1333 Die Freuden des Niederen Blutdrucks
Nachdem ich mich auf die medizinischen Voruntersuchungen
eingelassen habe, geht es jetzt Schlag auf Schlag: der Zwischenstand bis jetzt:
vier täglich einzunehmende Medikamente. Ich schwanke zwischen Skepsis und „So
nahe wollte ich die verbrecherische Pharmaindustrie nie an mich heranlassen!“
einerseits und „Her mit den Drogen! Her mit den Medikamenten! Her mit den
Tabletten!“ andererseits. Interessant sind einmal für einen forschenden Geist
die verschiedenen Größen, Farben und Formen der Dinger; und interessant für
einen universalistisch gespinten, unakademischen Allroundphilosophen die große
Frage: „Warum gibt es überhaupt so viele Tabletten und nicht viel mehr
weniger?“ Nein, falsch! So: „Warum haben sie so unterschiedliche Formen, Größen und
Farben?“ Manche sind kaum zu derschlucken und manche sind so klein, daß man
fürchten muß, sie fallen in eine Ritze der Tischplatte oder verschwinden überhaupt
zwischen den Molekülen derselben. Manche sind einfärbig, manche zweifärbig.
Mein zuletzt dazugekommenens Medikament hat die Farben von einem etwas
verschwommenen Twinnieislutscher: ein etwas milchiges Grün und Orange. Nebenbei:
mir gefällt ja auch die Hülle der RedHotChiliPeppers-CD, wo eine
Medikamentenkapsel – rot und weiß – abgebildet ist, auf der der Titel der CD
geschrieben steht: „I'm with you“.
Bis jetzt hatte ich alle Medikamente ganz gut vertragen,
aber das neue, das gestern in unseren Kreis aufgenommen wurde, hat es in sich!
Der Arzt hat mich schon darauf aufmerksam gemacht, daß es den Blutdruck senkt
und ich es deswegen am Abend nehmen sollte. Ich dachte mir: das paßt, denn was
den Blutdruck betrifft, so waren die Ärzte zwar nicht sehr besorgt, weil er
hoch ist, aber doch so, daß sie mir mitgeteilt haben, daß er sich an der oberen
Grenze und ein wenig darüber bewegt.
Als ich heute aufgestanden bin, hat es mich fast
zusammengedreht. Es hat sich abgespielt: mir war richtig schwindlig, mir war
richtig schlecht. Ich muß blaß wie eine Leiche gewesen sein (Kontrolle im
Spiegel: etwas übertrieben, aber nicht viel), Schweißausbruch und nahe am
Kotzen. Ich schwankte zwischen „Bitte nicht“ und „endlich spielt sich was ab.
Nimm's als einen bild- und geistlosen Trip und beobachte deine Umgebung. Schau,
ob sich vielleicht doch die Muster des Badezimmerbodens zu bewegen beginnen!“
Ich bin dann doch reumütig und dankbar ins Bett zurückgekehrt.
Aber jetzt schwanke ich zwischen „Aufstehen! Frühstücken!
Essen wird mir gut tun.“ und „Ich ruhe mich lieber aus, sonst falle ich beim
Aufstehen ganz zusammen!“.
Natürlich habe ich die Packungsbeilagen nicht gelesen – als
Selbstschutz, sonst würde ich völlig hypochondern, aber jetzt, für diesen Text
lese ich die des zuletzt hinzu gekommenen, schlagkräftigen Medikaments und
verzichte darauf, darauf weiter einzugehen. (War ja nur so eine Idee, viel zu
kompliziert das Ganze.)
Also bin ich nach einer längeren Ruhephase wieder
aufgestanden – ich war schon richtig hungrig und das Essen schien mir
Stabilisierung zu versprechen – und ging, ohne mich vorher rasiert zu haben
hinunter um mir ein Frühstück zu bereiten.
Großer Exkurs über das Rasieren: In den Zeiten meiner
tiefsten Depression war ich auch in Gefahr, meine Körperpflege allzu sehr zu
vernachlässigen. Ich gehöre nicht zu denen, die panisch werden, wenn sie nicht
viermal am Tag geduscht haben – und dazu stehe ich auch – aber das ging schon
ein bißchen zu weit. Das Harmloseste an diesem Desinteresse an Körperpflege
war, daß ich mich ungern, also lange nicht rasiert habe, bis dann der Bart
einfach mit dem Rasierapparat nicht mehr zu bearbeiten war und ich
infolgedessen mit längerem, eher ungepflegtem Vollbart herumgelaufen bin.
Irgendwann habe ich den dann mühsam wieder abgeschabt, oder – wenn ich auf
Luxus war – das beim Friseur erledigen lassen. Dann ist das wieder von vorne
losgegangen. Sagen wir … eine Woche habe ich mich rasiert, dann immer seltener
and so on. (oh, wenn ihr wüßtet, wie deppert mir solche englischen Einsprengsel
vorkommen! Erst, weil ich gar nicht Englisch kann. Wie ein kleiner Bub, der
stolz seine ersten englischen Brocken möglicherweise falsch präsentiert. Sehr
infantil!)
Das war jetzt ein kleinerer Exkurs über englische
Einsprengsel. Jetzt folgt ein kleinerer über „infantil“: wie gesagt, das
da oben ist infantil und natürlich auch die ganzen Pimperlgeschichten in den
vorigen Texten: kleiner Bub will vor den anderen und Mama angeben. Aber es
macht so Spaß!!! Also mir macht das Spaß (um nicht von Lust zu reden)! (Den
ganz kleinen Exkurs über Ausrufungszeichen spare ich mir!) (Wie sagte mein lieber, früherer Arbeitskollege Bernd? "Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit!")
Dann bin ich in meiner schon behandelten Depressionszeit auf
die Idee gekommen, mir einen Oberlippen- und Kinnbart stehen zu lassen. Das hat
mich gezwungen, mich täglich zu rasieren, noch dazu, wo ich nach einiger Zeit
dazu überging, den Oberlippenbart zwischen Nase und Oberlippe den Mund entlang ganz schmal zu halten. Somit wurde das rasieren – vor allem mit meinem billigen
Rasierapparat – schon ein wenig kompliziert und ich vermute, daß der Gedanke
ans Rasieren noch mehr auf meine Aufstehlust gedrückt hat, wie die Arbeiten der
Morgentoilette sich sowieso schon als Riesenpyramide an Mühe vor mir aufgebaut
hatten. Umso größer die Herausforderung. Aber da kann ich stur sein: aufstehen
- rasieren – frühstücken: das war der von mir festgelegte Ablauf und den habe
ich so gut wie immer eingehalten – immer ein kleinerer oder größerer Kampf.
Erst in letzter Zeit fange ich an, meist nach anfänglichem Widerstand das
Rasieren ein wenig genießen zu können. Jedenfalls: mit diesem Trick habe ich
meinen depressiven Geist überlistet, seine Aufmerksamkeit auf die „Schönheit“
(hihi) (Zitat aus dem sowjetischen Märchenfilm „die schöne Warwara“, meinem
liebsten Märchenfilm: „Wo ist die Schönheit!?! Pustekuchen mit der Schönheit!“)
und auf die Körperpflege zu richten und sie dort so gut es geht zu verankern.
(Ganz kleiner Exkurs über Tricks: ich liebe Tricks. Sicher
gibt es auch Situationen, wo Tricks nicht angemessen sind und ein ernsthaftes,
offenes Herangehen angebracht ist. Aber ich liebe Tricks; ich finde, sie sind
das genau Richtige beim Umgang mit Diven und sich sensibel-kompliziert gebenden
und eigendünkeligen Persönlichkei … äh … Personen.)
Beim Frühstück unten habe ich mich gestärkt, entgegen meine Gewohnheit
auch gleich einen kleinen Milchmischkaffee (Getreide + echt) vor und nach
meinem kompliziert und sensibel zusammengemischten Kräutertee getrunken, um
meinen Blutdruck zu heben. Dann habe ich mich erst rasiert - dabei mußte ich schon noch eine mentale
Hürde überwinden - und alles andere erledigt, habe zu meiner Frau gesagt „i
geh' schrei(b)m ins Paim; die Kuchl kannst ma lossn“, denn im meinem Geist
kreisten schon viele Schreibideen und viele, auch lustige Formulierungen und
Exkurse; das ist eine Phase, wo ich weiß, wenn ich das alles nicht bald aufschreibe, ist alles das bald wieder weg.
(9.5.2019)
©Peter Alois Rumpf
Mai 2019
peteraloisrumpf@gmail.com
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