865 Zeit fürs Abendgebet
Durch das offene Fenster strömt die kalte, feuchte Luft,
während draußen der Regen pritschelt. Die Fensterflügel bewegen sich im
Luftzug. Zeit fürs Abendgebet. Meinen täglichen Text gibt uns heute. Das ist
weniger zynisch, als es klingt. Ich jedenfalls kann den täglichen Text gut
brauchen. Er ernährt mich. Nicht mit Geld. Meine Seele braucht ihn. Ich kann
mir einreden, nicht ganz nutzlos hier herunten zu sein. Die Schreiberei gibt
meinem Leben ein bißchen eine Richtung. Oder die Illusion einer Richtung.
Zumindest das. Könnt' schon sein, daß es eher mein Ego ist, das ihn, meinen kleinen Text, braucht.
Jetzt hat der Regen aufgehört. Geflüster aus dem Lichtschacht.
Ich verschreibe mich ständig. Statt „ihn“ schreibe ich „ich“. Wie verräterisch!
(Aber möglicherweise ist gar nichts falsch an dieser Ich-zentration:
schließlich kenne ich mich noch gar nicht. Nach einem Leben in permanenter
Trance.) Und bevor mir „Lichtschacht“ gelungen ist, habe ich „Lichtschaft“ und
dann „Lichtsacht“ hingeschrieben. Mit der Hand. Keine Tippfehler. (Die kommen
noch erschwerend hinzu - wenn ich Döbereiner zitieren darf.) Mein Hirn oder was
auch immer zieht mich in eine andere Richtung; es will meine üblichen Gedanken,
Worte und Werke nicht mehr.
Oder ist es der in mich hineinprogrammierte Selbstboykott,
der mir ständig das Wasser abgräbt und alle Versuche, mein Leben in Ordnung zu
bringen, torpediert? Hat der vor meiner Schreiberei Angst? Das wäre ein gutes
Zeichen.
Jetzt regnet es wieder sachte.
Oder ist es die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, die
mich von meiner Verlogenheit weg hin zu lauteren Gedanken, Worten und Werken
leiten will? Wird deswegen der „Lichtschacht“ boykottiert? Warum? „Lichtschaft“!
„Eure Lichtschaft!“ - könnte die ehrwürdigende Anrede für ein erleuchtetes
Lichtwesen sein. (Zuerst: „erb-“, dann „erh-“ und dann erst „ehrwürdig“. Das
dann korrigiert auf „ehrwürdigend“.) Und „Lichtsacht“? Das Licht ist sacht,
oder man solle sich ihm sacht nähern? Und was wäre „erbwürdig“? Also ich habe
kein Erbe mehr zu erwarten und selber nichts, gar nichts zu vererben. Außer
Bücher, Platten, CDs. Und „erbwürdigend“? Hm? Irgendwelche Ideen dazu? Nein?
Jetzt schwindelst du. Und „erh-“? Was soll das? Auf welche Spur will mich die
Wahrheit und nichts als die Wahrheit mit „erh-“ locken? Erh-öhen? Erh-olen?
Erh-eischen? Erh-aben? Erh- …
Ich geh jetzt schlafen.
(18./19.1.2018)
©Peter Alois Rumpf Jänner
2018 peteraloisrumpf@gmail.com
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