Mittwoch, 6. November 2019

1579 Prächtige Weiber


Es regnet in großen, lauten Tropfen, die immer mehr und lauter werden. Aufstehen? Unten bei den Tageskindern sind Gäste, Praktikanten aus Leipzig, die hier weitergebildet werden. Da ich heute meine nach langem Widerstand gegen die ärztliche Empfehlung käsefreie Frühstückssaison eröffnen will, will ich unbedingt ohne Krankenkassen-Gebiß frühstücken. Ich freue mich jetzt doch auf die wiederkehrende Müslizeit, wie früher, wo ich jeden Bissen dreißig- bis hundertmal andächtig gekaut und fast in Innerer Stille fast getrunken habe. Aber das geht nur ohne das depperte künstliche Gebiß. Ich habe es schon getestet, mit diesem Gebiß spüre ich die nährende Nahrung nicht, und nicht, wie sich der Geschmack der erlesenen Zutaten im Zerkauen und Zerkleinern entfaltet, weil die depperte Gaumen-Plastikplatte das verhindert. Und aus welchen Gründen auch immer: mit den zwei Fremdkörpern im Maul kann ich nicht gründlich kauen, der Zwang zum Schlingen und Schlucken wird potenziert (ein unbewußter Reflex? Keine Entspannung bei Fremdkörpern im Mund, die nicht essbare Nahrung sind? Who knows).

Und ohne Gebiß den Gästen aus Leipzig entgegentreten? Oder auch nur mich an ihnen vorbeischwindeln? Ich weiß nicht! (Mit fällt dazu der größte Lyriker des frühen zwanzigsten Jahrhunderts ein – Juan Ramon Jimenez! Der einmal - um die unten im Wohnzimmer mit seiner Frau zum Kaffeetratsch versammelten Damen trotz des notwendigen Weges durch eben diesen Raum nicht zu stören – einen Paravent verwendet hat, hinter den er sich lautlos versteckte. Den Damen ist nur aufgefallen, daß sich dieser Paravent leise und ganz, ganz langsam von der einen Tür zur anderen, die zur Küche führt, bewegt hat. Muß ein herrlicher Anblick gewesen sein! Aber was für eine poetische Not! Mir steigen die Tränen auf, wenn ich an diesen in die Dualität eingesperrten genialen Dichter denke! Und glaubt nicht, daß sein „Platero“ eine Kindergeschichte ist! Das ist die Dummheit des Bildungspöbels und der Tüchtigkeitsschnösel, die solche dichterischen, prosapoetischen Perlen als Kinderspielzeug abtun, weil sie es nicht aushalten und ihre arrogante Überheblichkeit es nicht überleben würde, sich davon berühren zu lassen. Und auch der Bunuel hat sich später für seine jugendlich-dumme Kritik entschuldigt. Ende das Exkurses!) Ich störe ja sowieso schon die reine, erhabene Piklerwelt, wenn ich verschlafener, verschwitzter Spätaufsteher durch den Tageskinderbereich zur Küche hindurch gehe, und erst recht, wenn Praktikanten, wahrscheinlich Praktikantinnen anwesend sind. Ach ja, ich merke, die Küche ist sowieso besetzt.

Was jetzt? Das Schicksal schickt mir einen Telefonanruf der Kleinen Zeitung Graz zu. Ich hebe ab (respektive: drücke den grünen Knopf). Es ging jedoch nicht um ein Angebot, eine Kolumne zu schreiben, sondern um ein Vier-Wochen-gratis-Probe-Abo. In meiner phantasie-kolumnen-bestrahlten Euphorie habe ich „ja“ gesagt. Dann bleib ich halt im Bett. Um zirka zwölf werden die Leipzigerinnen gehen; das geht sich aus mit meinen geplanten Besorgungen und dem Fünfzehn-Uhr-Therapie-Termin. Denn ich will mir einen neuen MP3-Player kaufen (Monatsbeginn), weil der andere schon voll ist und ich den gesamten Captain Beefheart And His Magic Band … das ist Reichtum!

Ich bekomme vom Kaffeeeeeeentzug (wie ich diese blöde Buchstabenverdreifachung hasse! Vor dieser Reform hatte man die Lesenden für intelligent genug gehalten, daß sie die Reduzierung auf maximal zwei gleiche verstanden und durchschaut haben und für die Schreibenden war es eine unbürokratische Erleichterung. Gehört die Sprache den Lehrern und Funktionären? Doch wohl nicht!) schon Kopfweh und werde immer hungriger. Es dürfte so halbzwölf sein und mir wird die Warterei zu blöd! Ich gehe hinunter.

Unten beobachten, notieren und beschreiben zwei prächtige Leipzigerinnen das Tageskindergeschehen. Whow! Wahrlich zwei schöne Weiber zwischen fünfundzwanzig und fünfundvierzig, gerade richtig für so einen alten, austrocknenden Lüstling wie mich (Liebe Leserinnen, denkt diesen Gedankengang bitte nicht zu Ende; es geht sich nicht aus)! Wobei fünfundvierzig für den alten Dingsbums keine Altergrenze ist! Noch dazu, wo ja der Phantasie keine Grenzen gesetzt sind.

Ich murmle nur und rede nicht, und wenn es nicht zu verhindern ist, dann nur mit vollem Mund, um meine Zahnlücken zu verbergen. Die Rolle des desinteressierten Grantscherms kann ich gut.

Aber warum trete ich ihnen dann so gegenüber? Ich habe doch gehört, daß es Frauen sind! Warum ziehe ich dann diese bequeme und unmögliche Pluderhose und die furchtbaren, löchrigen, angenehmen Wollsocken an? Ein Schlabberleiberl und den/das/die ausgefranste/n Hoodie (Geschlecht war nicht zu eruieren. Wenn man die Sprach-Sitten-Wächter braucht, versagen sie. Sagen nichts. Versager!)? Weil's eh schon wurscht ist!

So sitze ich im toten Winkel hinter dem Kühlschrank und luge manchmal hinterm Kühlschrank hervor, während ich mein Müsli verzehre, ohne von Sehnsucht nach den Weibern verzehrt zu werden (höchstens verzerrt).


Jetzt im Espresso resümiere ich den Ablauf und peppe ihn etwas auf. Wie ich aufstehen und eine Zeitung holen will, bemerke ich: ich kann das nicht mehr! Nicht weil die Tischchen enger stehen, sondern weil ich das Know-How des Hinter-dem-Tischchen-Hervorkommens vergessen habe. Wie tut man da mit dem Bein? Links oder rechts zuerst? Ach!!











(5./6.11.2019)












©Peter Alois Rumpf,  November 2019  peteraloisrumpf@gmail.com


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