Donnerstag, 9. Mai 2019

1333 Die Freuden des Niederen Blutdrucks


Nachdem ich mich auf die medizinischen Voruntersuchungen eingelassen habe, geht es jetzt Schlag auf Schlag: der Zwischenstand bis jetzt: vier täglich einzunehmende Medikamente. Ich schwanke zwischen Skepsis und „So nahe wollte ich die verbrecherische Pharmaindustrie nie an mich heranlassen!“ einerseits und „Her mit den Drogen! Her mit den Medikamenten! Her mit den Tabletten!“ andererseits. Interessant sind einmal für einen forschenden Geist die verschiedenen Größen, Farben und Formen der Dinger; und interessant für einen universalistisch gespinten, unakademischen Allroundphilosophen die große Frage: „Warum gibt es überhaupt so viele Tabletten und nicht viel mehr weniger?“ Nein, falsch! So: „Warum haben sie so unterschiedliche Formen, Größen und Farben?“ Manche sind kaum zu derschlucken und manche sind so klein, daß man fürchten muß, sie fallen in eine Ritze der Tischplatte oder verschwinden überhaupt zwischen den Molekülen derselben. Manche sind einfärbig, manche zweifärbig. Mein zuletzt dazugekommenens Medikament hat die Farben von einem etwas verschwommenen Twinnieislutscher: ein etwas milchiges Grün und Orange. Nebenbei: mir gefällt ja auch die Hülle der RedHotChiliPeppers-CD, wo eine Medikamentenkapsel – rot und weiß – abgebildet ist, auf der der Titel der CD geschrieben steht: „I'm with you“.

Bis jetzt hatte ich alle Medikamente ganz gut vertragen, aber das neue, das gestern in unseren Kreis aufgenommen wurde, hat es in sich! Der Arzt hat mich schon darauf aufmerksam gemacht, daß es den Blutdruck senkt und ich es deswegen am Abend nehmen sollte. Ich dachte mir: das paßt, denn was den Blutdruck betrifft, so waren die Ärzte zwar nicht sehr besorgt, weil er hoch ist, aber doch so, daß sie mir mitgeteilt haben, daß er sich an der oberen Grenze und ein wenig darüber bewegt.

Als ich heute aufgestanden bin, hat es mich fast zusammengedreht. Es hat sich abgespielt: mir war richtig schwindlig, mir war richtig schlecht. Ich muß blaß wie eine Leiche gewesen sein (Kontrolle im Spiegel: etwas übertrieben, aber nicht viel), Schweißausbruch und nahe am Kotzen. Ich schwankte zwischen „Bitte nicht“ und „endlich spielt sich was ab. Nimm's als einen bild- und geistlosen Trip und beobachte deine Umgebung. Schau, ob sich vielleicht doch die Muster des Badezimmerbodens zu bewegen beginnen!“ Ich bin dann doch reumütig und dankbar ins Bett zurückgekehrt.
Aber jetzt schwanke ich zwischen „Aufstehen! Frühstücken! Essen wird mir gut tun.“ und „Ich ruhe mich lieber aus, sonst falle ich beim Aufstehen ganz zusammen!“.

Natürlich habe ich die Packungsbeilagen nicht gelesen – als Selbstschutz, sonst würde ich völlig hypochondern, aber jetzt, für diesen Text lese ich die des zuletzt hinzu gekommenen, schlagkräftigen Medikaments und verzichte darauf, darauf weiter einzugehen. (War ja nur so eine Idee, viel zu kompliziert das Ganze.)

Also bin ich nach einer längeren Ruhephase wieder aufgestanden – ich war schon richtig hungrig und das Essen schien mir Stabilisierung zu versprechen – und ging, ohne mich vorher rasiert zu haben hinunter um mir ein Frühstück zu bereiten.

Großer Exkurs über das Rasieren: In den Zeiten meiner tiefsten Depression war ich auch in Gefahr, meine Körperpflege allzu sehr zu vernachlässigen. Ich gehöre nicht zu denen, die panisch werden, wenn sie nicht viermal am Tag geduscht haben – und dazu stehe ich auch – aber das ging schon ein bißchen zu weit. Das Harmloseste an diesem Desinteresse an Körperpflege war, daß ich mich ungern, also lange nicht rasiert habe, bis dann der Bart einfach mit dem Rasierapparat nicht mehr zu bearbeiten war und ich infolgedessen mit längerem, eher ungepflegtem Vollbart herumgelaufen bin. Irgendwann habe ich den dann mühsam wieder abgeschabt, oder – wenn ich auf Luxus war – das beim Friseur erledigen lassen. Dann ist das wieder von vorne losgegangen. Sagen wir … eine Woche habe ich mich rasiert, dann immer seltener and so on. (oh, wenn ihr wüßtet, wie deppert mir solche englischen Einsprengsel vorkommen! Erst, weil ich gar nicht Englisch kann. Wie ein kleiner Bub, der stolz seine ersten englischen Brocken möglicherweise falsch präsentiert. Sehr infantil!)

Das war jetzt ein kleinerer Exkurs über englische Einsprengsel. Jetzt folgt ein kleinerer über „infantil“: wie gesagt, das da oben ist infantil und natürlich auch die ganzen Pimperlgeschichten in den vorigen Texten: kleiner Bub will vor den anderen und Mama angeben. Aber es macht so Spaß!!! Also mir macht das Spaß (um nicht von Lust zu reden)! (Den ganz kleinen Exkurs über Ausrufungszeichen spare ich mir!) (Wie sagte mein lieber, früherer Arbeitskollege Bernd? "Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit!")

Dann bin ich in meiner schon behandelten Depressionszeit auf die Idee gekommen, mir einen Oberlippen- und Kinnbart stehen zu lassen. Das hat mich gezwungen, mich täglich zu rasieren, noch dazu, wo ich nach einiger Zeit dazu überging, den Oberlippenbart zwischen Nase und Oberlippe den Mund entlang ganz schmal zu halten. Somit wurde das rasieren – vor allem mit meinem billigen Rasierapparat – schon ein wenig kompliziert und ich vermute, daß der Gedanke ans Rasieren noch mehr auf meine Aufstehlust gedrückt hat, wie die Arbeiten der Morgentoilette sich sowieso schon als Riesenpyramide an Mühe vor mir aufgebaut hatten. Umso größer die Herausforderung. Aber da kann ich stur sein: aufstehen - rasieren – frühstücken: das war der von mir festgelegte Ablauf und den habe ich so gut wie immer eingehalten – immer ein kleinerer oder größerer Kampf. Erst in letzter Zeit fange ich an, meist nach anfänglichem Widerstand das Rasieren ein wenig genießen zu können. Jedenfalls: mit diesem Trick habe ich meinen depressiven Geist überlistet, seine Aufmerksamkeit auf die „Schönheit“ (hihi) (Zitat aus dem sowjetischen Märchenfilm „die schöne Warwara“, meinem liebsten Märchenfilm: „Wo ist die Schönheit!?! Pustekuchen mit der Schönheit!“) und auf die Körperpflege zu richten und sie dort so gut es geht zu verankern.

(Ganz kleiner Exkurs über Tricks: ich liebe Tricks. Sicher gibt es auch Situationen, wo Tricks nicht angemessen sind und ein ernsthaftes, offenes Herangehen angebracht ist. Aber ich liebe Tricks; ich finde, sie sind das genau Richtige beim Umgang mit Diven und sich sensibel-kompliziert gebenden und eigendünkeligen Persönlichkei … äh … Personen.)

Beim Frühstück unten habe ich mich gestärkt, entgegen meine Gewohnheit auch gleich einen kleinen Milchmischkaffee (Getreide + echt) vor und nach meinem kompliziert und sensibel zusammengemischten Kräutertee getrunken, um meinen Blutdruck zu heben. Dann habe ich mich erst rasiert  - dabei mußte ich schon noch eine mentale Hürde überwinden - und alles andere erledigt, habe zu meiner Frau gesagt „i geh' schrei(b)m ins Paim; die Kuchl kannst ma lossn“, denn im meinem Geist kreisten schon viele Schreibideen und viele, auch lustige Formulierungen und Exkurse; das ist eine Phase, wo ich weiß, wenn ich das alles nicht bald aufschreibe, ist alles das bald wieder weg.





(9.5.2019)





©Peter Alois Rumpf  Mai 2019  peteraloisrumpf@gmail.com

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