Freitag, 11. November 2016

496 Ich bin ein bekennender Romantiker

Das Fußende eines Bettdeckenbezuges ist für mich das Ende, wo sich der Reißverschluß oder die Knöpfe befinden. Deshalb sehe ich im Bett liegend die romantische Landschaft auf meinem Bettdeckenüberzug verkehrt. Die Bäume, Sträucher, die Gebäude – oh! jetzt läuft gerade ein hellroter Fleck über die noch ziemlich weiße Fläche meiner Notizbuchseite! - alles verkehrt. Ich bin ein romantischer Mensch, liebe blaue Blumen, Ruinen und Haine. Und Spazierengehen. Schon in meiner Jugend. Und zwar alleine. Ein wirklicher Romantiker geht alleine spazieren. Damals oft mit dem Kofferradio im Arm. Sicher, wenn du mich damals gefragt hättest, ob ich nicht lieber mit einem Mädchen spazieren würde, wäre ich rot geworden und hätte verlegen, zaudernd, stumm und schüchtern genickt. Aber wäre ich wirklich mit einem Mädchen spazieren gegangen, hätte ich mich vor Angst fast angemacht – jedenfalls hätte ich plötzlich wirklich dringend aufs Klo müssen – und Schweißausbrüche hätte ich auch gehabt. Nein, nein, da lieber Romantiker mit Kofferradio. Ja, das war damals. Na gut. Was wollte ich eigentlich erzählen? Ach ja! Die romantischen Motive auf meinem Bettdeckenüberzug sehe ich kaum, denn tagsüber ist sie mit der Tagesdecke abgedeckt und wenn ich mich ins Bett lege, ist sie verkehrt. Auch wenn die Tagesdecke vorwiegend rot ist, man könnte sie ebenfalls als romantisch bezeichnen. Ich tue es zumindest, immerhin habe ich sie in einem america-latina-Geschäft gekauft. … Na! Indianerromantik und so!

Gut, das wäre das. Was noch?

Ja, die Notizbuchseite strahlt nicht mehr so weiß, denn sie ist jetzt schon mit blauer Schrift vollgeschrieben; mit blaß-blauer Schrift wohlgemerkt! Ich ziehe eigentlich eine dunkelblaue oder schwarze Schrift vor, weil ich die beim schlechten Licht im Atelier, wo der Computer steht, besser lesen kann. Und meine Handschrift lesen ist wirklich eine Herausforderung, auch für mich, nicht nur wegen des schlechten Lichts, sondern schon wegen meiner Handschrift. Korrekterweise müßte es außerdem Ex-Atelier heißen, obwohl der Fußboden noch voller Farbflecken ist, aber es malt dort niemand mehr und niemand bedruckt dort noch Stoffe. Auch nicht ganz korrekt: die Kinder machen noch manchmal was. Was heißt Kinder! Sie sind ja schon längst Teenager! Jedenfalls sind der schwarze und der dunkelblaue Kugelschreiber auf meinem Nachtkästchen schon leergeschrieben. D'rum bloß blaßblau. Gut, das ist jetzt auch nicht so wichtig. Obwohl es gut zur Romantik paßt.

Ja, ich bin ein bekennender Romantiker, der es aber manchmal verleugnet. Was bleibt einem als Taugenichts denn schon viel anderes übrig? Ich meine das Romantiker-Sein, nicht das Verleugnen. Verleugnen, na ja, manchmal will man halt auch etwas härter und fester und robuster erscheinen. Aber wahrscheinlich nimmt mir das eh niemand ab. Kennen sie übrigens den Cartoon, ach, von wem? - das habe ich jetzt vergessen! - als Romatiker kann man sich ein schlechtes Namensgedächtnis leisten – also dem „wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein zu!“? Ist mir jetzt nur so eingefallen.

Mein halb Pseudo- halb Nicht-Pseudo-Altärchen dort an der Wand könnte man auch als Ausdruck einer romantischen Gesinnungs- und Gefühlslage betrachten, inklusive der darin zu Tage tretenden Zerrissenheit.

Ja, noch was?

Die Liebe zum Schlaf und zu den Träumen, zum Nichtstun, zum Im-Zug-beim-Fenster-Hinausschauen, zu eigenartigen Formulierungen und Grammatikanwendungen, ganz wichtig - mein Lieblingsdichter Juan Ramon Jimenez! (Übrigens viel zu klar und streng, um als Romantiker durchzugehen. Er ist ein Klassiker.) Vielleicht auch Sturm Graz, jedenfalls der Grimming. Und natürlich die Musik! Die Liebe zur Musik. Vom Bach, der garantiert überhaupt kein Romantiker war – nicht nur zeitlich nicht, sondern auch wesentlich nicht – zur Winterreise, Big Fun, Revolutionary Ensemble, Enter a Uh; ja, und auch Atahualpa Yupanqui, mein Gott! ich lasse so viel aus!, Thick as a Brick, den Zimmermann-Bertl – gestern gerade habe ich wieder sein „Blind Willie McTell“ gehört; ach! deren wären so viele! L'Orfeo nicht vergessen – hat den gleichen Geburtstag wie ich; die Kirchenmusik! Die Märchenfilme von Alexander Arturowitsch Rou – auch mein Geburtstag. Der auftätowierte Orion. Ich muß aufhören! Aufhören!
Ich muß aufhören.

Ein gewisses Spiel mit rustikaler Bodenständigkeit –(vergleiche oben „Zimmermann-Bertl“) bei gleichzeitig enormer Entfremdung kann auch zur Romantik gehören, aber damit begeben wir uns in gefährliches Gewässer, nahe der Absturzstelle zu ihrer dunklen Seite. Und das meine ich ernst! Sie wissen schon – rückwärtsgewandte Utopie. Politisch sehr gefährlich! Oder etwa nicht?







(10./11.11.)











©Peter Alois Rumpf    November 2016     peteraloisrumpf@gmail.com


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