Mittwoch, 17. Juni 2020

1890 „Die harten Hände“


Märchen von Dr. Marainne Kaindl; aus „Das bunte Buch“; Geschichten, Märchen, Sagen.

In dieser Geschichte finden wir das typische Szenario vor: arme kinderreiche Handwerkerfamilie, der Älteste, Hans, muß deshalb in die Welt hinaus, sein Glück versuchen (gilt sicher auch für viele der heutigen als Wirtschaftsflüchtlinge beschimpften allein flüchtenden, unbegleiteten jungen Männer). Er ist reinen Herzens, naiv, schüchtern, bescheiden und es schließen sich ihm bald zwei arrogante Schnösel an, die sich als Prinzen ausgeben und auf ihn herabschauen und ihn für einen Tölpel halten, und die sich je eine der in der Welt überall zur Freiung (Frei!-ung) ausgeschriebenen Prinzessinnen erobern wollen. Tatsächlich kommen sie in eine Stadt, wo eine Prinzessin zu haben wäre. Hier aber finden sich auf den Fahnenstangen nicht wie in Märchen zu erwarten die Köpfe der an der obligatorischen Aufgabe gescheiterten Freier (Gottseikrank heißen die nicht Be-Freier), sondern bloß deren abgeschorenen Haare – vermutlich eine zivilisatorische Bereinigung der Autorin. Die Aufgabe besteht darin, aus drei Paaren weiblicher Hände, die durch einen Vorhang gestreckt werden, die zwei verehrungswürdigsten Hände zu wählen. Klar: die Schnösel wählen Schönheit und Reichtum, der Tölpel harte, alte Hände, die ihn an die seiner Mutter erinnern und gewinnt damit die Prinzessin.

Nun, es fällt mir gar nicht so leicht, gegen diese Story zu wüten. Die Verniedlichung Haare statt Köpfe stört mich: als könnten Fehlentscheidungen im Leben nicht wörtlich oder im übertragenen Sinn tödlich sein. Im Leben geht es immer auf Leben und Tod und nicht bloß um Haareschneiden. Und wenn ich vom guten Mütterchen und ihren guten Mutterhänden höre, steigen mir die Grausbirnen auf – aber vermutlich bin ich ungerecht, denn das liebe Mütterchen hat ihren Hans zum Abschied noch gestreichelt, was ich von meiner Mutter nie kannte, und zum Abschied damals hatte sie mir zornig eine Nagelschere auf den Tisch geknallt mit den harten, böse schimpfenden Worten: „aber jetzt mußt du dir das Zeug selber kaufen!“ - wo ich es gar nicht verlangt hatte, dass sie es mir kaufe. Also: vielleicht ist da auch Neid dabei. Trotzdem ist mir die Vorstellung, von meiner Mutter gestreichelt zu werden, unangenehm bis zur Übelkeit.

Zurück zur Geschichte: was auffällt: die Prinzessin hat sich den Hans schon vorm Auslesetest gewählt, pflanzt ihn ein bißchen, der Hans wird immer rot, aber es ist klar: sie lieben sich etc etc. bleibt bescheiden, wird ein guter König, der auch ein Herz für Arme hat. Was kann man schon dagegen sagen? Aber dennoch kommt sie mir verlogen vor, weil sie in sich nicht stimmt. Das ist ein spießbürgerlich zensuriertes Märchen, in deren ursprünglichen Formen es - wie in den griechischen Sagen zum Beispiel - viel härter und grausamer zugeht – wie es die Welt ja ist. Das gilt auch, wenn die Autorin dieses Märchen erfunden hat und - wie ständig in dieser verlogenen Zeit – Märchen als erbaulich triefende Erbauungsgeschichten und Belehrungsschwachsinn für Kinder mißverstanden hat und nicht als oft recht präzise Darstellungen des Lebenskampfes und des Kampfes um Erfüllung zur Orientierung für die Suchenden, natürlich immer nur im Kontext der jeweiligen Kultur.

Ich kann mich nicht erinnern, wie ich die Geschichte damals als Kind aufgenommen habe. Vergessen hatte ich sie nicht. Die Schüchternheit und das ständige Erröten des Protagonisten sollten mir gefallen haben, aber mit dem Dummkopf wollte ich mich -  so vermute ich – nicht identifizieren, denn ich wollte doch als gescheit gelten. Nicht schlau, aber gescheit. Freilich war da für mich Schüchtling auch ein Stück Hoffnung drinnen, das ein solcher anscheinend doch auch reüssieren kann, aber ganz wird die Identifikation nicht aufgegangen sein.











(16./17.8.2020)











©Peter Alois Rumpf,  Juni 2020  peteraloisrumpf@gmail.com

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