839 Ein Lob auf meine Depression
Aufreizend ausgebreitet liegt meine Unterhose schräg da
hingeworfen oben am Kleiderberg auf dem Stuhl. Schaut geradezu kühn aus und
frech. Der oberste Zipfel der Unterhose hat sich auch noch an die Konsole mit
den Weihräuchergeräten gelehnt, so, daß der Eindruck entsteht, als würde sie
diesen Zipfel selbstbewußt aufrecht halten. Eine Unterhose, die sich nicht
demütig beugt und unterwirft (obwohl sie Unterhose heißt und ganz
wirklich so geworfen wurde). Ansonsten ist meine Welt klein.
Meine kleine Welt. Das ist keine Idylle. Klein heißt
kleinlich. Und ängstlich. Vorm Raufklettern und vorm Hinunterfallen. Vorm
Attackiertwerden (unfreundlich) und vorm Reingelegtwerden (freundlich).
Aber jetzt fühle ich mich halbwegs sicher hier im Bett. An
die Arbeiter vor der Wohnungstür mit ihrem Maschinen- und Gerätelärm habe ich
mich einigermaßen gewöhnt, nur an ihren Zigarettenrauch nicht, der sich
offensichtlich durch die Ritzen meiner Welt zu mir hereinschwindelt. Auch nicht
an die Radioklänge, dieses morgendliche Optimismusgedudel, das durch die Tür
hereindrängt. Das stört besonders meine Morgenstille, die knappen ein, zwei Stunden, an
denen es hier normalerweise still ist (immer muß ich mich gegen Lärm behaupten). Mir ist
jedoch meine Morgendepression beim Arsch lieber, als dieses kollektive
Fröhlichkeitsgezappel aus den morgendlichen Radios beim Gesicht. Und die
hysterischen Stimmen der Werbeeinschaltungen! Pfui! Nein, das sind lauter
Süchtige und Abhängige, die so etwas brauchen, um in der Früh aufzukommen. Ich
verachte Leute, die ständig ihre innere Leere zudecken und jede Stille
zerstören müssen mit Aktivität oder Lärm oder schlechter Musik, weil sie die
schmerzhaften Bilder und Erinnerungen fürchten, die in ihrer Stille in ihnen
aufsteigen würden. (Frage: Steht mir eine solche Verurteilung zu? Antwort:
Nein! Überhaupt nicht. Dennoch:) Ein Lob auf meine Depression. Sie traut sich
wenigstens ansatzweise, sich der Vergangenheit und ihren wirklichen
Auswirkungen in meinem Hier und Jetzt zu stellen. Ansatzweise. Ich bin ganz
stolz auf sie!
(5./6.12.2017)
©Peter Alois Rumpf Dezember
2017 peteraloisrumpf@gmail.com
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