Dienstag, 17. September 2019

1508 Voyeuristische Anwandllung


Ich sitze in einem meiner Lieblingsespressos und nach der heute sehr ausführlichen Zeitungslektüre ohne erhoffte Sensation (wie sie mir gefiele, zum Beispiel noch eine politische Bombe) ist mir etwas fad und mir fällt nichts Rechtes ein (und wegen oben: auch nichts Linkes). Das jedoch auch, weil ich meine voyeuristischen Anwandlungen verschweige.

Vier mittelmäßige Texte stehen schon zum Eintippen und dann Schubladisieren an, aber ich mach es nicht. Keine Lust – das hat nichts bis wenig mit der Mittelmäßigkeit zu tun, denn in meine Schublade kommen alle meine Texte und Schreiben hellt mich immer auf. Beschriebe ich meine yoyeuristischen Anwandlungen schonungslos, blühte ich auf und käme ins Schwärmen und es gäbe genug zu lachen. Heute fehlt mir noch der Mut.

So spiele ich den nachdenklichen Denker, indem ich beim Schreiben meinen Kopf mit der linken Hand an Stirn und Schläfe abstütze: ernsthaft, überlegen, verständnisvoll, vorurteilsfrei und keinen Trieben oder Kopfüberschwemmungen ausgeliefert.

Als Kompromiß mit mir selbst hole ich mir von der Zeitschriftenablage eine vielversprechende Zeitschrift, die von sich sagt, daß sie plastikfrei ist und „Lust & Leben“ heißt. Ich mache eine Schreibpause und blättere die mir völlig unbekannte „Lust & Leben“ durch.

Gourmeezeitschrift mit vielen, vielen Photos von Speisen, Getränken, Köchen, Winzern – für einen Viel- und Schnellesser und Alkoholfreien wie mich nicht unbedingt das Richtige. Ein einziges Dekolletee.

Meine (mehr oder weniger) coole Nachdenklichkeitspose hat sich jetzt, aufrecht sitzend, auf „dar ûf satzt ich den ellenbogen; ich hete in mîne hant gesmogen daz kinne und ein min wange. dô dâhte ich mir vil ange, wie man zer werlte solte leben: deheinen rât kond ich gegeben, wie man driu dinc erwurbe, der deheinez niht verdurbe.“ (W. v. d. Vw.) - also bei mir: die linke Hand umfaßt von unten den rechten Ellenbogen und stützt so den rechten Unterarm – der linke Unterarm horizontal im rechten Winkel zum rechten, dessen Hand das Kinn von unten stützt – umgestellt. Blick geht nach vorne ins Leere (Narrenkastl: hellblaue Wand, ein paar alte Photos, das größte zeigt einen Fünfzigerjahre Perkussionisten in Anzug und Mascherl, Oberlippenbart; Instrument: das, was man meistens Bongo nennt, aber keine ist. Richtiger Name vergessen).

Nun betrachte ich das in der offenen Glastür gespiegelte Theaterspiel der sich bewegenden Hände (österreichisch: inklusive Arme) will sagen: ich sehe ein paar Gäste im Spiegel draußen im Johannisgarten (Jean – Schani) sitzen und reden und gestikulieren. Und da ich sie aus dieser Entfernung nicht hören kann, tue ich so, als wären die (Unter)Arme die Schauspieler und Tänzer, die sich in einem exotischen, archaischen Theaterspiel bewegen und darstellen.

Der eine stellt so eine Art priesterliche Figur dar, indem man ihn immer wieder kelchähnliche Gefäße heben sieht. Oh! Der andere Schauspieler auch! Inbrünstig strecken sie sich selbst und ihre Kelche gen Himmel, dann kippen sie die Kelche, dann stellen sie sie wieder zu Boden und dann tanzen sie: springen hin und her und schütteln wie in Raserei und Wahn ihre Köpfe (was sie da Hahnenkammartiges am Kopf tragen kann ich aus der Entfernung und wegen der schwachen und kollagierenden Spiegelung im Glas nicht recht erkennen) auf und nieder. Dann ruhen sie meist angespannt, dann beginnt wieder die Kelchzeremonie, manchmal gleich zweimal hintereinander, manchmal die zwei gegenüber synchron, manchmal abwechselnd. Ein interessantes Spiel! Auch wenn ich nichts verstehe und mir der kulturelle Hintergrund gänzlich unbekannt und fremd ist, finde ich das Spiel spannend und es berührt mich auf einer tiefen, unterbewußten, ja, archetypischen Ebene. Manchmal treten noch zwei weitere Darsteller auf, sodaß sie zwei zu zwei gegenüber stehen und tanzen oder auch einer gegenüber zweien.

Manchmal ist dieses Drama fast erschütternd! Irgendsoein riesiges Mondgesicht am Bühnenhimmel beginnt zu nicken; nickt lange, ausdauernd und blickt so – ich weiß nicht, ob diese Geste Zustimmung, Ablehnung oder Bestätigung oder „das ist das Schicksal“ bedeutet – blickt und nickt so ganz lange auf das tanzende Bühnengeschehen hinab.

Jetzt ruhen die Kelche und ein Schauspieler legt sich flach auf den Bühnenboden und hebt und bewegt nur ein wenig seinen – was weiß ich: mit einer Federkrone? - geschmückten Kopf.

Sind es gar nur Marionetten?











(16.9.2019)












©Peter Alois Rumpf,  September 2019  peteraloisrumpf@gmail.com

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