Sonntag, 11. August 2019

1451 Ich habe eine Affäre mit dem Wind


Ich bin jetzt auf der stillen Seite. Die Vier-Stamm-Linden haben sich bei genauerem Hinsehen als Acht-Stamm-Linden herausgestellt, die den Platz, an dem ich nun sitze, im Kreis umgeben. Rechts hinter mir macht eine Frau, die mir bekannt vorkommt, Yoga; von dort tönt auch leise Meditationsmusik her. Aber ich, als gescheiterter Tolteke, sitze im wirklichen Zentrum des magischen Ortes. Auch hier streicheln sanfte Brisen die Büsch' und Bäum', bewegen manches Zweiglein und Ästchen und lassen andere aus. Ich atme tief. Ein Schauder läuft über und durch mich; ich danke euch, ihr Bäume und Verwandte.
Die Gelenke der Yogini höre ich knacksen; die Fliege, die mich umkreist, summt; die Autos im unsichtbaren Hintergrund brummen, fahren und ihre Reifen auf der Straße rollen und grippen laut.

Ich will meinen Platz etwas säubern.

Ich habe den Platz in einem Kreis von etwa gut ein Meter im Durchmesser von Ästen etcetera gesäubert. Die Mittagsglocken geben mir recht, während die Frau nebenan sich nach ihrem Kopfstand tief gebeugt auf Mutter Erde hinkniet. (Mit „Mutter Erde“ tu ich mir immer noch schwer, denn beim Stichwort „Mutter“ habe ich die Tendenz, aggressiv zu werden und auszurasten.)
Ein Vogel ruft mich mehrmals und immer wieder zur Beruhigung. Ich nehme meine Kappe ab und blicke ins vereinigte Königreich der Baumkronen (dabei versuche ich eigentlich, still zu werden). Ein unsichtbares Flugzeug dröhnt über mir – dem Zentrum der Welt – hinweg.
Ein naher Vogel zirpt. Oh, wie meine Brillengläser verschmiert und trüb sind!

Ich fühle mich ausgesprochen wohl im Zentrum der Welt. Das Zentralgefühl tut mir gut. Ein Specht gibt mir recht und klopft auf Holz. Danke, mein Freund.
Warum schlingert und wirbelt das Gedröhn der Flugzeuge so auf und nieder, hin und her, lauter und leiser?
Der Wind kommt von weitem – ich sehe ihn an Bäum' und Büsch' heranwehen – direkt von vorne auf mich zu, schaukelt meinen linden Kreis auf und hüllt mich kurz und zärtlich ein (ich habe eine Affäre mit dem Wind). Und nochmals kommt eine Böe den gleichen Weg daher und tut mir lieb und gut. Und beim dritten Mal eine ganz, ganz zarte und sanfte Brise. Der Specht, die Spechtin lacht nicht, aber klopft mich aus. Ich lächle zurück.

Und wieder: die Brise nehme ich zuerst beim zirka sechzig Meter entfernten Ahorn wahr, dann beim Gebüsch und dann hier in meinem Lindenbaumkreis.

Nun gehen meine Brisen schon ineinander.








(8.8.2019)









©Peter Alois Rumpf,  August 2019  peteraloisrumpf@gmail.com

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