1342 Kaki Peter
Kurz, ganz kurz ist mein Blick magisch geworden, während ich
am Klo saß und auf den Fußboden starrte, denn plötzlich ist mein Gesichtsfeld
in Stücke gebrochen, die gegeneinander beweglich waren und übereinander
geschoben werden konnten. Endlich ein g'scheiter, wenn auch minimaler
Drogenrauscheffekt meines mir verschriebenen Medikamentencocktails.
Aber jetzt ist schon das Kopfweh da, soeben eingetroffen, zu
Beginn der Notiz noch nicht.
Die Tagis unten spielen Geburtstagfeiern und singen Happy
Birthday. Weil wieder Hospitantinnen anwesend sind, werde ich wohl noch länger
im Bett bleiben, obwohl ich schon hungrig bin. Ich habe ja genug Lesestoff
neben meinem Bett liegen: eine Büchermauer aus vier Stapeln a zirka zehn
ungelesenen Büchern im Durchschnitt und das Buch, das ich gerade lese, hat 485
Seiten; ich bin auf der Seite 245 (links oben: „Paprika“ - rechts unten:
„nichts“).
Nach einiger Zeit des Lesens müde streichle ich die Katze
und schlafe wieder ein. Als ich aufwache ist es unten still. Die Hospitanten
sind auf Mittagspause, die Kinder schlafen: die ideale Zeit für mein Frühstück.
Ich gehe die Treppe hinunter und gerade wie ich unten angekommen bin, kommen
meine Frau und ein Tageskindmädchen aus dem Schlafraum und das Mädchen, drei
Jahre alt, flüstert – um ihre schlafenden Freunde nicht zu wecken – flüstert
mir so im Vorbeigehen „Kaki Peter!“ zu. Im Bemühen, einerseits leise zu sein und andererseits nah
genug, daß ich ihre Botschaft hören kann, streckt sie auch ihren Kopf
in meine Richtung und das schaut ein wenig aus und hört sich ein wenig so an - zumindest ist dies das Bild, das in meinem Geist auftaucht - wie das Gewisper der Monroe Richtung John F. Kennedy am Ende ihres
Geburtstagsliedes – natürlich hier auf kindliche Art und ohne erotischen
Kontext, aber mit „Charme“. Innerlich muß ich lachen und denke mir: „so kann
man es auch machen“ und in einem – wie mir schien – günstigen Augenblick will
ich das gleich meiner Frau, die gerade den Kühlschrank öffnet, weitergeben,
beuge mich zu ihr und wispere ihr ganz zärtlich „Kaki Daniela!“ ins Ohr.
Sie reagiert unwirsch und ablehnend. Sie ist so im Stress
und, wie sie betont, in einem jämmerlich-zittrigen Zustand.
Das hat zur Folge, daß meine Ruhe beim so lange aufgesparten
Frühstück gefährdet ist. Auch ich, der ich unterzuckert und durch den
Medikamentencocktail sowas von schwach und schwankend bin, daß ich nur mit
festem Griff am Treppengeländer selbige Treppe heruntergekommen bin (der innere
Wahrheitsapostel spricht: „jetzt übertreibt er!“ und wirft mir vor, mich vom
Schreiben, den Sprachbildern und Assoziationen mitreißen lassen zu haben),
akzeptiere sofort, daß mein liebes Weib nicht angesprochen werden will, aber
muß jetzt ihre überflüssigen, unter Stöhnen und Seufzen hervorgebrachten Erklärungen
abwehren und meinen vorbereiteten und zurechtgeräumten, von ihr wieder
verstellten Frühstücksplatz wieder zurechträumen: da ist mein Teller, da ist
das Brot vorbereitet (von dem sie sich einfach nimmt), da das Hummus, dort das
Gemüse, Obst, Salatblätter, Oliven etcetera, hier der Käse. Dort die
Kaffeekanne (aus Sparsamkeitsgründen hatte ich beschlossen, heute in kein
Espresso zu gehen, sondern den Kaffee zu Hause zu trinken, weil ich sowieso
sechs, sieben, nein: fünf angestaute Notizbuchtexte in den Computer tippseln
und dabei verbessern muß) die Kaffeekanne also hingestellt und neben ihr Platz
für mein Kaffeehäferl freigemacht, weil ich beim ersten Eingießen in das Häferl
noch den Filteraufsatz auf der Kanne habe, um kochendes Wasser nachgießen zu
können, und so muß ich diesen Filteraufsatz so geschickt hochheben, daß nichts
neben das Häferl rinnt, was am leichtesten geht, wenn Kanne und Häferl
praktisch „Haut an Haut“, also ganz beieinander stehen. Und weil meine Frau
gerade ganz arm ist, hat sie keine Scheu, mich um dieses und jenes für sie zu
Erledigende zu bitten, während ich endlich etwas in den Magen bekommen will –
es ist schließlich schon Dreizehnuhrfünfzehn. Ich bin unwillig, aber führe ihre
Aufträge aus. Von meinem bemerkbaren Unwillen läßt sie sich nicht abhalten, mir
Aufträge zu geben; da hat sie ein ungefährdetes Selbstbewußtsein und Gefühl, im
Recht zu sein, was mir komplett fehlt.
Es ist trotzdem alles gut gegangen. Ich bin zu meinem Kaffee
und meinem frugalen Mahl gekommen. Ihre klagend vor sich hingeredeten Sätze wie
„wo sind die Kuverts! Ich habe hier doch Kuverts gehabt!“ - genau wissend, daß
bei mir im Zimmer drei Stöße Kuverts in drei verschiedenen Größen lagern – die
habe ich trotz des Eindrucks eines mitgelieferten Appells an mich – ignoriert.
Entweder bittet sie mich offen mit „lieber Peter, bitte hole mir ein Kuvert aus
deinem Zimmer“ - das ist freilich schwer, wenn ich schon grantig bin – oder sie
geht selber hinauf und holt eines – was keine Minute dauert und wo ich doch eh
beim wachen Tageskind bin. Oder nach der Arbeit. Warum soll ich springen? Ach
ja, sie ist gerade so arm.
Ihre jetzt unglaublich langsamen, fast dysfunktionalen
Herumräumversuche (das ist jetzt natürlich gemein gesagt! Kaki Peter!) beim abzuwaschenden Geschirr empfinde ich auch als stillen
Appell an mich (nicht ganz still. Sie kann dabei ein ziemlich ein Geklesch und
Geschepper erzeugen) also ein Appell an mich, der ich sowieso fast jeden Tag
das Geschirr inklusive das der Tageskinder mache (je mehr Appell, desto
ungerner. Außer es gelingt mir, mich quasi neu und authentischer erfindend aus dieser Rolle herauszuheben und meine Arbeit - wie ich es empfinde: - trotz ihres Versuchs, sie unter ihre Kuratel zu spannen, als meine freie Arbeit und eigenen Anteil am gemeinsamen Leben fröhlich und ohne inneren Widerstand zu tun). Weil sie mir leid tut und sie wirklich großen Stress hat und weil
mich auch das Geschepper beim friedlichen Frühstücken stört, und weil ich
sowieso vorhabe, das Geschirr zu machen, sage ich ihr, sie solle das lassen, ich
mache das schon. Auch ihre mir übertrieben vorkommenden Dankesbezeugungen empfinde
ich fast als provozierend: wieso bedankt sie sich, wenn ich meine Arbeit
mache? Es ist ja nicht nur ihr, sondern unser Haushalt und ich
bin kein Dienstbote. Ja ja ja: diesen Haushalt haben nicht wir zwei, sondern
sie und ihr erster Mann aufgebaut. Aber nach gut zwanzig Jahren könnte ich
schon in ein Wir angekommen sein. Ja, und ich lebe momentan auch von ihr –
ohne sie, nur mit meiner Pension wäre ich jetzt auf der Straße und obdachlos.
Aber dennoch. Beweise ich nicht mit meiner Zurückgenommenheit einigermaßen
Selbstdisziplin und daß ich mir meines sekundären Auftretens bewußt bin? Indem ich mich in unserer Wohnung aus ihrer Arbeit
heraushalte, mich nicht im Wohnzimmer aufhalte und versuche, auch beim
Frühstück nicht zu stören? Ich spüre es schon deutlich, daß ich während der
Arbeitszeit unten nicht erwünscht bin und akzeptiere es. (Das war nicht immer
so, früher konnte ich mich manchmal auch für eine halbe Stunde zu den
Tageskindern setzen und unbefangener in der eben nicht wirklich eigenen Wohnung herumgehen.) (Aber ich sehe schon, daß ich oft die Tageskinder aus ihrem Spiel ablenke.)
(16.5.2019)
©Peter Alois Rumpf
Mai 2019
peteraloisrumpf@gmail.com
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