2665 LSD
Wann immer ich mein Leben betrachtet habe, so hatte ich
stets das Gefühl, dass etwas Grundlegendes nicht stimmt, dass in meiner
Persönlichkeit ein Sprung verläuft, sodass mir nie gelungen ist, vor allem
beruflich Boden unter den Füßen zu bekommen, dass ich nie meinen mir vielleicht
doch zustehenden Platz in Welt und Gesellschaft einnehmen und behaupten konnte;
wie wenn eine in die Tiefen des Unterbewußtseins versenkte, aber ständig
wirksam abstrahlene Blockade und ein Selbstverhinderungsprogramm aus dem
Hintergrund heraus alle meine Bemühungen torpediert hätten und Erkämpftes und
Erreichtes durch den Sprung wieder versickert wären. Dabei habe ich vieles
versucht: so über den Daumen gepeilt zähle ich 10 Therapien und
Therapieversuche verschiedener therapeutischer Ansätze, dann noch einige nicht
wenige Aufstellungen und Ähnliches. Die haben größtenteils viel an Fortschritt
und Weiterentwicklung gebracht, aber der Sprung ist immer geblieben.
So hat sich bei mir jetzt im Alter, wo es für vieles zu spät
ist und mir die Zeit davonläuft, die Idee verfestigt, mich noch vor dem Sterben
unbedingt mit diesem Sprung zu konfrontieren. Ich will nicht dumm und
unvorbereitet sterben, sondern vorher schon ein wenig hinter die Kulissen und
in meine seelischen Tiefen geschaut haben, damit mich diese im Sterben
unvermeidliche Konfrontation nicht völlig ahnungslos trifft. Weil mir in meinen
Zwanzigern ein Freund von seinem LSD-Horrortrip erzählt hat, wo ihm in einer
furchtbaren Vision Brutalos mit ihren Nazistiefeln in das getreten haben, was
er als seinen innersten Kern, als sein innerstes, gutes Wesen gesehen hat,
dachte ich, ich könnte mit einem LSD-Trip diese Konfrontation herbeiführen,
wenn bis knapp vor meinem Tod die Heilung mit legalen Mitteln nicht gelingen
sollte. Dieser Freund erzählte noch von seinen dann monatelang anhaltenden
Angstzuständen, vorallem bei Sonnenuntergang; was mir jedoch auffiel: er war
von sozialen Ängsten und Zwängen frei. So konnte er etwa blöde oder
unverschämte Fragen oder Bitten, die ihm gestellt wurden, einfach ignorieren
und nicht beantworten und hielt die soziale Spannung, die dadurch entsteht –
alle gaffen ihn irritiert bis feindselig an – gut aushalten.
Freilich kannte ich auch ganz andere Erzählungen von Trips:
Erzählungen von tief erlebtem Glück, von unglaublich erweiterter und intensiver
Wahrnehmung, vom Erleben der innigen Verbundenheit mit allem; Zustände, die den
überlieferten Erzählungen der Mystiker und Mystikerinnen mutatis mutandis nicht
unähnlich sind.
Ein anderer Aspekt war für mich, was mir jemand über den
früheren Inhaber der Buchhandlung 777 erzählt hat: dieser soll behauptet haben,
bei jedem Kunden, der sein Geschäft betritt, erkennen zu können, ob der jemals
LSD genommen habe. Das schien und scheint mir glaubwürdig, denn so eine
transzendentale Erfahrung kann einem die Nabelschnur zum in der Gesellschaft
herrschenden Common Sense durchschneiden und den Geist von dessen zwanghafter
Anbetung befreien – was immer der Proponent mit dieser Freiheit dann anfangen
kann oder nicht. Das kann einer Persönlichkeit bei allen Gemeinsamkeiten mit
dem Normalbürger doch einen anderen Spin geben – nochmals: egal, ob dieser für
Konstruktives und Sinnvolles eingesetzt wird oder für noch größere Verwirrung
in der Welt. (Das scheint mir überhaupt der wirkliche Grund für die
gesellschaftliche und staatliche Verfolgung der Benutzer bestimmter Drogen zu
sein: dass damit die Chance besteht, den Common Sense zu überschreiten und über
die übliche „Erster-Zweiter-Dritter-“ und „Zipfl-eini–Zipfl-aussi-“ und
„Geld-Geld-Geld“- Ideologie hinauszuwachsen.)
Aus all diesen aufgeschnappten Erzählungen habe ich mir die
Idee zusammengebraut, ich könnte mir vor meinem Tod mittels LSD einen Schub
verpassen, der mich in der seelischen Entwicklung wirklich weiterbringt, wenn
es mir bis dahin auf dem auch von mir bevorzugten reinen Weg ohne psychotrope
Hilfsmittel nicht gelungen ist. Ein ungelöstes Problem bei dieser Idee war für
mich, wie ich zu LSD kommen würde. Ich bin ein äußerst weltfremder Mensch, habe
nie illegale Drogen oder anderes auf klandestinen Märkten gekauft, wüßte nicht,
wen ich ansprechen könnte, wie der Fachjargon geht, und die paar Joints, die
ich als junger Erwachsener geraucht hatte, bekam ich als schnorrender
Mitraucher bei Sessions im damaligen Bekanntenkreis. Außerdem vermeide ich
illegales Handeln, weil das bei mir nie funktioniert. Man braucht dafür ein
gewisses Selbstbewußtsein, das ich nicht habe. Ob es mir dann fürs letzte große
Gefecht gelingen würde, die richtigen Dealer zu finden und nicht hineingelegt
zu werden? Nun, ich hatte ja noch Zeit. Ich stellte mir die Aktion so in etwa
zehn Jahren vor.
Eines Tages lud mich meine Frau zum Essen in ein Restaurant
ein und sie holte – wie es bei ihr, aber nicht bei mir üblich ist – ein paar
Zeitschriften zur Überbrückung der Wartezeit. Sie nahm sich das Profil, ich den
Spiegel, in dem ich eher lustlos herumblätterte. Doch dann stieß ich auf einen
Artikel über die Firma Hilaritas und ihren Gründer Herrn C. P. Trump in Berlin,
die ganz offen ein legales LSD-Derivat verkauft. Als Grund dafür, dass diese
Substanz legal sei – ausdrücklich auch in Österreich – wurde angegeben, dass es
nicht dieselbe chemische Substanz wie LSD sei, sondern nur ähnlich und nicht
unter die gesetzliche Definition verbotener Substanzen falle. Ich glaubte dies
auch und neige dazu, es immer noch zu glauben, denn ich kann mir nicht
vorstellen, dass eine eingetragene Firma mit Firmensitz in Deutschland, mit konkretem
Standort und bekanntem Eigentümer und Geschäftsführer, illegalen Handel als
Geschäftsmodell haben kann.
Ich freute mich sehr über diesen Fund, denn mein Problem der
Beschaffung war somit gelöst und ich werde nicht illegale Schleichwege suchen
müssen, was ich überhaupt nicht mag. Ich notierte mir die Kontaktdaten und nahm
diesen Zufall als Wink der Götter, dass es Zeit wäre, mit dem Experiment zu
beginnen, bestellte eine kleine Lieferung, die nach Wochen eintraf.
Ich möchte ausdrücklich festhalten, dass ich dieses
LSD-Derivat nicht bestellt hätte, wenn ich nicht überzeugt gewesen wäre, dass
dieses Geschäft legal ist. Nicht aus moralischen Gründen, sondern weil ich
illegalen Handlungen möglichst aus dem Weg gehe. Meines ängstlichen und
skrupulösen Charakters wegen vermeide ich ungute Konfrontationen mit
staatlichen und sonstigen Autoritäten, gegen die zu behaupten mir trotz meiner
früheren 68iger Attitüden nie gelungen ist und was ich kaum aushalte. Meine
Haut ist dünn und meine Seele ungeschützt und verletzlich.
Ich bekam also die Lieferung und beschloß, bei guter
Gelegenheit mit der Erforschung zu beginnen. Ich wartete einen ruhigen
Zeitpunkt ab, wo ich allein und ungestört war, denn meine Erwartungen waren
sehr groß und mir war die Möglichkeit eines Horrortrips, wo einem das eigene
Verdrängte in teuflischen Fratzen gegenüber tritt, durchaus bewußt. Aber um
Wahrheit und Erkenntnis willen (Gnothi seauton) wollte ich dieses Risiko
eingehen. Ich bereitete mich sorgfältig vor: ruhige, ungestörte Umgebung, Alleinsein,
die seelische Ausgeglichenheit überprüfen und die wirkliche Bereitschaft auch
zu unangenehmer Konfrontation ausloten, Meditation, Gebet …
Meine Erwartungen und Befürchtungen erfüllten sich bei
weitem nicht – zumindest nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte: keine
direkte, grausame Konfrontation mit meinen Dämonen und Schattenseiten, keine
Visionen über das Wer-bin-ich-woher-komm-ich-wohin-geh-ich, keine grandiosen
Erfahrungen der Verbundenheit mit Universum, Gott, Göttin, Götter, Göttinnen, All,
Kosmos, Leben, Transzendenz etc. Zunächst also: die war Wirkung schwach. Ich
habe zwar keinen direkten Vergleich mit echtem LSD, da ich dieses nie
konsumiert habe, aber kein Wegreißen in andere Welten und ähnliches. Ein
bißchen Farbspiele und Bewegungen in der Optik – sehr schön und interessant –
vorallem aber sehr intensives Hören von Musik. Das waren durchaus schöne und
beglückende Erfahrungen, aber nicht so weit von meditativen Alltagserfahrungen
entfernt und darin irgendwie eingebettet. Ich habe sofort meine Erwartungen
losgelassen und das nun Erlebte genießen können, bis ich bald beruhigt
eingeschlafen bin.
Beim Aufwachen am nächsten Tag ist dann doch etwas ganz
Wichtiges passiert: ich wache auf, alles ist normal, nur irgendetwas ist
anders. Zunächst weiß ich nicht, was anders ist, bis mir plötzlich auffällt:
meine innerer Kritiker schweigt. Zum ersten Mal in meinem Leben schweigt diese
innere Stimme, die mich ständig runtermacht, kritisiert, beschimpft,
verspottet, alles, was ich bin und mache, schlecht redet, immer auch im
Vorhinein und Nachhinein. Eigentlich sagt diese Stimme: „So einer wie du sollte
nicht leben.“ Das ist kein Kritiker mehr, sondern der, der mich hasst. Und genau
der ist jetzt still. Es ist ein Friede da, wie ich ihn noch nie erlebt hatte.
Das war Heilung!
Ich möchte diese Erfahrung – auch wenn sie nicht anhalten
kann - nicht missen. Ich weiß jetzt, in meiner Seele kann es auch Frieden
geben, nicht nur Krieg. Und nun bekomme ich vor ein paar Tagen eine Vorladung
zur Einvernahme als Beschuldigter wegen Verstoßes gegen des Suchtmittelgesetz.
In in ein paar Tagen darf ich antanzen. Und ich, ich habe Schiss! Ich habe
solche Angst. Ich sage das nicht, um mich zu beklagen, sondern um zu erzählen.
Ich habe solche Angst, dass sich in mir alles krümmt, wenn ich daran denke.
Nächtens liege ich lange Stunden wach; wenn mir der verdrängte Termin wieder
einfällt, wird mir heiß und zittig. Genau das glaubte ich vermeiden zu können,
indem ich legales LSD-Derivat (1v-LSD) in einem legalen Geschäft kaufte. Ich
weiß auch, dass das normale, viel stärkere LSD in den USA in Therapien
eingesetzt wird, gerade bei Klienten, deren Therapie stecken zu bleiben
scheint. Und ich habe erst vor kurzem gelesen, dass beim Sterbeprozess im
Gehirn dieselben Regionen aktiviert werden, wie unter LSD. Also war meine Idee,
mich so auf das Sterben vorzubereiten, gar nicht absurd.
Was kann ich noch sagen? Dass ich klarerweise kein Thomas
Schmid bin, der die Chuzpe hat, bei illegalem Drogenkonsum (Kokain!
Etwas, das mich überhaupt nicht interessiert! Aber Egoaufblasen bis zum
Größenwahn: das versteht die Gesellschaft) sinngemäß zu sagen: „das ist meine
Privatsache und geht euch nichts an“ und die Behörden dann: „Ach so! Achja! Na
dann! Verfahren eingestellt!“ und wie die anderen alle so heißen, möchte ich
nicht aufzählen.
(18.4.2022)
©Peter Alois Rumpf April 2022
peteraloisrumpf@gmail.com
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]
<< Startseite