1432 Später
Ein undeutlicher, verstümmelter, abgerissener Ruf aus der
Tiefe des Lichtschachtes hat mich nicht aufgeweckt, denn ich bin schon wach
gelegen, wie ich es liebe, dem einen Traum, an den ich mich erinnern kann, noch
nachhängend, um ihn ein wenig in eine angenehme Richtung weiterzuspinnen. Es
ist ungefähr neun, die Klimaanlage im Lichtschacht rauscht auf vollen Touren,
weil es schon sehr heiß ist.
Kaum habe ich mich zum Schreiben aufgesetzt, ist die Katze
unter dem Stuhl, auf dem ich mein Gewand ablege, hervorgekommen und hat sich
schnurrend neben mich gelegt. Um zwanzig nach vier hatte sie mich wachgetatzelt
und ihr Frühstück verlangt. Meines wird in zirka einer halben Stunde beginnen;
ich glaube nicht, daß ich jetzt nocheinmal einschlafe, denn ich fühle mich gut,
ausgeruht und ausgeschlafen.
Aber wer weiß: der Mensch denkt und Gott lenkt – oder wer
oder was auch immer.
Ich biete der Katze an, sie am Bauch zu kraulen und sofort
bringt sie sich in eine geeignete Position.
Ich döse vor mich hin; mein Eindruck, heute nicht mehr in
Träume zu fallen, war voreilig. Aber an meinem Wohlgefühl ändert das nichts.
Ein leichtes Schuldgefühl, das sich heranpirscht, lasse ich ins Leere laufen.
Den Ruf einer Taube kann ich hinter dem Lärm der Klimaanlage
noch ausnehmen, dann schließe ich doch die Augen und lasse allem seinen
natürlichen Lauf.
(„Ich lasse allem seinen natürlichen Lauf“ oder „ich
überlasse alles seinem natürlichen Lauf“? Ich entscheide mich nach einigem
Überlegen für die ersten Variante, weil mir jetzt vorkommt, daß sich hinter
dieser meiner friedlichen, frommen Morgenstimmung doch ein wenig Größenwahn
versteckt halten könnte. Die erste Variation habe ich spontan hingeschrieben,
die zweite wäre eine Korrektur vom Denken her. Denn ich weiß ja, daß ich gar
nicht in der Position bin, anzuschaffen, den Dingen ihren Lauf zu lassen,
sondern bloß aufhören kann, dagegen anzukämpfen, was der zweite Satz ausdrückt.
Im ersten Satz unterstelle ich, daß ich der Chef des Universums bin oder
zumindest in hoher Managerposition mit Durchgriffsrecht und Prokura, im
zweiten, daß ich ein Geschöpf bin, das sich fügt, nicht, weil es sich – von
vornherein - unterwirft, sondern weil es erkennt, daß es gar nicht so viel
Macht innehat. Der zweite Satz ist richtig, was den Sachverhalt betrifft; der
erste was meinen psychischen und emotionalen und weltbildmäßigen Zustand
betrifft – der Größenwahn ist mir unabsichtlich rausgerutscht: wegen dieser
Wahrheit lasse ich ihn so stehen, obwohl er sachlich falsch ist.
Fragt sich nur, welcher Größenwahn das ist: rein mein
persönlicher vel der kollektive der modernen Menschheit? Zweiterer unterstellt
ja, daß wir das Liebkind der Schöpfung sind und dort, wo alle Fäden
zusammenlaufen, ein Menschenhafter sitzt, sogar, daß er männlich ist, und auf
uns schaut, darum werden wir schon irgendwie gerettet werden, auch wenn die
Erde im Fieber überhitzt, sei es, daß der Deus ex machina auftritt respektive
heruntergeschwebt kommt, oder daß uns noch was technisches zur Rettung
einfällt, weil wir eh so super sind. Aber dem ist nicht so: dort, wo die Fäden
zusammenlaufen, laufen auch die Fäden des Ameisenhaften, des Dinosaurierhaften,
des Birkenhaften, des Amöbenhaften, des Krokodilhaften, des Virushaften, des
Bakterienhaften, des Engelhaften, des Zwergenhaften, des Wegwartenhaften, des
Spinnenhaften, des Peyotehaften, des Schlangenhaften, des
Trichocereus-pachanoihaften, des Aalhaften, des Quälgeisthaften, des
Voladoreshaften, des MutterErdehaften, des Gauchheilhaften, des …............. zusammen. Und alle haben ihre Berechtigung.
Wir sind nur ein Teil des Ganzen. Und das Ganze ist viel, viel großer,
als wir es sehen können!)
Tatsächlich: im Bücherregal habe ich jetzt gerade eine weiße
Flamme mit einem rötlichen Kern (sagt man das bei Flammen?) ein, zwei Sekunden
lang über ein paar Büchern schweben und tanzen gesehen. Dann ist sie
verschwunden. Ausgesehen hat sie so, wie die Feuerflammen beim Pfingstfest über
Maria und den Aposteln dargestellt werden. Das soll aber keine Anspielung sein!
Die Flamme war ja nicht über mir, sondern über folgenden Büchern: Jana Vizjak,
Herzensweg; Ernst Barlach Haus Hamburg, Österreich im Umbruch; Herbert Böckl,
Apokalypse; Herbert Böckl, Das Spätwerk. Alles Kunstbücher. Am öftesten hat
sich die Flamme über dem Böckl gehalten. (Ganz links, noch vor der lieben
Freundin Jana, wäre noch meine Diplomarbeit über Johannes Taulers
Himmelfahrtspredigten gestanden, aber dort war die Flamme eindeutig nicht! Ich gehe schon davon aus, daß die
da oben gut zielen können und finde eh diese Auswahl wirklich nicht schlecht!)
Es ist später geworden, aber dafür gibt es einen längeren
Text.
(26.7.2019)
©Peter Alois Rumpf
Juli 2019
peteraloisrumpf@gmail.com
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