862 Bekenntnisse
Ein schöner Tag ist zu Ende gegangen; reich an Musik, Spiel,
Unterhaltung. Ein richtiger Sonntag – so sage ich. Es gibt Leute, die würden
vielleicht sagen: der Gottesdienst hat gefehlt.
Tatsächlich bin ich heute beim Christbaumentsorgen an einer
Kirche vorbeigekommen, in der gerade ein Gottesdienst (oder wie soll ich es
sonst nennen?) stattgefunden hat. Ich habe das Vaterunser singen hören. Da hat
es mir einen leichten Stich gegeben, warum ich nicht dabei bin. Wie ich mich
auch jedesmal eingeladen fühle, wenn ich Kirchenglocken höre, mehr noch, in
meiner Seele erhebt sich etwas wie im Aufwind – ich habe nichts gegen
Kirchengeläut – ich verbinde damit optimistische, positive Gefühle.
Dieser Stich vor der Kirche war also mit leichtem Schmerz
verbunden, weil ich nicht mehr zur Messe gehe. Ich gehe nicht mehr in die
Messe; ich gehöre nicht hin. Ich gehöre nicht dazu.
Außerdem ist mein - durchaus fragwürdiges - Bedürfnis nach
Erlösung so groß, daß ich, jedesmal wenn ich in einer Messe sitze, mindestens
beim „Herr, erbarme dich unser!“ und beim „Oh Herr, ich bin nicht würdig, daß
du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele
gesund!“ den Kopf senken muß, damit man nicht sieht, wie mir die Tränen in die
Augen steigen. Oder wenn zum Beispiel ein schönes Kirchenlied mit schönem Text
gesungen wird – was eher selten der Fall ist – dann ist es schon vorgekommen,
daß mir die Stimme bricht und ich nicht weitersingen konnte. Oder das „Erhebet
die Herzen!“ - wir geht mir diese Ermutigung ab!
Ja und eben „... ein Wort, so wird meine Seele gesund“: ein
Wort und: gesund! Eine gesunde Seele! - wie ich mich danach sehne! Die Wunden
sind verheilt („Seht wie die Wunden prangen!“ - so ein schönes Osterlied!) und
die schmerzhaften Erfahrungen von Scheitern und von Verletzungen – die
empfangenen und die zugefügten – können transformiert werden in etwas wie
Einsicht und Kompetenz. Und eigentlich in etwas viel Größeres noch.
Und überhaupt gehen mir der dramaturgische Ablauf der
katholischen Messe und die meisten Gebete sehr nahe. Auch die Stille und das
Innehalten bei der Wandlung, fast ein magischer Moment, fast steht die Zeit
still. (Wird dabei wirklich Tonal in Nagual (zurück)verwandelt?) (Oder besteht
zumindest die reale Chance, daß das geschehen kann?) Ich weiß es nicht; ich bin
kein Seher. Aber daß diese Verwandlung zumindest als Thema vorkommt – das ist
schon was.
Ich kann nicht mehr zurück, ich habe es ja ein halbes Leben
lang versucht. Oder sagen wir: mehr als ein drittel Leben lang. Jedenfalls
vergeblich. Ich hätte es auch gar nicht mehr versucht, wenn mir nicht der
Döbereiner - ja ich weiß, immer dieser Döbereiner; das geht schon auf die
Nerven! – wenn mir dieser Döbereiner das nicht nahegelegt hätte.
Eine Zeit lang habe ich bei diesem Versuch zurückzufinden
täglich eine Messe besucht. Kein schlechtes Gefühl, den Tag damit zu beginnen;
es war mir oft so, als würde ich der Welt des Common Sense und seinen Ansprüchen
damit die lange Nase zeigen. Und ich habe heute noch den Eindruck, daß dort
mehr meiner Herzensanliegen verhandelt und behandelt werden, als bei den
meisten Partygesprächen. Oder als ich regelmäßig das Stundengebet gebetet habe.
Ich will jetzt nicht behaupten, daß die Andacht dabei immer groß war, im
Gegenteil, die innere Ablenkung war meistens sehr stark, aber dennoch: es war
ein guter Start in den Tag und ein friedlicher Tagesabschluß.
Ich kann mich noch genau erinnern: als ich in den späten
Siebzigerjahren aus der Kirche ausgetreten bin, hat es mir einen ordentlichen
Stich ins Herz gegeben. Mich hat das damals sehr verwundert, denn mit der
Kirche hatte ich schon länger nichts mehr am Hut und war ihr zeitgeistgemäß
feindlich gesonnen (gute Gründe dafür findet man en masse). Aber der Stich war
eindeutig. Und ich habe mir dann gedacht: Okay! Gut! Jetzt stehe ich mit meinem
Leben und meinen Handlungen allein da. Für meine Taten bin ich jetzt allein
verantwortlich, aber nur für meine. Ich schleppe jetzt nichts mehr von dieser
Tradition mit, muß nichts mehr davon rechtfertigen. Ich muß die Verantwortung
für meine Handlungen und deren Folgen alleine tragen. Nicht mehr in kollektiven
Ritualen geschützt, aber frei. Auf eigene Faust unterwegs. Ich bin dazu bereit.
Ich habe das damals als Befreiung empfunden. Als eine
schmerzhafte zwar, aber eine Befreiung. Mit der Bereitschaft, mich in
Eigenverantwortung dem Leben zu stellen.
Keine schlechte Einstellung, würde ich sagen. Wie schon
erwähnt: ich hatte mich nur sehr gewundert, wie dieser Schritt, nach so langer
Zeit als sogenannter Atheist im antiklerikalen Milieu, in mir noch soetwas wie
Schmerz auslösen kann. (Das Intellektuelle bewegt sich halt immer nur im
Oberflächlichen und hat von den tiefen Schichten der Seele wenig Ahnung.)
Keine schlechte Einstellung, wenn ich auch heute bekennen
muß, damit gescheitert zu sein. Ich habe meinen Weg nicht gefunden und stehe
mit leeren Händen da.
Mein drittel Leben langes Bemühen, zur Kirche
zurückzufinden, kommt mir jetzt als vergebliche Liebesmühe und bloßes
Engerieverschwenden vor. Ich habe den falschen Baum angebellt. Dafür habe ich
die besten Jahre meines Lebens geopfert. Nein, ich gehe nicht mehr in die
Kirche. Ich gehöre nicht dazu. Auch das Hängenbleiben im Niemandsland,
sozusagen zwischen den Fronten, würde ich nicht mehr aushalten. Hinfinden kann
ich nicht mehr - meine Entscheidung damals in den Siebzigern (an meine Gefühle
damals kann ich mich genau erinnern, an das exakte Datum oder wenigstens das
Jahr nicht mehr) war eine echte Lebensentscheidung – Hinfinden kann ich also
nicht mehr, darum lasse ich es bleiben. Trotz aller Wehmut.
(14./15.1.2018)
©Peter Alois Rumpf Jänner
2018 peteraloisrumpf@gmail.com
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