1413 Noch ein „Geständnis“
Im Text Nummer 1410 Mein Mißbrauch habe ich schon
beschrieben, wie in meiner Kindheit und Jugend Sexualität ein verdrängtes und
gerade dadurch allgegenwärtiges Thema und wie mein „Aktionsradius“ was
Handlungsspielraum und Reichweite betrifft durch meine Schüchternheit und
Verklemmtheit eingeengt waren. Jetzt mein „Geständnis“: dennoch habe ich als
Siebzehnjähriger Sex mit einem ungefähr gleichaltrigen Burschen gehabt. Ich
rede nicht von Bubenspielen wie Weitbrunzen oder Nackt-In-Den-Bach-Springen,
auch nicht vom Mißbrauchtwerden als Dreizehnjähriger von einem erwachsenen Mann
(Nummer 89 Mein ganz persönlicher Größenwahn), sondern von von mir
initiiertem Sex. Zwar war ich von der ungewöhnlichen Ausnahmesituation
mitgerissen und verbale, verdeckt homoerotische Anspielungen schwirrten schon
den ganzen Nachmittag durch diese hauptsächlich aus Burschen bestehende
Jugendlichengruppe, aber dennoch: letztlich habe ich die Geschichte im nicht
alltäglichen Umfeld angezettelt. Eindeutig war ich nicht das Opfer oder der
Verführte, sondern der Initiator und „Verführer“. Zwar habe ich dabei immer
gesagt. „das ist kein Ersatz für eine Frau“ - und bezüglich Frauen war ich noch
jungfräulich, aber Lust war es doch. Ich war in den Burschen nicht verliebt,
eher ging es um Neugier, Ausprobieren und Gelegenheit. Meine sexuellen
Phantasien waren immer auf Frauen bezogen – das nur zur Information.
Damals allerdings war diese „Sache“ für mich eine moralische
Katastrophe. Gerade hatte ich mich als autoritär Erzogener zwischen der
nachachtundsechziger Befreiungs- und Popmusikwelt und meiner katholischen
Anhänglichkeit – bei aller Fragwürdigkeit auch Platzhalter für echte
spirituelle Sehnsucht – schwankend für Zweiteres entschieden, sprich: Theologie
und nicht Psychologie zu studieren – von einem im Rahmen der Schule aus dem
Nichts aufgetauchten Berufsberater davon abgeraten, Psychlogie zu wählen, weil
man mit dem Psychologiestudium seine psychischen Probleme – die mir offenbar
anzusehen waren – nicht lösen kann (richtig! Aber das kann man mit Theologie
oder sonst etwas auch nicht! ) und jetzt das!
In meiner Not, Angst, Feigheit (?) und in meinem Schock habe
ich mich für die Verdrängung entschieden. Und das kostet! Natürlich kann so
etwas nicht funktionieren. Wenn einem so im kontrollverlustigten Zustand vorm
Einschlafen plötzlich die Erinnerung an diese Szene hochpopt! Was für eine
Schande, was für eine Scham, was für ein Schuldgefühl! Und das bei meinem
Versuch - damals schon – mich fromm zur
Kirche hinzubeamen, wo ich außerdem noch an einen verklemmten Kaplan als meinen
Mentor geraten bin.
Erst als ich dann im Laufe des Studiums doch wieder mit den
Achtundsechzigern & Erben in Kontakt gekommen bin und mich bis hin zum
Kirchenaustritt ihnen angeschlossen habe, hat mir dieses Abenteuer kaum
Probleme, Scham oder Schande gemacht, denn ich habe es als etwas normales
angesehen, auch wenn ich vorsichtig war und es nicht jedem auf die Nase
gebunden habe – die frühen Achtundsechzigermänner konnten noch ausgeprägte
Machos sein – aber vor meinem inneren „Gerichtshof“ wurde ich deswegen nicht
mehr angeklagt.
Im – wie mir schien – richtigen Rahmen der ersten
Männergruppe in Österreich habe ich dann davon erzählt. Ganz so einfach war das
dann doch nicht: ich erinnere mich, daß ich dabei am ganzen Körper gezittert
und mir meine Stimme fast versagt hat, aber gegen meine Angst habe ich es
geschafft, darüber zu reden. Das hat auffallend zurückgezuckte Reaktionen
ausgelöst, bis dann der eine oder andere – durchaus in herterosexuellen
Beziehungen lebend – mit seinen homosexuellen Erfahrungen - meistens in
Pubertät und früher Jugend - herausgerückt ist.
Erst als beim nächsten Treffen ein neues Gruppenmitglied
aufgetaucht ist, von dem ich wußte, daß er aus dem selben Ort kommt wie mein
Abenteuerpartner und ihn auch kennt, wollte ich nicht mehr davon reden und habe
herumgeeiert, während mich andere Gruppenmitglieder – nichts von diesem Umstand
wissend - immer wieder dazu befragen
wollten - ich vermute heute, sie waren froh,
daß ich davon geredet hatte und meine Geheimnisse preisgeben und sie damit aus
dem Schneider waren. Überhaupt: diese als Gesprächs- und Selbsterfahrungsrunde
angelegte Männergruppe war in Wirklichkeit ohne jede professionelle
psychologische, gruppendynamische oder therapeutische Begleitung nicht so ohne
Gefahren (z.B. für mich und meine Seele) und zum Scheitern verurteilt. Ich
selber habe mich jedoch als Pionier der zwar hinter der Frauenbewegung
nachhinkenden, aber dennoch parallelen und diese ergänzenden Männerbefreiung
gesehen.
Erst viel später, in meiner döbranitischen Gefangenschaft
und der damit verbundenen Ausradierung meiner ganzen Persönlichkeitsentwicklung
bis dahin und dem damit verbundenen In-Die-Fünfzigerjahre-Zurückgebombt-Werden
inklusive des Auftrags, Theologe als für mich „richtigen“ Beruf zu wählen und
deshalb zur Kirche zurückzukehren, wurde dieses mein Abenteuer wieder zum
Problem, denn ich mußte es verdrängen und es kamen wieder immense Schuldgefühle
ins System und ich mußte mir deswegen eine homophobe Ideologie aufbauen. Es hat
wieder Jahrzehnte gedauert, mich davon zu befreien.
Und erst jetzt vor kurzem, nachdem ich auf der Therapiecouch
liegend in dieses Thema „gerutscht“ bin, war ich bereit, darüber zu reden und
zu schreiben. Durchaus ein befreiendes Gefühl!
(15.7.2019)
©Peter Alois Rumpf
Juli 2019
peteraloisrumpf@gmail.com
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