Donnerstag, 18. Juni 2020

1893 „Das Märchen vom Rosenstock“


von Elisabeth Reiner („das bunte Buch“; Geschichten, Märchen, Sagen) ist heute mein Thema.
Wenn ich mich auch an viele Märchen in diesem Buch erst wieder beim Durchblättern erinnern konnte – von diesem wußte ich immer. Wobei es gar nicht die Geschichte und der Name des Märchens waren, die sich mir so richtig kindlich eingeprägt hatten (verdammt! Gerade habe ich es gelesen und schon verfalle ich in so einen geschraubten, verlogenen Tonfall!), sondern es waren die Bilder, die mir mein langes Leben so tief im unschuldigen Herzen bewahrt verblieben sind.

Die Geschichte möglichst kurz erzählt: die Tochter der Blumenfee lebt in einem großen Garten in einem riesigen Wald ohne Menschen und vor ihnen verborgen, ist eine verkitschte Schamanin: kann Heilsalben etc. herstellen, heilt die Tiere des Waldes, redet wohl auch mit ihnen (das steht so nicht da, aber ich trau mich - jetzt also kein Trauminet – dies zu ergänzen).
Parallel: in einem Königreich ein Prinz, war böse zu Blumen, hat eine im Zorn zertreten, Strafe: Dorn im Fuß, den keiner rausziehen kann und der seinen Körper vergiftet (Bumm! Was ist dann die Strafe für die Sünden der heutigen Landwirtschafts- und Industrie und Abholzung etc?).
Im Traum (das ist jetzt mein Revier!) hat der Prinz eine Vision von der heilenden Jungfrau im Wald, sattelt sein Pferd, reitet allein (! ohne Gefolge! Das schafft nicht einmal der Kurz! Und der ist kein Prinz! Aber sicher für ein Wunder notwendig) in den Wald. Wie er das mit seiner angeblich schweren Krankheit macht, wird nicht erklärt.
Er findet die Jungfrau, ist hingerissen, steht in Trancestarre bis Sonnenuntergang da, alles züchtig.
Sie typisch – erst erschrocken, dann verliebt, versucht ihn zu heilen.
Es gelingt aber nicht. Sie ruft ihre Blumenfeemutter (PanchaMama – schön! Matriarchalischer Rest) und erfährt, sie müßte ihren Lieblingsrosenstock zur Salbe verarbeiten, was die Mutter für undenkbar hält. Denn mit diesem Rosenstock ist sie magisch verbunden und wenn der verletzt wird, verliert sie ihre Schönheit (schon richtig: geht das Matriarchat, oder auch nur ihre weibliche Identität kaputt, oder ihre magische Jungfräulichkeit, da sie dann ihre Energien doch an Männer verschwendet …) und wird runzelig, unansehnlich, häßlich und zahnlos (das ja!).
Sie macht es in der Nacht, pflückt die Rosen, schlägt den Rosenstock um, verwendet sein Holz – wie vorgeschrieben – als Feuerholz zum Kochen der Salbe, die streicht sie dem schlafenden Prinzen unbemerkt auf den Fuß. Dorn fällt heraus; sie wird häßlich, schämt sich ihres Aussehens (! von der Angst, zu dick zu sein, ist allerdings nicht die Rede!) und haut ab. Also sie opfert sich für den Prinzen aus Liebe (oder dem Patriarchat?).
Prinz erwacht geheilt, sucht die Heilerin, findet sie nicht, er kennt aber ihre magische Verbindung zum Rosenstock, weil sie es ihm erzählt hat. Ich habe vergessen: sie hat die Asche der Aktion in einem Krüglein mitgenommen. Der Prinz, als der die Stelle, wo der Rosenstock stand, fand, zählte er eins uns eins zusammen, reitet ihr nach, sie dreht sich verschämt weg, er nimmt sie in seine Arme, fragt, ob sie seine Frau werden will – die Augen sind unverändert geblieben – küßt die Häßliche auf den häßlichen Mund. Liebe besiegt Fluch: im Krüglein mit der Asche wurlt es, weil ein neuer Rosenstock anhebt zu wachsen, sie graben ihn an seiner Stelle wieder ein, er wird schöner als zuvor, die Jungfrau wird schöner als zuvor. Prinz reitet mit seiner Braut in das Königreich seines Vaters. Hochzeit. Königswerdung. Beide sehnen sich nach dem Garten im Wald (matriarchalisches Rückzugsgebiet oder die magische Welt? Oder doch nur falsche Idylle?), Amtsverzicht zu Gunsten seines Bruders. Glücklich.

Also: an die Geschichte konnte ich mich nicht erinnern. Es waren die Bilder, die mein kindliches Herz bewegten und vielleicht auch der außerordentliche Edelmut der zwei.
Ach, die Blumenfeetochter war ja so schön! gezeichnet. Wie sie da im Profil unterm Rosenstock die Tiere heilt. Ich habe mich als Bub wohl in dieses Bild verliebt (heute würde ich sagen: im Profil ein wenig wie eine junge Phillipa Strache; die Haare jedoch goldener, voller und wallender. Und viel, viel schöner!). Und am anderen Bild: wie sie sich demütig und züchtig und um einen Kopf kleiner an den lieben, edlen Prinzen schmiegt! Und wie sie mit dem Krüglein davoneilt! Von hinten und die Haare immer noch wunderschön! Der Prinz hinterher; wobei: wenn ich das jetzt so anschaue: er reitet nicht, er läuft nicht, er steht eigentlich ein wenig breitbeinig-deppert hinter einem Baum und hebt seine rechte Hand wie zu einem „Hey!“

Jedenfalls war es um mich geschehen. Möglichst unbeobachtet von meinen Eltern habe ich diese Seite betrachtet und betrachtet, immer und immer wieder.

Ja und dann habe ich mir vorm Einschlafen wieder Geschichten auszudenken begonnen, von dieser schönen Jungfrau und mich als ihren Prinzen, mit vielen, vielen Hindernissen – die Erfüllungsmomente habe mehr und mehr hinausgezögert, schon mehr selbstzerfleischende Tragödien von Aufopferung und Verkannt-Werden, als Sehnsuchtserfüllung – und mit meiner Gedankendisziplin war es vorbei.











(18.6.2020)











©Peter Alois Rumpf,  Juni 2020  peteraloisrumpf@gmail.com


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