1251 Entlassungsbericht
Das lieben die Ärzte: eine Sprache verwenden, die
eindrucksvoll ausschaut (ausschauen soll) und fast niemand versteht. Gut, heute
gibt es ja Internet.
Aber es ist schon ein eigenartiges Gefühl, wenn man den
Entlassungsbericht (Uii! Da ist man sprachlich schon sehr nahe der
Behördenbürokratie und dem Aus-dem-Gefängnis-entlassen) vom REHA-Aufenthalt in
der Hand hält und liest (gut, daß man den in die Hand bekommt!). Nicht, daß da
etwas Gravierendes falsch wäre oder gar unfreundlich, nein! Aber es ist so
etwas wie ein Urteil.
Bin ich froh, daß es bei meinem Tod einen anderen
„Gerichtshof“ geben wird! Etwas anderes als ein Ärztekomitee, oder ein
Femegericht durch einen Stuhlherren (Petri Stuhlfeier), oder die Verurteilung
durch den Clan, weder Inquisition noch Lynchjustiz.
Damit kein Mißverständnis aufkommt: der Entlassungsbericht
ist korrekt und für mich hilfreich, auch den „Behörden“ und Institutionen
gegenüber. Letztlich jedoch möchte ich sub specie aeternitatis beurteilt
werden; das zählt für mich wirklich. (Schade, daß der Döbereiner so ein
Arschloch war, ihm habe ich das zugetraut! - aber das war vermutlich einer der
schwersten Fehler meines Lebens.)
Was mein „letztes Gericht“ betrifft: da habe ich größtes
Vertrauen, daß es angemessen, mitleidslos, aber mitfühlend, gerecht und
wahrhaftig sein wird, egal, ob mich im Sterben meine abgetriebenen Kinder oder
Jesus Christus abholen werden. Schwierigkeiten befürchte ich, wenn mich
Vorfahren abholen: ob sie wirklich schon entsprechend geläutert sind? Und mir
nicht bloß ihren Mist aufladen und mich beschimpfen wollen? Ob einer von denen
zu mir „danke!“ sagen würde, weil ich seinen Dreck aufräumen mußte (hätte
müssen)? Ich wüßte nicht, wer von den Vorfahren, von denen ich weiß, ein
freundliches Wort für mich haben sollte. Aber ich lasse mich gerne überraschen.
So absurd es klingt, aber wer immer mich abholen kommt, wenn
es kein Arschloch ist, werden wir beim Betrachten meines ablaufenden
Lebensfilms sehr viel zu lachen haben. Und weinen. Einige Stellen werden auch
schrecklich und schmerzhaft sein, vor allem wo es um die Folgen meiner
Handlungen gehen wird. Genauso wie es angemessen ist wird es sein. Alles da,
was zu einem guten Film gehört. Ob es ein Happy End geben wird, wird sich
weisen. Beziehungsweise hoffe ich, bis zum Bereich, wo es kein gut und böse
mehr gibt, mithalten zu können („Jenseits der Idee von gut und böse liegt eine
Wirklichkeit, dort werden wir uns treffen.“ Dschalal ad-Din Muhammad ar-Rumi)
und daß ich weder weglaufe, noch vorher einschlafe, noch daß es mich vorm Ende
des Film im Schock zerreißt.
Trotzdem gilt: auf diesen Kinobesuch freue ich mich jetzt
schon und ich werde garantiert nicht im falschen Film sitzen.
(13.2.2019)
©Peter Alois Rumpf Februar 2019
peteraloisrumpf@gmail.com
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