1890 „Die harten Hände“
Märchen von Dr. Marainne Kaindl; aus „Das bunte Buch“;
Geschichten, Märchen, Sagen.
In dieser Geschichte finden wir das typische Szenario vor:
arme kinderreiche Handwerkerfamilie, der Älteste, Hans, muß deshalb in die Welt
hinaus, sein Glück versuchen (gilt sicher auch für viele der heutigen als
Wirtschaftsflüchtlinge beschimpften allein flüchtenden, unbegleiteten jungen
Männer). Er ist reinen Herzens, naiv, schüchtern, bescheiden und es schließen
sich ihm bald zwei arrogante Schnösel an, die sich als Prinzen ausgeben und auf
ihn herabschauen und ihn für einen Tölpel halten, und die sich je eine der in
der Welt überall zur Freiung (Frei!-ung) ausgeschriebenen Prinzessinnen erobern
wollen. Tatsächlich kommen sie in eine Stadt, wo eine Prinzessin zu haben wäre.
Hier aber finden sich auf den Fahnenstangen nicht wie in Märchen zu erwarten
die Köpfe der an der obligatorischen Aufgabe gescheiterten Freier (Gottseikrank
heißen die nicht Be-Freier), sondern bloß deren abgeschorenen Haare –
vermutlich eine zivilisatorische Bereinigung der Autorin. Die Aufgabe besteht
darin, aus drei Paaren weiblicher Hände, die durch einen Vorhang gestreckt
werden, die zwei verehrungswürdigsten Hände zu wählen. Klar: die Schnösel
wählen Schönheit und Reichtum, der Tölpel harte, alte Hände, die ihn an die
seiner Mutter erinnern und gewinnt damit die Prinzessin.
Nun, es fällt mir gar nicht so leicht, gegen diese Story zu
wüten. Die Verniedlichung Haare statt Köpfe stört mich: als könnten
Fehlentscheidungen im Leben nicht wörtlich oder im übertragenen Sinn tödlich
sein. Im Leben geht es immer auf Leben und Tod und nicht bloß um
Haareschneiden. Und wenn ich vom guten Mütterchen und ihren guten Mutterhänden
höre, steigen mir die Grausbirnen auf – aber vermutlich bin ich ungerecht, denn
das liebe Mütterchen hat ihren Hans zum Abschied noch gestreichelt, was ich von
meiner Mutter nie kannte, und zum Abschied damals hatte sie mir zornig eine
Nagelschere auf den Tisch geknallt mit den harten, böse schimpfenden Worten:
„aber jetzt mußt du dir das Zeug selber kaufen!“ - wo ich es gar nicht verlangt
hatte, dass sie es mir kaufe. Also: vielleicht ist da auch Neid dabei. Trotzdem
ist mir die Vorstellung, von meiner Mutter gestreichelt zu werden, unangenehm
bis zur Übelkeit.
Zurück zur Geschichte: was auffällt: die Prinzessin hat sich
den Hans schon vorm Auslesetest gewählt, pflanzt ihn ein bißchen, der Hans wird
immer rot, aber es ist klar: sie lieben sich etc etc. bleibt bescheiden, wird
ein guter König, der auch ein Herz für Arme hat. Was kann man schon dagegen
sagen? Aber dennoch kommt sie mir verlogen vor, weil sie in sich nicht stimmt.
Das ist ein spießbürgerlich zensuriertes Märchen, in deren ursprünglichen
Formen es - wie in den griechischen Sagen zum Beispiel - viel härter und
grausamer zugeht – wie es die Welt ja ist. Das gilt auch, wenn die Autorin
dieses Märchen erfunden hat und - wie ständig in dieser verlogenen Zeit –
Märchen als erbaulich triefende Erbauungsgeschichten und Belehrungsschwachsinn
für Kinder mißverstanden hat und nicht als oft recht präzise Darstellungen des
Lebenskampfes und des Kampfes um Erfüllung zur Orientierung für die Suchenden,
natürlich immer nur im Kontext der jeweiligen Kultur.
Ich kann mich nicht erinnern, wie ich die Geschichte damals
als Kind aufgenommen habe. Vergessen hatte ich sie nicht. Die Schüchternheit
und das ständige Erröten des Protagonisten sollten mir gefallen haben, aber mit
dem Dummkopf wollte ich mich - so
vermute ich – nicht identifizieren, denn ich wollte doch als gescheit gelten.
Nicht schlau, aber gescheit. Freilich war da für mich Schüchtling auch ein
Stück Hoffnung drinnen, das ein solcher anscheinend doch auch reüssieren kann,
aber ganz wird die Identifikation nicht aufgegangen sein.
(16./17.8.2020)
©Peter Alois Rumpf, Juni 2020
peteraloisrumpf@gmail.com
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