Montag, 15. Juni 2020

1881 Meine Nase vor und wieder zurück


Ich blicke auf die Bäume, deren Duft ich mag und die ich schön finde, deren Namen ich jedoch nicht ausstehen kann. Mir kommt vor, ihr Name macht sie herunter und das wirkt auf mich.
Jetzt läßt sie der Wind des Wetterumschwungs im Hof da vorm Fenster tanzen: Wild durcheinander wirbeln Äste und Zweige, manchmal beinah wie in wiegendem Reigen. Die Sonne beleuchtet sie jetzt.
Ich gebe die Hemden, die mir zum Trocknen die volle Sicht verhängen, weg.
Jetzt drückt es die Kronen gegen die Hauswand. Sogar die Weide kommt mit ihren Spitzen hinter dem Dach hervor.
Konter-kariert (sic!) wird das dramatische und ehrfurchtgebietende Geschehen durch das gerasterte Gedudel des Radios unten, das den fleißigen Köcherinnen die Welt und die Küche ordnet (Was nicht unbedingt schlecht ist, bevor ich  mich in unsäglichem Pathos verliere).
Auf das Wort „Oma“, das von unten heraufdringt, fallen mir meine Großmutter und Großtante mütterlichseits ein, die sich vor Bergen fürchteten und den Anblick des Grimming kaum ertrugen, worauf das Schauspiel draußen im Hof, das weder mir gehört, noch ein Schauspiel ist, zu der wildesten Szene bisher anhebt.

Die Augen wollen mir zufallen und beginnen zu brennen und tränen. Der Wind pfeift im ungenutzten Kamin in der Wand hinter mir.

Warum verwende ich einen grünen Stift, wo ich diese Farbe fürs Schreiben nicht so mag? Meine schlanke Lesebrille: ziemlich verdreckt.

Die Augen fallen mir nun wirklich zu und mein Gesicht verschiebt seine Formen und rückt – ich sehe es mit dem inneren Auge – meine Nase vor und wieder zurück – wie eine Photographin das Objektiv ihrer Kamera.
Den Tanz der Bäume verfolge ich jetzt mit geschlossenen Augen.
Radio off.
Stille.
Schritte und das Abstellen eines Glases.
Jetzt steigt die zurückgehaltene Erhabenheit wieder auf. Der Wind pfeift beunruhigt im Kamin.

Nach einem kurzen sitzenden Schlaf öffne ich die Augen, und für einen Moment ist alles, was ich sehe, von grüner Farbe.










(14.6.2020)










©Peter Alois Rumpf,  Juni 2020  peteraloisrumpf@gmail.com

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