1430 Die Ahnfrau
Ich wache voller Schuldgefühle und ziemlich verkatert auf,
denn ich habe geträumt, ich war auf einem großen Fest. Es waren sehr viele
Menschen auf engem Raum, wie sich später herausstellt ist es einer meiner
typischen geträumten heruntergekommenen und vergessenen Wohnungen im Parterre.
Die Menschen, die auf dem Fest sind: viele kenne ich nicht, aber es sind auch
ehemalige KlassenkollegInnen, ehemalige ArbeitskollegInnen, Verwandte da, auch
meine Kinder, mein Vater ist zumindest als Stimme anwesend und zwei seiner
Schwestern als „Ganze“. Das stellt sich teilweise erst im Lauf des Traumes
heraus.
Jedenfalls ist es ein fröhliches Fest, voller Spannung und
Intensität, mir gefällt die Menschendichte und die unvermeidlichen Berührungen,
die sich da ergeben, und da wir anscheinend bloßfüßig sind, lege ich am blanken
Boden sitzend meine nackten Fußsohlen an die einer mir unbekannten, attraktiven
Frau. Also durchaus zurückhaltend, aber sehr erotisch aufgeladen. Vielleicht
ist in dieser unüberschaubaren Menge irgendwo auch meine Frau anwesend, weil
mich doch ein Hauch von schlechtem Gewissen anweht, beziehungsweise die Sorge,
dabei erwischt zu werden, jedoch wird dies von Intensität und Spin der
Situation schnell weggeschoben. Und jetzt kommt die Stimme meines Vaters ins
Spiel, denn er macht – als er die Szene sieht - eine seiner charakteristischen
Bemerkungen a la „ah, da schau her! der Peter!“ und wenn er es auch nicht wie so
oft spöttelnd, sondern – sagen wir: beglückwünschend gemeint haben sollte, ich
ärgere mich über seinen Kommentar, denn was gehen ihn meine Liebesgeschichten
an?!
Da sehe ich noch wie viele – hauptsächlich oder überhaupt
nur Frauen sich um eine halb am Boden liegende Gestalt scharen und sich zur ihr
niederbeugen und sie halten und stützen. Sie scheint soetwas wie einen
Schwächeanfall gehabt zu haben und wie ich, wie sich der Kreis zu mir hin
öffnet und ich jetzt freie Sicht auf die geheimnisvolle Gestalt habe, sehen
kann, ist es eine schöne, runde, edel gekleidete Frau. Um ihr das Atmen zu
erleichtern, öffnen die Helferinnen ihre Kleider und beginnen sie - genau
genommen - ganz auszuziehen. Ich habe freien Blick und will mich schon an ihrer
herausgeschälten Nacktheit begeilen – da merke ich: die Frau ist ganz alt, oder
gerade erst und ganz plötzlich ganz alt geworden. Ich starre trotzdem auf ihren
Busen und mir kommt der Gedanke, daß sie eine ganz, ganz alte Ahnin ist; eine richtige Ahnfrau. (Oder gar die Mutter Erde?)
Dann bin ich doch hinausgegangen und allein herumgeirrt,
irgendwo am Stadtrand, irgendetwas suchend. Gefunden habe ich es nicht – was
immer es war – Moment! Eine Toilette? Könnt sein – und zurückgefunden zum Fest
habe ich auch nicht. Ich war wirklich verirrt und stolpere durch
heruntergekommene Stadtviertel mit alten Industriegebäuden, dazwischen öde,
verwahrloste, mit Plastikmüll und Ähnlichem verdreckte Felder, teilweise enge,
mit allem möglichen Glumpert verstellte Gässchen, die sich oft als Sackgassen
herausstellen. Gebiete, in denen mit hoher Kriminalität und Junkies und
Überfällen zu rechnen ist und wo ich immer Angst habe.
Gottseidank stoße ich beim Herumirren und Suchen auf meine
betrunkenen Festbesucher, die fröhlich, singend und sich zu einer Menschenkette
an den Schultern haltend stadteinwärts unterwegs sind. Sie suchen und finden –
im Gegensatz zu mir – eine Haltestelle Richtung Innenstadt und eine
Straßenbahn, die in die richtige Richtung fährt und so schließe ich mich ihnen an
und steige mit ihnen ein und habe ein gutes Gefühl, auch wenn die Straßenbahn –
wie immer bei solchen Träumen – so komisch herum und durch eigenartige,
unbekannte Gegenden fährt. Ich glaube, daß wir zusammen das Ziel finden und in
der Innenstadt ankommen werden. Und es dämmert mir, daß dies ein Fest für mich
war, um nicht zu sagen: zu meinen Ehren.
Wir stehen im Wagon – für so viele gibt es nicht genug
Sitzplätze – und ich frage den Ex-Arbeitskollegen Mario, ob sie die Wohnung
beim Weggehen abgesperrt haben. „Nein“, antwortet der lachend, „wir haben sie
offen gelassen“, und schmunzelnd und leiser, damit es nicht alle hören, fügt er
noch hinzu: „Zusperren ist ja gar nicht nötig, es ist ja nichts drinnen!“
Ich mache mir noch Gedanken wegen der beiden Tanten, die ich
hier nicht sehe, und vor allem von der älteren der beiden vermute ich, daß sie
nicht hätte so weit gehen können. Sitzen sie und noch ein paar andere
zurückgelassen in der Wohnung, oder hat ihnen irgendwer geholfen?
Dann fällt mir ein, daß ich im selben Haus ganz oben noch
mein Atelier habe! Ich weiß zwar, daß ich schon jahrelang nicht mehr dort war
und keine Ahnung habe, in welchem Zustand es ist, aber ich vermute nicht, daß
ich es aus- oder zusammengeräumt habe oder daß es leer ist, sondern gehe davon
aus, ich habe alles liegen und stehen lassen und man könnte noch einiges
anschauen. „Ach!“, denke ich mir, „wenn ich gewußt hätte, daß sie schon so früh
aufbrechen, hätte ich vorher noch gefragt, ob wer mein Atelier besuchen mag!
Ich sage das Mario und meine noch: '“Schade, daß mir das nicht früher
eingefallen ist!“ Wir zucken beide unsere Achseln und bestätigen uns
gegenseitig, daß man jetzt nichts mehr machen kann. Schade, denke ich mir, eine
solche Gelegenheit wird nie mehr kommen. Ich wäre schon stolz gewesen, aber zu
spät! Sei's drum!
(25.7.2017)
©Peter Alois Rumpf
Juli 2019
peteraloisrumpf@gmail.com
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