1451 Ich habe eine Affäre mit dem Wind
Ich bin jetzt auf der stillen Seite. Die Vier-Stamm-Linden
haben sich bei genauerem Hinsehen als Acht-Stamm-Linden herausgestellt, die den
Platz, an dem ich nun sitze, im Kreis umgeben. Rechts hinter mir macht eine
Frau, die mir bekannt vorkommt, Yoga; von dort tönt auch leise Meditationsmusik
her. Aber ich, als gescheiterter Tolteke, sitze im wirklichen Zentrum des
magischen Ortes. Auch hier streicheln sanfte Brisen die Büsch' und Bäum',
bewegen manches Zweiglein und Ästchen und lassen andere aus. Ich atme tief. Ein
Schauder läuft über und durch mich; ich danke euch, ihr Bäume und Verwandte.
Die Gelenke der Yogini höre ich knacksen; die Fliege, die
mich umkreist, summt; die Autos im unsichtbaren Hintergrund brummen, fahren und
ihre Reifen auf der Straße rollen und grippen laut.
Ich will meinen Platz etwas säubern.
Ich habe den Platz in einem Kreis von etwa gut ein Meter im
Durchmesser von Ästen etcetera gesäubert. Die Mittagsglocken geben mir recht,
während die Frau nebenan sich nach ihrem Kopfstand tief gebeugt auf Mutter Erde
hinkniet. (Mit „Mutter Erde“ tu ich mir immer noch schwer, denn beim Stichwort
„Mutter“ habe ich die Tendenz, aggressiv zu werden und auszurasten.)
Ein Vogel ruft mich mehrmals und immer wieder zur
Beruhigung. Ich nehme meine Kappe ab und blicke ins vereinigte Königreich der
Baumkronen (dabei versuche ich eigentlich, still zu werden). Ein unsichtbares
Flugzeug dröhnt über mir – dem Zentrum der Welt – hinweg.
Ein naher Vogel zirpt. Oh, wie meine Brillengläser
verschmiert und trüb sind!
Ich fühle mich ausgesprochen wohl im Zentrum der Welt. Das
Zentralgefühl tut mir gut. Ein Specht gibt mir recht und klopft auf Holz. Danke,
mein Freund.
Warum schlingert und wirbelt das Gedröhn der Flugzeuge so
auf und nieder, hin und her, lauter und leiser?
Der Wind kommt von weitem – ich sehe ihn an Bäum' und Büsch'
heranwehen – direkt von vorne auf mich zu, schaukelt meinen linden Kreis auf
und hüllt mich kurz und zärtlich ein (ich habe eine Affäre mit dem Wind). Und
nochmals kommt eine Böe den gleichen Weg daher und tut mir lieb und gut. Und
beim dritten Mal eine ganz, ganz zarte und sanfte Brise. Der Specht, die
Spechtin lacht nicht, aber klopft mich aus. Ich lächle zurück.
Und wieder: die Brise nehme ich zuerst beim zirka sechzig
Meter entfernten Ahorn wahr, dann beim Gebüsch und dann hier in meinem
Lindenbaumkreis.
Nun gehen meine Brisen schon ineinander.
(8.8.2019)
©Peter Alois Rumpf, August 2019 peteraloisrumpf@gmail.com
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