1579 Prächtige Weiber
Es regnet in großen, lauten Tropfen, die immer mehr und
lauter werden. Aufstehen? Unten bei den Tageskindern sind Gäste, Praktikanten
aus Leipzig, die hier weitergebildet werden. Da ich heute meine nach langem
Widerstand gegen die ärztliche Empfehlung käsefreie Frühstückssaison eröffnen
will, will ich unbedingt ohne Krankenkassen-Gebiß frühstücken. Ich freue mich
jetzt doch auf die wiederkehrende Müslizeit, wie früher, wo ich jeden Bissen
dreißig- bis hundertmal andächtig gekaut und fast in Innerer Stille fast
getrunken habe. Aber das geht nur ohne das depperte künstliche Gebiß. Ich habe
es schon getestet, mit diesem Gebiß spüre ich die nährende Nahrung nicht, und
nicht, wie sich der Geschmack der erlesenen Zutaten im Zerkauen und Zerkleinern
entfaltet, weil die depperte Gaumen-Plastikplatte das verhindert. Und aus
welchen Gründen auch immer: mit den zwei Fremdkörpern im Maul kann ich nicht
gründlich kauen, der Zwang zum Schlingen und Schlucken wird potenziert (ein
unbewußter Reflex? Keine Entspannung bei Fremdkörpern im Mund, die nicht
essbare Nahrung sind? Who knows).
Und ohne Gebiß den Gästen aus Leipzig entgegentreten? Oder
auch nur mich an ihnen vorbeischwindeln? Ich weiß nicht! (Mit fällt dazu der
größte Lyriker des frühen zwanzigsten Jahrhunderts ein – Juan Ramon Jimenez!
Der einmal - um die unten im Wohnzimmer mit seiner Frau zum Kaffeetratsch
versammelten Damen trotz des notwendigen Weges durch eben diesen Raum nicht zu
stören – einen Paravent verwendet hat, hinter den er sich lautlos versteckte.
Den Damen ist nur aufgefallen, daß sich dieser Paravent leise und ganz, ganz
langsam von der einen Tür zur anderen, die zur Küche führt, bewegt hat. Muß ein
herrlicher Anblick gewesen sein! Aber was für eine poetische Not! Mir steigen
die Tränen auf, wenn ich an diesen in die Dualität eingesperrten genialen
Dichter denke! Und glaubt nicht, daß sein „Platero“ eine Kindergeschichte ist!
Das ist die Dummheit des Bildungspöbels und der Tüchtigkeitsschnösel, die
solche dichterischen, prosapoetischen Perlen als Kinderspielzeug abtun, weil
sie es nicht aushalten und ihre arrogante Überheblichkeit es nicht überleben
würde, sich davon berühren zu lassen. Und auch der Bunuel hat sich später für
seine jugendlich-dumme Kritik entschuldigt. Ende das Exkurses!) Ich störe ja
sowieso schon die reine, erhabene Piklerwelt, wenn ich verschlafener,
verschwitzter Spätaufsteher durch den Tageskinderbereich zur Küche hindurch
gehe, und erst recht, wenn Praktikanten, wahrscheinlich Praktikantinnen
anwesend sind. Ach ja, ich merke, die Küche ist sowieso besetzt.
Was jetzt? Das Schicksal schickt mir einen Telefonanruf der
Kleinen Zeitung Graz zu. Ich hebe ab (respektive: drücke den grünen Knopf). Es
ging jedoch nicht um ein Angebot, eine Kolumne zu schreiben, sondern um ein
Vier-Wochen-gratis-Probe-Abo. In meiner phantasie-kolumnen-bestrahlten Euphorie
habe ich „ja“ gesagt. Dann bleib ich halt im Bett. Um zirka zwölf werden die
Leipzigerinnen gehen; das geht sich aus mit meinen geplanten Besorgungen und
dem Fünfzehn-Uhr-Therapie-Termin. Denn ich will mir einen neuen MP3-Player
kaufen (Monatsbeginn), weil der andere schon voll ist und ich den gesamten
Captain Beefheart And His Magic Band … das ist Reichtum!
Ich bekomme vom Kaffeeeeeeentzug (wie ich diese blöde
Buchstabenverdreifachung hasse! Vor dieser Reform hatte man die Lesenden für
intelligent genug gehalten, daß sie die Reduzierung auf maximal zwei gleiche
verstanden und durchschaut haben und für die Schreibenden war es eine
unbürokratische Erleichterung. Gehört die Sprache den Lehrern und Funktionären?
Doch wohl nicht!) schon Kopfweh und werde immer hungriger. Es dürfte so
halbzwölf sein und mir wird die Warterei zu blöd! Ich gehe hinunter.
Unten beobachten, notieren und beschreiben zwei prächtige
Leipzigerinnen das Tageskindergeschehen. Whow! Wahrlich zwei schöne Weiber
zwischen fünfundzwanzig und fünfundvierzig, gerade richtig für so einen alten,
austrocknenden Lüstling wie mich (Liebe Leserinnen, denkt diesen Gedankengang
bitte nicht zu Ende; es geht sich nicht aus)! Wobei fünfundvierzig für den
alten Dingsbums keine Altergrenze ist! Noch dazu, wo ja der Phantasie
keine Grenzen gesetzt sind.
Ich murmle nur und rede nicht, und wenn es nicht zu
verhindern ist, dann nur mit vollem Mund, um meine Zahnlücken zu verbergen. Die
Rolle des desinteressierten Grantscherms kann ich gut.
Aber warum trete ich ihnen dann so gegenüber? Ich habe doch
gehört, daß es Frauen sind! Warum ziehe ich dann diese bequeme und unmögliche
Pluderhose und die furchtbaren, löchrigen, angenehmen Wollsocken an? Ein
Schlabberleiberl und den/das/die ausgefranste/n Hoodie (Geschlecht war nicht zu
eruieren. Wenn man die Sprach-Sitten-Wächter braucht, versagen sie. Sagen nichts.
Versager!)? Weil's eh schon wurscht ist!
So sitze ich im toten Winkel hinter dem Kühlschrank und luge
manchmal hinterm Kühlschrank hervor, während ich mein Müsli verzehre, ohne von
Sehnsucht nach den Weibern verzehrt zu werden (höchstens verzerrt).
Jetzt im Espresso resümiere ich den Ablauf und peppe ihn
etwas auf. Wie ich aufstehen und eine Zeitung holen will, bemerke ich: ich kann
das nicht mehr! Nicht weil die Tischchen enger stehen, sondern weil ich das
Know-How des Hinter-dem-Tischchen-Hervorkommens vergessen habe. Wie tut man da
mit dem Bein? Links oder rechts zuerst? Ach!!
(5./6.11.2019)
©Peter Alois Rumpf, November 2019
peteraloisrumpf@gmail.com
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