Donnerstag, 25. Juli 2019

1430 Die Ahnfrau


Ich wache voller Schuldgefühle und ziemlich verkatert auf, denn ich habe geträumt, ich war auf einem großen Fest. Es waren sehr viele Menschen auf engem Raum, wie sich später herausstellt ist es einer meiner typischen geträumten heruntergekommenen und vergessenen Wohnungen im Parterre. Die Menschen, die auf dem Fest sind: viele kenne ich nicht, aber es sind auch ehemalige KlassenkollegInnen, ehemalige ArbeitskollegInnen, Verwandte da, auch meine Kinder, mein Vater ist zumindest als Stimme anwesend und zwei seiner Schwestern als „Ganze“. Das stellt sich teilweise erst im Lauf des Traumes heraus.

Jedenfalls ist es ein fröhliches Fest, voller Spannung und Intensität, mir gefällt die Menschendichte und die unvermeidlichen Berührungen, die sich da ergeben, und da wir anscheinend bloßfüßig sind, lege ich am blanken Boden sitzend meine nackten Fußsohlen an die einer mir unbekannten, attraktiven Frau. Also durchaus zurückhaltend, aber sehr erotisch aufgeladen. Vielleicht ist in dieser unüberschaubaren Menge irgendwo auch meine Frau anwesend, weil mich doch ein Hauch von schlechtem Gewissen anweht, beziehungsweise die Sorge, dabei erwischt zu werden, jedoch wird dies von Intensität und Spin der Situation schnell weggeschoben. Und jetzt kommt die Stimme meines Vaters ins Spiel, denn er macht – als er die Szene sieht - eine seiner charakteristischen Bemerkungen a la „ah, da schau her! der Peter!“ und wenn er es auch nicht wie so oft spöttelnd, sondern – sagen wir: beglückwünschend gemeint haben sollte, ich ärgere mich über seinen Kommentar, denn was gehen ihn meine Liebesgeschichten an?!

Da sehe ich noch wie viele – hauptsächlich oder überhaupt nur Frauen sich um eine halb am Boden liegende Gestalt scharen und sich zur ihr niederbeugen und sie halten und stützen. Sie scheint soetwas wie einen Schwächeanfall gehabt zu haben und wie ich, wie sich der Kreis zu mir hin öffnet und ich jetzt freie Sicht auf die geheimnisvolle Gestalt habe, sehen kann, ist es eine schöne, runde, edel gekleidete Frau. Um ihr das Atmen zu erleichtern, öffnen die Helferinnen ihre Kleider und beginnen sie - genau genommen - ganz auszuziehen. Ich habe freien Blick und will mich schon an ihrer herausgeschälten Nacktheit begeilen – da merke ich: die Frau ist ganz alt, oder gerade erst und ganz plötzlich ganz alt geworden. Ich starre trotzdem auf ihren Busen und mir kommt der Gedanke, daß sie eine ganz, ganz alte Ahnin ist; eine richtige Ahnfrau. (Oder gar die Mutter Erde?)

Dann bin ich doch hinausgegangen und allein herumgeirrt, irgendwo am Stadtrand, irgendetwas suchend. Gefunden habe ich es nicht – was immer es war – Moment! Eine Toilette? Könnt sein – und zurückgefunden zum Fest habe ich auch nicht. Ich war wirklich verirrt und stolpere durch heruntergekommene Stadtviertel mit alten Industriegebäuden, dazwischen öde, verwahrloste, mit Plastikmüll und Ähnlichem verdreckte Felder, teilweise enge, mit allem möglichen Glumpert verstellte Gässchen, die sich oft als Sackgassen herausstellen. Gebiete, in denen mit hoher Kriminalität und Junkies und Überfällen zu rechnen ist und wo ich immer Angst habe.

Gottseidank stoße ich beim Herumirren und Suchen auf meine betrunkenen Festbesucher, die fröhlich, singend und sich zu einer Menschenkette an den Schultern haltend stadteinwärts unterwegs sind. Sie suchen und finden – im Gegensatz zu mir – eine Haltestelle Richtung Innenstadt und eine Straßenbahn, die in die richtige Richtung fährt und so schließe ich mich ihnen an und steige mit ihnen ein und habe ein gutes Gefühl, auch wenn die Straßenbahn – wie immer bei solchen Träumen – so komisch herum und durch eigenartige, unbekannte Gegenden fährt. Ich glaube, daß wir zusammen das Ziel finden und in der Innenstadt ankommen werden. Und es dämmert mir, daß dies ein Fest für mich war, um nicht zu sagen: zu meinen Ehren.

Wir stehen im Wagon – für so viele gibt es nicht genug Sitzplätze – und ich frage den Ex-Arbeitskollegen Mario, ob sie die Wohnung beim Weggehen abgesperrt haben. „Nein“, antwortet der lachend, „wir haben sie offen gelassen“, und schmunzelnd und leiser, damit es nicht alle hören, fügt er noch hinzu: „Zusperren ist ja gar nicht nötig, es ist ja nichts drinnen!“
Ich mache mir noch Gedanken wegen der beiden Tanten, die ich hier nicht sehe, und vor allem von der älteren der beiden vermute ich, daß sie nicht hätte so weit gehen können. Sitzen sie und noch ein paar andere zurückgelassen in der Wohnung, oder hat ihnen irgendwer geholfen?
Dann fällt mir ein, daß ich im selben Haus ganz oben noch mein Atelier habe! Ich weiß zwar, daß ich schon jahrelang nicht mehr dort war und keine Ahnung habe, in welchem Zustand es ist, aber ich vermute nicht, daß ich es aus- oder zusammengeräumt habe oder daß es leer ist, sondern gehe davon aus, ich habe alles liegen und stehen lassen und man könnte noch einiges anschauen. „Ach!“, denke ich mir, „wenn ich gewußt hätte, daß sie schon so früh aufbrechen, hätte ich vorher noch gefragt, ob wer mein Atelier besuchen mag! Ich sage das Mario und meine noch: '“Schade, daß mir das nicht früher eingefallen ist!“ Wir zucken beide unsere Achseln und bestätigen uns gegenseitig, daß man jetzt nichts mehr machen kann. Schade, denke ich mir, eine solche Gelegenheit wird nie mehr kommen. Ich wäre schon stolz gewesen, aber zu spät! Sei's drum!










(25.7.2017)













©Peter Alois Rumpf  Juli 2019  peteraloisrumpf@gmail.com

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