Montag, 15. Januar 2018

862 Bekenntnisse

Ein schöner Tag ist zu Ende gegangen; reich an Musik, Spiel, Unterhaltung. Ein richtiger Sonntag – so sage ich. Es gibt Leute, die würden vielleicht sagen: der Gottesdienst hat gefehlt.

Tatsächlich bin ich heute beim Christbaumentsorgen an einer Kirche vorbeigekommen, in der gerade ein Gottesdienst (oder wie soll ich es sonst nennen?) stattgefunden hat. Ich habe das Vaterunser singen hören. Da hat es mir einen leichten Stich gegeben, warum ich nicht dabei bin. Wie ich mich auch jedesmal eingeladen fühle, wenn ich Kirchenglocken höre, mehr noch, in meiner Seele erhebt sich etwas wie im Aufwind – ich habe nichts gegen Kirchengeläut – ich verbinde damit optimistische, positive Gefühle.

Dieser Stich vor der Kirche war also mit leichtem Schmerz verbunden, weil ich nicht mehr zur Messe gehe. Ich gehe nicht mehr in die Messe; ich gehöre nicht hin. Ich gehöre nicht dazu.

Außerdem ist mein - durchaus fragwürdiges - Bedürfnis nach Erlösung so groß, daß ich, jedesmal wenn ich in einer Messe sitze, mindestens beim „Herr, erbarme dich unser!“ und beim „Oh Herr, ich bin nicht würdig, daß du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund!“ den Kopf senken muß, damit man nicht sieht, wie mir die Tränen in die Augen steigen. Oder wenn zum Beispiel ein schönes Kirchenlied mit schönem Text gesungen wird – was eher selten der Fall ist – dann ist es schon vorgekommen, daß mir die Stimme bricht und ich nicht weitersingen konnte. Oder das „Erhebet die Herzen!“ - wir geht mir diese Ermutigung ab!

Ja und eben „... ein Wort, so wird meine Seele gesund“: ein Wort und: gesund! Eine gesunde Seele! - wie ich mich danach sehne! Die Wunden sind verheilt („Seht wie die Wunden prangen!“ - so ein schönes Osterlied!) und die schmerzhaften Erfahrungen von Scheitern und von Verletzungen – die empfangenen und die zugefügten – können transformiert werden in etwas wie Einsicht und Kompetenz. Und eigentlich in etwas viel Größeres noch.

Und überhaupt gehen mir der dramaturgische Ablauf der katholischen Messe und die meisten Gebete sehr nahe. Auch die Stille und das Innehalten bei der Wandlung, fast ein magischer Moment, fast steht die Zeit still. (Wird dabei wirklich Tonal in Nagual (zurück)verwandelt?) (Oder besteht zumindest die reale Chance, daß das geschehen kann?) Ich weiß es nicht; ich bin kein Seher. Aber daß diese Verwandlung zumindest als Thema vorkommt – das ist schon was.

Ich kann nicht mehr zurück, ich habe es ja ein halbes Leben lang versucht. Oder sagen wir: mehr als ein drittel Leben lang. Jedenfalls vergeblich. Ich hätte es auch gar nicht mehr versucht, wenn mir nicht der Döbereiner - ja ich weiß, immer dieser Döbereiner; das geht schon auf die Nerven! – wenn mir dieser Döbereiner das nicht nahegelegt hätte.

Eine Zeit lang habe ich bei diesem Versuch zurückzufinden täglich eine Messe besucht. Kein schlechtes Gefühl, den Tag damit zu beginnen; es war mir oft so, als würde ich der Welt des Common Sense und seinen Ansprüchen damit die lange Nase zeigen. Und ich habe heute noch den Eindruck, daß dort mehr meiner Herzensanliegen verhandelt und behandelt werden, als bei den meisten Partygesprächen. Oder als ich regelmäßig das Stundengebet gebetet habe. Ich will jetzt nicht behaupten, daß die Andacht dabei immer groß war, im Gegenteil, die innere Ablenkung war meistens sehr stark, aber dennoch: es war ein guter Start in den Tag und ein friedlicher Tagesabschluß.

Ich kann mich noch genau erinnern: als ich in den späten Siebzigerjahren aus der Kirche ausgetreten bin, hat es mir einen ordentlichen Stich ins Herz gegeben. Mich hat das damals sehr verwundert, denn mit der Kirche hatte ich schon länger nichts mehr am Hut und war ihr zeitgeistgemäß feindlich gesonnen (gute Gründe dafür findet man en masse). Aber der Stich war eindeutig. Und ich habe mir dann gedacht: Okay! Gut! Jetzt stehe ich mit meinem Leben und meinen Handlungen allein da. Für meine Taten bin ich jetzt allein verantwortlich, aber nur für meine. Ich schleppe jetzt nichts mehr von dieser Tradition mit, muß nichts mehr davon rechtfertigen. Ich muß die Verantwortung für meine Handlungen und deren Folgen alleine tragen. Nicht mehr in kollektiven Ritualen geschützt, aber frei. Auf eigene Faust unterwegs. Ich bin dazu bereit.

Ich habe das damals als Befreiung empfunden. Als eine schmerzhafte zwar, aber eine Befreiung. Mit der Bereitschaft, mich in Eigenverantwortung dem Leben zu stellen.
Keine schlechte Einstellung, würde ich sagen. Wie schon erwähnt: ich hatte mich nur sehr gewundert, wie dieser Schritt, nach so langer Zeit als sogenannter Atheist im antiklerikalen Milieu, in mir noch soetwas wie Schmerz auslösen kann. (Das Intellektuelle bewegt sich halt immer nur im Oberflächlichen und hat von den tiefen Schichten der Seele wenig Ahnung.)

Keine schlechte Einstellung, wenn ich auch heute bekennen muß, damit gescheitert zu sein. Ich habe meinen Weg nicht gefunden und stehe mit leeren Händen da.

Mein drittel Leben langes Bemühen, zur Kirche zurückzufinden, kommt mir jetzt als vergebliche Liebesmühe und bloßes Engerieverschwenden vor. Ich habe den falschen Baum angebellt. Dafür habe ich die besten Jahre meines Lebens geopfert. Nein, ich gehe nicht mehr in die Kirche. Ich gehöre nicht dazu. Auch das Hängenbleiben im Niemandsland, sozusagen zwischen den Fronten, würde ich nicht mehr aushalten. Hinfinden kann ich nicht mehr - meine Entscheidung damals in den Siebzigern (an meine Gefühle damals kann ich mich genau erinnern, an das exakte Datum oder wenigstens das Jahr nicht mehr) war eine echte Lebensentscheidung – Hinfinden kann ich also nicht mehr, darum lasse ich es bleiben. Trotz aller Wehmut.










(14./15.1.2018)













©Peter Alois Rumpf    Jänner 2018     peteraloisrumpf@gmail.com

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