Samstag, 21. Dezember 2019

1676 Meine Glückseligkeit


Nach dem Frühstück sitze ich alleine unten mit Blick durch Wohnzimmer und Küche zur Badezimmertür. Das Wohnzimmer ist eher im Dunkeln, denn draußen ist es grau, noch dunkler ist es im fensterlosen Durchgang zur Küche, an der Stiege zum oberen Stock vorbei. Die Küche selbst ist hell erleuchtet; obwohl von einer Ledlampe ist das Licht doch noch gelb genug, um dieses anheimelnde Gefühl zu vermitteln, dieses Gefühl „hier ist ein Haus, eine Hütte, ein Ort der Sicherheit und Geborgenheit“. Das muß eine uralte, schon ewig gespeicherte Prägung, ein uraltes Muster sein, denn viele der Traumata des zwanzigsten Jahrhunderts werden sich in dem noch gelberen, wärmeren Licht der alten Glühbirnen abgespielt haben.

Zwei Meter vor mir steht schon der leere Christbaum voller schöner, üppiger Zweige; die Nadeln glänzen im grauen Tageslicht weißlich.
Der Geschirrspüler spult und spült sein Selbstreinigungsprogramm ab, und es klingt, als würde der rotierende Wasserspender ans Geschirr streifen, aber das tut er nicht, denn das Gerät ist leer.

Mein Gott! (oder wer oder was auch immer), ich erlebe bei diesem Blick in die nicht zu fett gelbe Küche und mit dem monotonen Geräusch des innen rotierenden Geschirrspülers so etwas wie eine kontemplative Glückseligkeit. Nicht ganz schmerzfrei (wie es sich gehört), aber so, daß ich sagen kann: verweile Augenblick, du bist so schön (bei diesem Zitat kann mich nichteinmal der Gedanke an diesen mißratenen, völlig überschätzten deutschen Affenarsch von meiner Glückseligkeit abbringen).

Ich weide meine Augen. Lange sitze ich da und schaue bloß.

Jetzt singe ich noch „Nun komm der Heiden Heiland“, aber weil ich den meisten Text vergessen habe, auf „dü dü dü“. Da kann ich auch leichter jazzmäßig variieren und auszieren. Und mein Glück weitet sich akustisch und in meinem Brustkorb.
Dabei lümmel ich lässig auf der Couch und habe die Füße auf dem Beistelltisch ausgestreckt.
Zum leichteren Variieren wechsle ich auf „ninini“ und „hühühü“, „lalala“ - „popopo“ (Trompete).
„dududu“
„nnõnnõnnõ
„bababa“  „wawawa“
„lololo“ (bei fast ganz geschlossenem Mund)
„didiridilala“
„ßoßoßo“
„nionionio“
„blblbl“
tam-tam-ram-tam“; „tam“ Pause „tam“ Pause „tam“ Pause (a là Baß)
„hãhãhã
„aaaaa“ (mit Knarrlauten dazwischen/daneben)
„tǔtǔtǔ“ (mit ganz schmalem Mund)
„hmhmhmhm“ (Mund zu)
gepfiffen (schlecht gepfiffen)
„lolololololololo“ (Zunge tanzt im möglichst hohl geformten Mund schnell hin und her)
„nǖnǖnǖnǖnǖnǖnǖnǖ

Ich stehe auf und gehe beim Singen herum und meine Freude wird immer größer. Dann zünde ich – immer noch singend – die Kerzen des Adventkranzes an; und zwar alle vier. Alle vier, weil ich jetzt um ein Uhr Mittag – meine Glückseligkeit in Hochform – diesen dämmrigen Tag zum Abend honoris causa erkläre, und somit – mit dem Samstagabend nämlich – liturgisch der vierte Adventsonntag begonnen hat. (Das ist mir sowieso wurscht!) (Daß der Samstagabend liturgisch zum Sonntag gehört, konnte ich in meiner Familie nie durchsetzen, und so durften wir nie am Samstag Abend schon Adventsingen, auch wenn es zeitlich und Familien-Versammlungs-technisch besser gepaßt hätte.)

Und so gehe ich in den unteren Zimmern und Küche bis ins Bad singend herum, meinen Gesang vom Heidenheiland in Varianten variierend, die ich niemals sprachlich und schriftlich wiedergeben kann. Ich halte kurz inne und überlege, ob ich auf ein anderes Adventlied umsteigen soll. Ich zögere – was-weiß-ich: irgendeiner Reinheit oder eines Purismus wegen? - dann nehme ich „es wird scho glei dumpa“ - nur ohne Text gesungen. Und dann bald darauf das andere, westfälische „Oh Tannenbaum“ - das eines der schönsten Advent- und Weihnachtslieder ist und das ich besonders liebe. Hier singe ich – wie immer, wenn ich es allein singe – die erste Strophe erste Stimme, die zweite in der zweiten Stimme, die dritte wieder in der ersten. Die zweite Strophe singe ich mit Text: „warum soll ich nicht grünen, da ich noch grünen kann; ich hab nicht Mutter noch Vater, der mich versorgen kann“. Und beim zweiten Mal singen nehme ich auch die dritte Strophe mit Text: „Und der mich kann versorgen, das ist der liebe Gott [=Nagual], der läßt mich wachsen und grünen, drum leid ich keine Not“ (stimmt, auch wenn das Nagual ganz abstrakt ist).

Und dann gehe ich über zu „Nun lobet Gott (=Nagual) im hohen Thron“ (ohne Text), ganz egal, daß das dem abstrakten Nagual völlig gleichgültig ist, es es nicht braucht und das Bild falsch ist; es dient nur mir und dem Ausdruck meiner Seligkeit.

Das kann mich aber nicht daran hindern, während des singenden Herumgehens aus dem Fenster und einer unten auf der Straße vorbeigehenden Frau auf den Hintern zu schauen, während ich mit meinen Händen auf den Abdeckblechen des Heizkörpers  einen wirklich coolen Rhythmus klopfe.

Allmählich kippt meine Glückseligkeit jedoch eindeutig in einen Rausch - den Kaffee als Droge darf ich auch nicht ganz außer Acht lassen – und nach einer gewissen Zeit bin ich vom Singen und Glücklichsein ganz erschöpft. Das macht nichts! Ich habe meine Adventfeier gehabt! Jetzt kann mir Weihnachten nichts mehr anhaben.










(21.12.2019)











©Peter Alois Rumpf,  Dezember 2019  peteraloisrumpf@gmail.com


0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]

<< Startseite