1335 Nicht ganz ernster Versuch über das Rauchverbotspickerl
Meine liebe Tochter die Ältere – wir sitzen uns im Espresso
Burggasse gegenüber – sie liest für die Uni einen frauenfeindlichen Text von
Prof. Albert in Fraktura, also aus dem Jahre wasweißich, ich habe nach der
Zeitungslektüre mit dem Schreiben begonnen (wie man sieht) (echt?), ein
wunderschönes Zusammensein, nach dem ersten Geplauder arbeiten wir jeweils an
unseren Sachen, aber wir können uns anschauen und bleiben locker verbunden.
Die Musik ist angenehm (das heißt bei mir: keinesfalls
niveaulos oder kitschig; gefühlvoll darf sie sein, wenn sie mir angenehm sein
will) das Bild an der Wand ist relativ neu – ich versuche mich ans vorige zu
erinnern und taste dabei mit einer vagen Ahnung im dennoch Dunklen herum. Oh,
wie sie konzentriert in ihrem Text anstreicht, Randnotizen macht, meine liebe
Tochter, ganz Studentin mir Liebe zum Wissen! Eine Freude für meine Augen und
für mich als ganzen alten Vater (während meine jüngere gerade bei ihrer Matura
gekonnt ihre Tüchtigkeit einsetzt. (Ich weiß: im Märchen Rump(f)elstilzchen, der Vater: "meine Tochter
kann Heu in Gold verwandeln!" Sehr gefährlich, macht der Tochter großen Stress!)).
Ich lasse meine Augen herumstreifen wie zwei nomadische
Jäger und Sammler und sie bleiben am Rauchverbotspickerl hängen. Aus einem mir
völlig schleierhaften Grund („anrachig“) fasziniert mich vor allem das Design
der Zigarettenrauchschwaden auf dem Bildchen. In der strengen geometrischen
Form – und die ist mir bei einem Piktogramm allemal viel lieber als Kitsch und
Comic – eine kleine, immer noch strenge, geometrische Auflösung des Strengen,
Geometrischen (Rauch ist halt selten quadratisch zum Beispiel).
Eigentlich hat auch die mit zwei strengen, vertikalen, durch
und durch geometrischen Strichen dargestellte Zigarettenglut schon einen
leichten Anhauch von Antigeometrie, weil sie allein schon die Symmetrie
aufheben.
Das bringt mich zur Frage (nun einige Kilometer vom vorigen
Ort entfernt – ich bin ins Paim gewandert (C3)): hat das Rauchen selber die
Tendenz, Geometrie aufzulösen? (eben: Rauch ist selten quadratisch!) Ich denke
an die Pausen der Raucher in der Arbeit: sie sind lustiger, geselliger – also
Gesellschaftsgeometrie auflösend? Oder die leichte Auflösung durch Gemeinschaft
auffangend? Und daß der Rauch Konturen vernebelt und so schwächt, und
somit die Chance erhöht, anderes aus dem Hintergrund ein wenig sichtbarer,
spürbarer, ahnbarer zu machen? (Ich rede immer noch vom Tabakrauchen.) Rauchen
als gemeinschaftlich gestützte und damit im Sinne der Gemeinschaft als eine
Inklusionsübung, die einerseits hilft, das Auflösende und damit die
Widersprüche sichtbarer zu machen, aber im Rauch und der Gemeinschaft
zusammenfangen kann (wenn zwei Männer zum Beispiel verschiedener Kulturen oder
sonstiger Spannungen zusammenkommen, ist das Anbieten einer Zigarette ein
Friedensangebot und das Angebot, sich aufs Gemeinsame einzulassen.)
Ich hatte bei den Raucherpausen immer den Eindruck, da ist
mehr dabei als bei den Nichtraucherpausen, etwas Zusätzliches: etwas
Kultisches, wenn man so will, aber eben nicht ein geometrischer Kult (je
leerer, je geometrischer), sondern einer wo die „Gottheit“ wirklich anwesend
wird und verändernd hereinwirkt (da braucht man sich dann nicht so ängstlich an
das Ritual und seine Geometrie anklammern und jede Abweichung niederbügeln –
deshalb ist das Lachen möglich?) (ich frag ja nur!)
Dann spiegelt das Pickerl den Versuch wider, das
Ungeometrische in Geometrie einzufangen, was aber nicht ganz gelingen kann –
wiewohl ich zugebe, daß die Form der Rauchfadenstriche geometrisch beschrieben,
berechnet, analysiert werden kann – für geometrisch schlichtere Gemüter wie
mich, die auf diesem Gebiet nicht so inklusionsgeübt sind, wirken diese Striche
doch ein wenig ungeometrisch (Ach ja; die Zahl Π!)
Übrigens bin ich froh, wenn in einem Lokal nicht geraucht
wird. Die Raucher sollen sich als Religionsgesellschaft organisieren und
Rauchtempel bauen.
(10.5.2019)
©Peter Alois Rumpf
Mai 2019
peteraloisrumpf@gmail.com
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