Das Wort „ficken“ geht gar
nicht für schönen Geschlechtsverkehr. Das ist so aggressiv, daß es
bestenfalls (eigentlich: schlimmstenfalls) für eine Vergewaltigung brauchbar
ist und für mein Sprachempfinden auch da nicht wirklich präzise. Man merkt ihm
die aufgesetzte Intention, die falsche, aber notwendige Aggression an. Das
stechende „i“, das im verstärkten, widerstandsforcierten „ck“ stecken zu
bleiben droht und gegen den lustfeindlichen puritanisch-protestantischen
Moralismus aufgewendet werden muß, um überhaupt ans Vögeln (das Wort mag ich!)
auch nur denken zu können.
Nein, beim „Ficken“ ist der oder die Sprechende so sehr mit
seinem/ihren Kampf gegen den totalitären Moralismus beschäftigt, daß er oder
sie beim Vögeln selbst nicht mehr viel empfinden kann. Er/sie „fickt“
aufgesetzt, vom Kopf her, als Programm, als Projekt auf Grund einer langen
Kette von Rechtfertigungsüberlegungen, im Versuch, gegen die eigene
internalisierte puritanische Moral anzu- und aufzu-kommen. Ficken: mehr mit dem
Kopf als mit dem ganzen Leib.
That's it!
(4.12.2019)
©Peter
Alois Rumpf, Dezember 2019 peteraloisrumpf@gmail.com
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