Freitag, 26. Juli 2019

1432 Später


Ein undeutlicher, verstümmelter, abgerissener Ruf aus der Tiefe des Lichtschachtes hat mich nicht aufgeweckt, denn ich bin schon wach gelegen, wie ich es liebe, dem einen Traum, an den ich mich erinnern kann, noch nachhängend, um ihn ein wenig in eine angenehme Richtung weiterzuspinnen. Es ist ungefähr neun, die Klimaanlage im Lichtschacht rauscht auf vollen Touren, weil es schon sehr heiß ist.

Kaum habe ich mich zum Schreiben aufgesetzt, ist die Katze unter dem Stuhl, auf dem ich mein Gewand ablege, hervorgekommen und hat sich schnurrend neben mich gelegt. Um zwanzig nach vier hatte sie mich wachgetatzelt und ihr Frühstück verlangt. Meines wird in zirka einer halben Stunde beginnen; ich glaube nicht, daß ich jetzt nocheinmal einschlafe, denn ich fühle mich gut, ausgeruht und ausgeschlafen.
Aber wer weiß: der Mensch denkt und Gott lenkt – oder wer oder was auch immer.

Ich biete der Katze an, sie am Bauch zu kraulen und sofort bringt sie sich in eine geeignete Position.
Ich döse vor mich hin; mein Eindruck, heute nicht mehr in Träume zu fallen, war voreilig. Aber an meinem Wohlgefühl ändert das nichts. Ein leichtes Schuldgefühl, das sich heranpirscht, lasse ich ins Leere laufen.

Den Ruf einer Taube kann ich hinter dem Lärm der Klimaanlage noch ausnehmen, dann schließe ich doch die Augen und lasse allem seinen natürlichen Lauf.

(„Ich lasse allem seinen natürlichen Lauf“ oder „ich überlasse alles seinem natürlichen Lauf“? Ich entscheide mich nach einigem Überlegen für die ersten Variante, weil mir jetzt vorkommt, daß sich hinter dieser meiner friedlichen, frommen Morgenstimmung doch ein wenig Größenwahn versteckt halten könnte. Die erste Variation habe ich spontan hingeschrieben, die zweite wäre eine Korrektur vom Denken her. Denn ich weiß ja, daß ich gar nicht in der Position bin, anzuschaffen, den Dingen ihren Lauf zu lassen, sondern bloß aufhören kann, dagegen anzukämpfen, was der zweite Satz ausdrückt. Im ersten Satz unterstelle ich, daß ich der Chef des Universums bin oder zumindest in hoher Managerposition mit Durchgriffsrecht und Prokura, im zweiten, daß ich ein Geschöpf bin, das sich fügt, nicht, weil es sich – von vornherein - unterwirft, sondern weil es erkennt, daß es gar nicht so viel Macht innehat. Der zweite Satz ist richtig, was den Sachverhalt betrifft; der erste was meinen psychischen und emotionalen und weltbildmäßigen Zustand betrifft – der Größenwahn ist mir unabsichtlich rausgerutscht: wegen dieser Wahrheit lasse ich ihn so stehen, obwohl er sachlich falsch ist.

Fragt sich nur, welcher Größenwahn das ist: rein mein persönlicher vel der kollektive der modernen Menschheit? Zweiterer unterstellt ja, daß wir das Liebkind der Schöpfung sind und dort, wo alle Fäden zusammenlaufen, ein Menschenhafter sitzt, sogar, daß er männlich ist, und auf uns schaut, darum werden wir schon irgendwie gerettet werden, auch wenn die Erde im Fieber überhitzt, sei es, daß der Deus ex machina auftritt respektive heruntergeschwebt kommt, oder daß uns noch was technisches zur Rettung einfällt, weil wir eh so super sind. Aber dem ist nicht so: dort, wo die Fäden zusammenlaufen, laufen auch die Fäden des Ameisenhaften, des Dinosaurierhaften, des Birkenhaften, des Amöbenhaften, des Krokodilhaften, des Virushaften, des Bakterienhaften, des Engelhaften, des Zwergenhaften, des Wegwartenhaften, des Spinnenhaften, des Peyotehaften, des Schlangenhaften, des Trichocereus-pachanoihaften, des Aalhaften, des Quälgeisthaften, des Voladoreshaften, des MutterErdehaften, des Gauchheilhaften, des ….............  zusammen. Und alle haben ihre Berechtigung. Wir sind nur ein Teil des Ganzen. Und das Ganze ist viel, viel großer, als wir es sehen können!)

Tatsächlich: im Bücherregal habe ich jetzt gerade eine weiße Flamme mit einem rötlichen Kern (sagt man das bei Flammen?) ein, zwei Sekunden lang über ein paar Büchern schweben und tanzen gesehen. Dann ist sie verschwunden. Ausgesehen hat sie so, wie die Feuerflammen beim Pfingstfest über Maria und den Aposteln dargestellt werden. Das soll aber keine Anspielung sein! Die Flamme war ja nicht über mir, sondern über folgenden Büchern: Jana Vizjak, Herzensweg; Ernst Barlach Haus Hamburg, Österreich im Umbruch; Herbert Böckl, Apokalypse; Herbert Böckl, Das Spätwerk. Alles Kunstbücher. Am öftesten hat sich die Flamme über dem Böckl gehalten. (Ganz links, noch vor der lieben Freundin Jana, wäre noch meine Diplomarbeit über Johannes Taulers Himmelfahrtspredigten gestanden, aber dort war die Flamme eindeutig nicht! Ich gehe schon davon aus, daß die da oben gut zielen können und finde eh diese Auswahl wirklich nicht schlecht!)

Es ist später geworden, aber dafür gibt es einen längeren Text.











(26.7.2019)















©Peter Alois Rumpf  Juli 2019  peteraloisrumpf@gmail.com

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