Freitag, 17. Mai 2019

1342 Kaki Peter


Kurz, ganz kurz ist mein Blick magisch geworden, während ich am Klo saß und auf den Fußboden starrte, denn plötzlich ist mein Gesichtsfeld in Stücke gebrochen, die gegeneinander beweglich waren und übereinander geschoben werden konnten. Endlich ein g'scheiter, wenn auch minimaler Drogenrauscheffekt meines mir verschriebenen Medikamentencocktails.
Aber jetzt ist schon das Kopfweh da, soeben eingetroffen, zu Beginn der Notiz noch nicht.

Die Tagis unten spielen Geburtstagfeiern und singen Happy Birthday. Weil wieder Hospitantinnen anwesend sind, werde ich wohl noch länger im Bett bleiben, obwohl ich schon hungrig bin. Ich habe ja genug Lesestoff neben meinem Bett liegen: eine Büchermauer aus vier Stapeln a zirka zehn ungelesenen Büchern im Durchschnitt und das Buch, das ich gerade lese, hat 485 Seiten; ich bin auf der Seite 245 (links oben: „Paprika“ - rechts unten: „nichts“).

Nach einiger Zeit des Lesens müde streichle ich die Katze und schlafe wieder ein. Als ich aufwache ist es unten still. Die Hospitanten sind auf Mittagspause, die Kinder schlafen: die ideale Zeit für mein Frühstück. Ich gehe die Treppe hinunter und gerade wie ich unten angekommen bin, kommen meine Frau und ein Tageskindmädchen aus dem Schlafraum und das Mädchen, drei Jahre alt, flüstert – um ihre schlafenden Freunde nicht zu wecken – flüstert mir so im Vorbeigehen „Kaki Peter!“ zu. Im Bemühen, einerseits leise zu sein und andererseits nah genug, daß ich ihre Botschaft hören kann, streckt sie auch ihren Kopf in meine Richtung und das schaut ein wenig aus und hört sich ein wenig so an - zumindest ist dies das Bild, das in meinem Geist auftaucht - wie das Gewisper der Monroe Richtung John F. Kennedy am Ende ihres Geburtstagsliedes – natürlich hier auf kindliche Art und ohne erotischen Kontext, aber mit „Charme“. Innerlich muß ich lachen und denke mir: „so kann man es auch machen“ und in einem – wie mir schien – günstigen Augenblick will ich das gleich meiner Frau, die gerade den Kühlschrank öffnet, weitergeben, beuge mich zu ihr und wispere ihr ganz zärtlich „Kaki Daniela!“ ins Ohr.
Sie reagiert unwirsch und ablehnend. Sie ist so im Stress und, wie sie betont, in einem jämmerlich-zittrigen Zustand.
Das hat zur Folge, daß meine Ruhe beim so lange aufgesparten Frühstück gefährdet ist. Auch ich, der ich unterzuckert und durch den Medikamentencocktail sowas von schwach und schwankend bin, daß ich nur mit festem Griff am Treppengeländer selbige Treppe heruntergekommen bin (der innere Wahrheitsapostel spricht: „jetzt übertreibt er!“ und wirft mir vor, mich vom Schreiben, den Sprachbildern und Assoziationen mitreißen lassen zu haben), akzeptiere sofort, daß mein liebes Weib nicht angesprochen werden will, aber muß jetzt ihre überflüssigen, unter Stöhnen und Seufzen hervorgebrachten Erklärungen abwehren und meinen vorbereiteten und zurechtgeräumten, von ihr wieder verstellten Frühstücksplatz wieder zurechträumen: da ist mein Teller, da ist das Brot vorbereitet (von dem sie sich einfach nimmt), da das Hummus, dort das Gemüse, Obst, Salatblätter, Oliven etcetera, hier der Käse. Dort die Kaffeekanne (aus Sparsamkeitsgründen hatte ich beschlossen, heute in kein Espresso zu gehen, sondern den Kaffee zu Hause zu trinken, weil ich sowieso sechs, sieben, nein: fünf angestaute Notizbuchtexte in den Computer tippseln und dabei verbessern muß) die Kaffeekanne also hingestellt und neben ihr Platz für mein Kaffeehäferl freigemacht, weil ich beim ersten Eingießen in das Häferl noch den Filteraufsatz auf der Kanne habe, um kochendes Wasser nachgießen zu können, und so muß ich diesen Filteraufsatz so geschickt hochheben, daß nichts neben das Häferl rinnt, was am leichtesten geht, wenn Kanne und Häferl praktisch „Haut an Haut“, also ganz beieinander stehen. Und weil meine Frau gerade ganz arm ist, hat sie keine Scheu, mich um dieses und jenes für sie zu Erledigende zu bitten, während ich endlich etwas in den Magen bekommen will – es ist schließlich schon Dreizehnuhrfünfzehn. Ich bin unwillig, aber führe ihre Aufträge aus. Von meinem bemerkbaren Unwillen läßt sie sich nicht abhalten, mir Aufträge zu geben; da hat sie ein ungefährdetes Selbstbewußtsein und Gefühl, im Recht zu sein, was mir komplett fehlt.

Es ist trotzdem alles gut gegangen. Ich bin zu meinem Kaffee und meinem frugalen Mahl gekommen. Ihre klagend vor sich hingeredeten Sätze wie „wo sind die Kuverts! Ich habe hier doch Kuverts gehabt!“ - genau wissend, daß bei mir im Zimmer drei Stöße Kuverts in drei verschiedenen Größen lagern – die habe ich trotz des Eindrucks eines mitgelieferten Appells an mich – ignoriert. Entweder bittet sie mich offen mit „lieber Peter, bitte hole mir ein Kuvert aus deinem Zimmer“ - das ist freilich schwer, wenn ich schon grantig bin – oder sie geht selber hinauf und holt eines – was keine Minute dauert und wo ich doch eh beim wachen Tageskind bin. Oder nach der Arbeit. Warum soll ich springen? Ach ja, sie ist gerade so arm.
Ihre jetzt unglaublich langsamen, fast dysfunktionalen Herumräumversuche (das ist jetzt natürlich gemein gesagt! Kaki Peter!) beim abzuwaschenden Geschirr empfinde ich auch als stillen Appell an mich (nicht ganz still. Sie kann dabei ein ziemlich ein Geklesch und Geschepper erzeugen) also ein Appell an mich, der ich sowieso fast jeden Tag das Geschirr inklusive das der Tageskinder mache (je mehr Appell, desto ungerner. Außer es gelingt mir, mich quasi neu und authentischer erfindend aus dieser Rolle herauszuheben und meine Arbeit - wie ich es empfinde: - trotz ihres Versuchs, sie unter ihre Kuratel zu spannen, als meine freie Arbeit und eigenen Anteil am gemeinsamen Leben fröhlich und ohne inneren Widerstand zu tun). Weil sie mir leid tut und sie wirklich großen Stress hat und weil mich auch das Geschepper beim friedlichen Frühstücken stört, und weil ich sowieso vorhabe, das Geschirr zu machen, sage ich ihr, sie solle das lassen, ich mache das schon. Auch ihre mir übertrieben vorkommenden Dankesbezeugungen empfinde ich fast als provozierend: wieso bedankt sie sich, wenn ich meine Arbeit mache? Es ist ja nicht nur ihr, sondern unser Haushalt und ich bin kein Dienstbote. Ja ja ja: diesen Haushalt haben nicht wir zwei, sondern sie und ihr erster Mann aufgebaut. Aber nach gut zwanzig Jahren könnte ich schon in ein Wir angekommen sein. Ja, und ich lebe momentan auch von ihr – ohne sie, nur mit meiner Pension wäre ich jetzt auf der Straße und obdachlos. Aber dennoch. Beweise ich nicht mit meiner Zurückgenommenheit einigermaßen Selbstdisziplin und daß ich mir meines sekundären Auftretens bewußt bin? Indem ich mich in unserer Wohnung aus ihrer Arbeit heraushalte, mich nicht im Wohnzimmer aufhalte und versuche, auch beim Frühstück nicht zu stören? Ich spüre es schon deutlich, daß ich während der Arbeitszeit unten nicht erwünscht bin und akzeptiere es. (Das war nicht immer so, früher konnte ich mich manchmal auch für eine halbe Stunde zu den Tageskindern setzen und unbefangener in der eben nicht wirklich eigenen Wohnung herumgehen.) (Aber ich sehe schon, daß ich oft die Tageskinder aus ihrem Spiel ablenke.)











(16.5.2019)












©Peter Alois Rumpf  Mai 2019  peteraloisrumpf@gmail.com

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