Mittwoch, 20. Juni 2018

988 Blech und das ist schön


Blech, Blech, Blech. Das sind nicht die Symbole meiner Niederlagen (Blechmedaillen), denn die  landeten fast immer so um den letzten Platz herum, sondern das, was ich sehe, wenn ich aus dem Fenster des Cafés schaue: Autos, Autos, Autos. Nur ich habe kein Selbst. (Findest du den Fehler? Ein Selbst hat man nicht, ein Selbst ist man!) (Oder habe ich etwas verpasst und die Autos sind heute aus Plastik?)

Meine Karosserie ist aus Fleisch und Blut und allem, was dazugehört (Haut und Knochen zum Beispiel und die Sturm-Graz-Armbanduhr am linken Handgelenk), dann noch etwas wie eine verquälte Psyche (Seele: bleibt fraglich) – vielleicht bin ich ein Replikant, von irgendwelchen verblendeten und sich selbst überschätzenden Idioten installiert. (Oh, schimpfen könnte ich, so viel schimpfen!) ίδιος heißt 'eigen' (die Karosserie will angeben) (Wenn sie sonst nichts hat).

Draußen also lauter unnütz herumstehende Autos, Blechselbste, verstellen alles, verstellen Raum und Blick, eine „unverschämte“ (Zitat Döb.) Anmaßung (wahrscheinlich auch Zitat Döb.).

Aber ruhig ist es jetzt im kleinen Café; sogar die Kellnerin hat sich ein wenig hinsetzen können, und das ist schön.

Es gehen viele Leute vorbei und das ist auch schön. Ich schaue gerne Passanten zu, wenn sie sich alltäglich bewegen; mehr als dem Leben zuschauen will ich gar nicht mehr. Der Bettler hat einen beinah seligen Blick.

Ich fange an, die Passanten zu lieben. Sie sind alle mitleiderregend, wenn sie sich unbeobachtet glauben – und die Selbstkontrolle in der Öffentlichkeit hat seit der späteren Mitte des vorigen Jahrhunderts deutlich abgenommen, weil auch der gesellschaftliche Zusammenhalt abgenommen und seine  symbolische Darstellung in der Öffentlichkeit als Raum der Bezogenheit der Mitglieder der Gesellschaft aufeinander und ihre gegenseitige Wahrnehmung stark nachgelassen haben – also viele fühlen sich in der Straßen-Öffentlichkeit fast schon unbeobachtet – im Gegensatz zur medialen – darum nehmen seit der späten Mitte des vorigen Jahrhundert die Selbstgespräche auf der Straße immer mehr zu und das öffentliche, weitgehend bloß halbbewußte Grimassieren, weil sich der Einzelne eher wie in einem Dschungel oder wie in einem Abseits fühlt und nicht mehr in einer mit den anderen geteilten Welt – wenn sie sich unbeobachtet glauben, kommen ihre Verletztheit, ihre Armut, ihre Angst, ihre Erschöpfung, ihre Enttäuschung zum Vorschein. Dieses Zuschauen fällt mit leichter, wenn sie nicht herschauen und das tun sie nicht. Und das ist schön. Ich brauche nur meinen toten Winkel, um mich zu fühlen. (Fühl dich!)

Weil ich im Moment der einzige Gast bin, haben die zwei Kellnerinnen Zeit, miteinander zu reden. Das muslimische Kopftuchmädchen fragt ihre Kollegin, ob sie auch Köpfe und Landschaften malt. Und Tiger. Ob sie Tiger liebt. … Was für ein schöner Dialog! So unschuldig, so …

Ich habe genug gehört und gesehen. Ich will jetzt in diesem schönen Augenblick meinen Ausflug beenden. (Das muslimische Mädchen sagt im selben Moment, wo ich das Wort 'Ausflug' hinschreibe, in einem Satz: „Ausflug“ und dann „Griechenland ist sicher auch schön“.)

Ich gehe.








(19./20.6.2018)











©Peter Alois Rumpf    Juni 2018     peteraloisrumpf@gmail.com

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