Freitag, 19. Januar 2018

865 Zeit fürs Abendgebet

Durch das offene Fenster strömt die kalte, feuchte Luft, während draußen der Regen pritschelt. Die Fensterflügel bewegen sich im Luftzug. Zeit fürs Abendgebet. Meinen täglichen Text gibt uns heute. Das ist weniger zynisch, als es klingt. Ich jedenfalls kann den täglichen Text gut brauchen. Er ernährt mich. Nicht mit Geld. Meine Seele braucht ihn. Ich kann mir einreden, nicht ganz nutzlos hier herunten zu sein. Die Schreiberei gibt meinem Leben ein bißchen eine Richtung. Oder die Illusion einer Richtung. Zumindest das. Könnt' schon sein, daß es eher mein Ego ist, das ihn, meinen kleinen Text, braucht.

Jetzt hat der Regen aufgehört. Geflüster aus dem Lichtschacht. Ich verschreibe mich ständig. Statt „ihn“ schreibe ich „ich“. Wie verräterisch! (Aber möglicherweise ist gar nichts falsch an dieser Ich-zentration: schließlich kenne ich mich noch gar nicht. Nach einem Leben in permanenter Trance.) Und bevor mir „Lichtschacht“ gelungen ist, habe ich „Lichtschaft“ und dann „Lichtsacht“ hingeschrieben. Mit der Hand. Keine Tippfehler. (Die kommen noch erschwerend hinzu - wenn ich Döbereiner zitieren darf.) Mein Hirn oder was auch immer zieht mich in eine andere Richtung; es will meine üblichen Gedanken, Worte und Werke nicht mehr.

Oder ist es der in mich hineinprogrammierte Selbstboykott, der mir ständig das Wasser abgräbt und alle Versuche, mein Leben in Ordnung zu bringen, torpediert? Hat der vor meiner Schreiberei Angst? Das wäre ein gutes Zeichen.

Jetzt regnet es wieder sachte.

Oder ist es die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, die mich von meiner Verlogenheit weg hin zu lauteren Gedanken, Worten und Werken leiten will? Wird deswegen der „Lichtschacht“ boykottiert? Warum? „Lichtschaft“! „Eure Lichtschaft!“ - könnte die ehrwürdigende Anrede für ein erleuchtetes Lichtwesen sein. (Zuerst: „erb-“, dann „erh-“ und dann erst „ehrwürdig“. Das dann korrigiert auf „ehrwürdigend“.) Und „Lichtsacht“? Das Licht ist sacht, oder man solle sich ihm sacht nähern? Und was wäre „erbwürdig“? Also ich habe kein Erbe mehr zu erwarten und selber nichts, gar nichts zu vererben. Außer Bücher, Platten, CDs. Und „erbwürdigend“? Hm? Irgendwelche Ideen dazu? Nein? Jetzt schwindelst du. Und „erh-“? Was soll das? Auf welche Spur will mich die Wahrheit und nichts als die Wahrheit mit „erh-“ locken? Erh-öhen? Erh-olen? Erh-eischen? Erh-aben? Erh- …

Ich geh jetzt schlafen.






(18./19.1.2018)









©Peter Alois Rumpf    Jänner 2018     peteraloisrumpf@gmail.com

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