496 Ich bin ein bekennender Romantiker
Das Fußende eines Bettdeckenbezuges ist für mich das
Ende, wo sich der Reißverschluß oder die Knöpfe befinden. Deshalb sehe ich im
Bett liegend die romantische Landschaft auf meinem Bettdeckenüberzug verkehrt.
Die Bäume, Sträucher, die Gebäude – oh! jetzt läuft gerade ein hellroter Fleck
über die noch ziemlich weiße Fläche meiner Notizbuchseite! - alles verkehrt.
Ich bin ein romantischer Mensch, liebe blaue Blumen, Ruinen und Haine. Und
Spazierengehen. Schon in meiner Jugend. Und zwar alleine. Ein wirklicher
Romantiker geht alleine spazieren. Damals oft mit dem Kofferradio im Arm.
Sicher, wenn du mich damals gefragt hättest, ob ich nicht lieber mit einem
Mädchen spazieren würde, wäre ich rot geworden und hätte verlegen, zaudernd,
stumm und schüchtern genickt. Aber wäre ich wirklich mit einem Mädchen spazieren
gegangen, hätte ich mich vor Angst fast angemacht – jedenfalls hätte ich
plötzlich wirklich dringend aufs Klo müssen – und Schweißausbrüche hätte ich
auch gehabt. Nein, nein, da lieber Romantiker mit Kofferradio. Ja, das war
damals. Na gut. Was wollte ich eigentlich erzählen? Ach ja! Die romantischen
Motive auf meinem Bettdeckenüberzug sehe ich kaum, denn tagsüber ist sie mit
der Tagesdecke abgedeckt und wenn ich mich ins Bett lege, ist sie verkehrt.
Auch wenn die Tagesdecke vorwiegend rot ist, man könnte sie ebenfalls als
romantisch bezeichnen. Ich tue es zumindest, immerhin habe ich sie in
einem america-latina-Geschäft gekauft. … Na! Indianerromantik und so!
Gut, das wäre das. Was noch?
Ja, die Notizbuchseite strahlt nicht mehr so weiß, denn sie
ist jetzt schon mit blauer Schrift vollgeschrieben; mit blaß-blauer Schrift
wohlgemerkt! Ich ziehe eigentlich eine dunkelblaue oder schwarze Schrift vor,
weil ich die beim schlechten Licht im Atelier, wo der Computer steht, besser
lesen kann. Und meine Handschrift lesen ist wirklich eine Herausforderung, auch
für mich, nicht nur wegen des schlechten Lichts, sondern schon wegen meiner
Handschrift. Korrekterweise müßte es außerdem Ex-Atelier heißen, obwohl der
Fußboden noch voller Farbflecken ist, aber es malt dort niemand mehr und
niemand bedruckt dort noch Stoffe. Auch nicht ganz korrekt: die Kinder machen
noch manchmal was. Was heißt Kinder! Sie sind ja schon längst Teenager!
Jedenfalls sind der schwarze und der dunkelblaue Kugelschreiber auf meinem
Nachtkästchen schon leergeschrieben. D'rum bloß blaßblau. Gut, das ist jetzt
auch nicht so wichtig. Obwohl es gut zur Romantik paßt.
Ja, ich bin ein bekennender Romantiker, der es aber manchmal
verleugnet. Was bleibt einem als Taugenichts denn schon viel anderes übrig? Ich
meine das Romantiker-Sein, nicht das Verleugnen. Verleugnen, na ja, manchmal
will man halt auch etwas härter und fester und robuster erscheinen. Aber
wahrscheinlich nimmt mir das eh niemand ab. Kennen sie übrigens den Cartoon,
ach, von wem? - das habe ich jetzt vergessen! - als Romatiker kann man sich ein
schlechtes Namensgedächtnis leisten – also dem „wahrscheinlich guckt wieder
kein Schwein zu!“? Ist mir jetzt nur so eingefallen.
Mein halb Pseudo- halb Nicht-Pseudo-Altärchen dort an der
Wand könnte man auch als Ausdruck einer romantischen Gesinnungs- und
Gefühlslage betrachten, inklusive der darin zu Tage tretenden Zerrissenheit.
Ja, noch was?
Die Liebe zum Schlaf und zu den Träumen, zum Nichtstun, zum
Im-Zug-beim-Fenster-Hinausschauen, zu eigenartigen Formulierungen und
Grammatikanwendungen, ganz wichtig - mein Lieblingsdichter Juan Ramon Jimenez!
(Übrigens viel zu klar und streng, um als Romantiker durchzugehen. Er ist ein
Klassiker.) Vielleicht auch Sturm Graz, jedenfalls der Grimming. Und natürlich
die Musik! Die Liebe zur Musik. Vom Bach, der garantiert überhaupt kein
Romantiker war – nicht nur zeitlich nicht, sondern auch wesentlich nicht – zur
Winterreise, Big Fun, Revolutionary Ensemble, Enter a Uh; ja, und auch
Atahualpa Yupanqui, mein Gott! ich lasse so viel aus!, Thick as a Brick, den
Zimmermann-Bertl – gestern gerade habe ich wieder sein „Blind Willie McTell“
gehört; ach! deren wären so viele! L'Orfeo nicht vergessen – hat den gleichen
Geburtstag wie ich; die Kirchenmusik! Die Märchenfilme von Alexander
Arturowitsch Rou – auch mein Geburtstag. Der auftätowierte Orion. Ich muß aufhören! Aufhören!
Ich muß aufhören.
Ein gewisses Spiel mit rustikaler Bodenständigkeit
–(vergleiche oben „Zimmermann-Bertl“) bei gleichzeitig enormer Entfremdung kann
auch zur Romantik gehören, aber damit begeben wir uns in gefährliches Gewässer,
nahe der Absturzstelle zu ihrer dunklen Seite. Und das meine ich ernst! Sie
wissen schon – rückwärtsgewandte Utopie. Politisch sehr gefährlich! Oder etwa
nicht?
(10./11.11.)
©Peter Alois Rumpf November
2016 peteraloisrumpf@gmail.com
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