Dienstag, 19. April 2022

2665 LSD

 

Wann immer ich mein Leben betrachtet habe, so hatte ich stets das Gefühl, dass etwas Grundlegendes nicht stimmt, dass in meiner Persönlichkeit ein Sprung verläuft, sodass mir nie gelungen ist, vor allem beruflich Boden unter den Füßen zu bekommen, dass ich nie meinen mir vielleicht doch zustehenden Platz in Welt und Gesellschaft einnehmen und behaupten konnte; wie wenn eine in die Tiefen des Unterbewußtseins versenkte, aber ständig wirksam abstrahlene Blockade und ein Selbstverhinderungsprogramm aus dem Hintergrund heraus alle meine Bemühungen torpediert hätten und Erkämpftes und Erreichtes durch den Sprung wieder versickert wären. Dabei habe ich vieles versucht: so über den Daumen gepeilt zähle ich 10 Therapien und Therapieversuche verschiedener therapeutischer Ansätze, dann noch einige nicht wenige Aufstellungen und Ähnliches. Die haben größtenteils viel an Fortschritt und Weiterentwicklung gebracht, aber der Sprung ist immer geblieben.

So hat sich bei mir jetzt im Alter, wo es für vieles zu spät ist und mir die Zeit davonläuft, die Idee verfestigt, mich noch vor dem Sterben unbedingt mit diesem Sprung zu konfrontieren. Ich will nicht dumm und unvorbereitet sterben, sondern vorher schon ein wenig hinter die Kulissen und in meine seelischen Tiefen geschaut haben, damit mich diese im Sterben unvermeidliche Konfrontation nicht völlig ahnungslos trifft. Weil mir in meinen Zwanzigern ein Freund von seinem LSD-Horrortrip erzählt hat, wo ihm in einer furchtbaren Vision Brutalos mit ihren Nazistiefeln in das getreten haben, was er als seinen innersten Kern, als sein innerstes, gutes Wesen gesehen hat, dachte ich, ich könnte mit einem LSD-Trip diese Konfrontation herbeiführen, wenn bis knapp vor meinem Tod die Heilung mit legalen Mitteln nicht gelingen sollte. Dieser Freund erzählte noch von seinen dann monatelang anhaltenden Angstzuständen, vorallem bei Sonnenuntergang; was mir jedoch auffiel: er war von sozialen Ängsten und Zwängen frei. So konnte er etwa blöde oder unverschämte Fragen oder Bitten, die ihm gestellt wurden, einfach ignorieren und nicht beantworten und hielt die soziale Spannung, die dadurch entsteht – alle gaffen ihn irritiert bis feindselig an – gut aushalten.

Freilich kannte ich auch ganz andere Erzählungen von Trips: Erzählungen von tief erlebtem Glück, von unglaublich erweiterter und intensiver Wahrnehmung, vom Erleben der innigen Verbundenheit mit allem; Zustände, die den überlieferten Erzählungen der Mystiker und Mystikerinnen mutatis mutandis nicht unähnlich sind.

Ein anderer Aspekt war für mich, was mir jemand über den früheren Inhaber der Buchhandlung 777 erzählt hat: dieser soll behauptet haben, bei jedem Kunden, der sein Geschäft betritt, erkennen zu können, ob der jemals LSD genommen habe. Das schien und scheint mir glaubwürdig, denn so eine transzendentale Erfahrung kann einem die Nabelschnur zum in der Gesellschaft herrschenden Common Sense durchschneiden und den Geist von dessen zwanghafter Anbetung befreien – was immer der Proponent mit dieser Freiheit dann anfangen kann oder nicht. Das kann einer Persönlichkeit bei allen Gemeinsamkeiten mit dem Normalbürger doch einen anderen Spin geben – nochmals: egal, ob dieser für Konstruktives und Sinnvolles eingesetzt wird oder für noch größere Verwirrung in der Welt. (Das scheint mir überhaupt der wirkliche Grund für die gesellschaftliche und staatliche Verfolgung der Benutzer bestimmter Drogen zu sein: dass damit die Chance besteht, den Common Sense zu überschreiten und über die übliche „Erster-Zweiter-Dritter-“ und „Zipfl-eini–Zipfl-aussi-“ und „Geld-Geld-Geld“- Ideologie hinauszuwachsen.)

Aus all diesen aufgeschnappten Erzählungen habe ich mir die Idee zusammengebraut, ich könnte mir vor meinem Tod mittels LSD einen Schub verpassen, der mich in der seelischen Entwicklung wirklich weiterbringt, wenn es mir bis dahin auf dem auch von mir bevorzugten reinen Weg ohne psychotrope Hilfsmittel nicht gelungen ist. Ein ungelöstes Problem bei dieser Idee war für mich, wie ich zu LSD kommen würde. Ich bin ein äußerst weltfremder Mensch, habe nie illegale Drogen oder anderes auf klandestinen Märkten gekauft, wüßte nicht, wen ich ansprechen könnte, wie der Fachjargon geht, und die paar Joints, die ich als junger Erwachsener geraucht hatte, bekam ich als schnorrender Mitraucher bei Sessions im damaligen Bekanntenkreis. Außerdem vermeide ich illegales Handeln, weil das bei mir nie funktioniert. Man braucht dafür ein gewisses Selbstbewußtsein, das ich nicht habe. Ob es mir dann fürs letzte große Gefecht gelingen würde, die richtigen Dealer zu finden und nicht hineingelegt zu werden? Nun, ich hatte ja noch Zeit. Ich stellte mir die Aktion so in etwa zehn Jahren vor.

Eines Tages lud mich meine Frau zum Essen in ein Restaurant ein und sie holte – wie es bei ihr, aber nicht bei mir üblich ist – ein paar Zeitschriften zur Überbrückung der Wartezeit. Sie nahm sich das Profil, ich den Spiegel, in dem ich eher lustlos herumblätterte. Doch dann stieß ich auf einen Artikel über die Firma Hilaritas und ihren Gründer Herrn C. P. Trump in Berlin, die ganz offen ein legales LSD-Derivat verkauft. Als Grund dafür, dass diese Substanz legal sei – ausdrücklich auch in Österreich – wurde angegeben, dass es nicht dieselbe chemische Substanz wie LSD sei, sondern nur ähnlich und nicht unter die gesetzliche Definition verbotener Substanzen falle. Ich glaubte dies auch und neige dazu, es immer noch zu glauben, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass eine eingetragene Firma mit Firmensitz in Deutschland, mit konkretem Standort und bekanntem Eigentümer und Geschäftsführer, illegalen Handel als Geschäftsmodell haben kann.

Ich freute mich sehr über diesen Fund, denn mein Problem der Beschaffung war somit gelöst und ich werde nicht illegale Schleichwege suchen müssen, was ich überhaupt nicht mag. Ich notierte mir die Kontaktdaten und nahm diesen Zufall als Wink der Götter, dass es Zeit wäre, mit dem Experiment zu beginnen, bestellte eine kleine Lieferung, die nach Wochen eintraf.

Ich möchte ausdrücklich festhalten, dass ich dieses LSD-Derivat nicht bestellt hätte, wenn ich nicht überzeugt gewesen wäre, dass dieses Geschäft legal ist. Nicht aus moralischen Gründen, sondern weil ich illegalen Handlungen möglichst aus dem Weg gehe. Meines ängstlichen und skrupulösen Charakters wegen vermeide ich ungute Konfrontationen mit staatlichen und sonstigen Autoritäten, gegen die zu behaupten mir trotz meiner früheren 68iger Attitüden nie gelungen ist und was ich kaum aushalte. Meine Haut ist dünn und meine Seele ungeschützt und verletzlich.

Ich bekam also die Lieferung und beschloß, bei guter Gelegenheit mit der Erforschung zu beginnen. Ich wartete einen ruhigen Zeitpunkt ab, wo ich allein und ungestört war, denn meine Erwartungen waren sehr groß und mir war die Möglichkeit eines Horrortrips, wo einem das eigene Verdrängte in teuflischen Fratzen gegenüber tritt, durchaus bewußt. Aber um Wahrheit und Erkenntnis willen (Gnothi seauton) wollte ich dieses Risiko eingehen. Ich bereitete mich sorgfältig vor: ruhige, ungestörte Umgebung, Alleinsein, die seelische Ausgeglichenheit überprüfen und die wirkliche Bereitschaft auch zu unangenehmer Konfrontation ausloten, Meditation, Gebet …

Meine Erwartungen und Befürchtungen erfüllten sich bei weitem nicht – zumindest nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte: keine direkte, grausame Konfrontation mit meinen Dämonen und Schattenseiten, keine Visionen über das Wer-bin-ich-woher-komm-ich-wohin-geh-ich, keine grandiosen Erfahrungen der Verbundenheit mit Universum, Gott, Göttin, Götter, Göttinnen, All, Kosmos, Leben, Transzendenz etc. Zunächst also: die war Wirkung schwach. Ich habe zwar keinen direkten Vergleich mit echtem LSD, da ich dieses nie konsumiert habe, aber kein Wegreißen in andere Welten und ähnliches. Ein bißchen Farbspiele und Bewegungen in der Optik – sehr schön und interessant – vorallem aber sehr intensives Hören von Musik. Das waren durchaus schöne und beglückende Erfahrungen, aber nicht so weit von meditativen Alltagserfahrungen entfernt und darin irgendwie eingebettet. Ich habe sofort meine Erwartungen losgelassen und das nun Erlebte genießen können, bis ich bald beruhigt eingeschlafen bin.

Beim Aufwachen am nächsten Tag ist dann doch etwas ganz Wichtiges passiert: ich wache auf, alles ist normal, nur irgendetwas ist anders. Zunächst weiß ich nicht, was anders ist, bis mir plötzlich auffällt: meine innerer Kritiker schweigt. Zum ersten Mal in meinem Leben schweigt diese innere Stimme, die mich ständig runtermacht, kritisiert, beschimpft, verspottet, alles, was ich bin und mache, schlecht redet, immer auch im Vorhinein und Nachhinein. Eigentlich sagt diese Stimme: „So einer wie du sollte nicht leben.“ Das ist kein Kritiker mehr, sondern der, der mich hasst. Und genau der ist jetzt still. Es ist ein Friede da, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Das war Heilung!

Ich möchte diese Erfahrung – auch wenn sie nicht anhalten kann - nicht missen. Ich weiß jetzt, in meiner Seele kann es auch Frieden geben, nicht nur Krieg. Und nun bekomme ich vor ein paar Tagen eine Vorladung zur Einvernahme als Beschuldigter wegen Verstoßes gegen des Suchtmittelgesetz. In in ein paar Tagen darf ich antanzen. Und ich, ich habe Schiss! Ich habe solche Angst. Ich sage das nicht, um mich zu beklagen, sondern um zu erzählen. Ich habe solche Angst, dass sich in mir alles krümmt, wenn ich daran denke. Nächtens liege ich lange Stunden wach; wenn mir der verdrängte Termin wieder einfällt, wird mir heiß und zittig. Genau das glaubte ich vermeiden zu können, indem ich legales LSD-Derivat (1v-LSD) in einem legalen Geschäft kaufte. Ich weiß auch, dass das normale, viel stärkere LSD in den USA in Therapien eingesetzt wird, gerade bei Klienten, deren Therapie stecken zu bleiben scheint. Und ich habe erst vor kurzem gelesen, dass beim Sterbeprozess im Gehirn dieselben Regionen aktiviert werden, wie unter LSD. Also war meine Idee, mich so auf das Sterben vorzubereiten, gar nicht absurd.

Was kann ich noch sagen? Dass ich klarerweise kein Thomas Schmid bin, der die Chuzpe hat, bei illegalem Drogenkonsum (Kokain! Etwas, das mich überhaupt nicht interessiert! Aber Egoaufblasen bis zum Größenwahn: das versteht die Gesellschaft) sinngemäß zu sagen: „das ist meine Privatsache und geht euch nichts an“ und die Behörden dann: „Ach so! Achja! Na dann! Verfahren eingestellt!“ und wie die anderen alle so heißen, möchte ich nicht aufzählen.

 

(18.4.2022)

©Peter Alois Rumpf  April 2022   peteraloisrumpf@gmail.com


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