Donnerstag, 14. Juni 2018

981 Aida


Aida. Schön! Ich trete ein und bewege mich auf einen Fensterplatz zu. Eine gehbehinderte Frau mit Stöcken – zumindest Mittelstand - drängt von hinten an mich heran, berührt meinen Arm und sagt: „Entschuldigung“. Ich drehe mich um und will wissen, was sie von mir will. Bevor ich das weiß – denn sie sagt nichts – hat sie sich schon auf meinen angepeilten Fensterplatz gesetzt. Ihre Begleiterin – ihre Tochter? - sagt zu ihr irgendetwas von „vorgedrängt“. Ich höre es und sage zu ihrer Begleiterin: „Immerhin hat sie sich dafür entschuldigt, daß sie sich vorgedrängt hat. Immerhin!“

Solche Geschichten gefallen mir. Immer schon. Und es gefällt mir auch, daß mir eine solche Antwort eingefallen ist. Man spricht ihr gar nicht das Recht ab, sich vorzudrängen – wer weiß schon, warum und nach welchem himmlischen, göttlichen, kosmischen, karmischen oder sonstigem Gesetz dies geschehen darf – aber ich nehme mir das Recht, den Vorgang beim Namen zu nennen: „Vordrängen“. Solche Antworten – das muß ich sagen – habe ich vom Döbereiner gelernt. Obwohl ich schon lang vor Döbereiner manchmal sehr gute und spontane Antworten hatte.

Zum Beispiel: Das war vor Jahrzehnten bei einer meiner ewigen Nachtschichten in der Abteilung fünf des Umleitungspostamtes 1150. Der Dienst dauerte elf oder zwölf Stunden, mit einer eineinhalbstündigen Mitternachtspause. Viele Studenten und Studentinnen im Ferialjob arbeiteten dort, zum fixen Personal gehörten viele Weinbauern aus dem Umland von Wien und einige echte Wiener. Cultural Clash kann man sagen. Damals schon – vor 1989 – vor allem beim Thema Ausländer am deutlichsten ablesbar. Einer hat besonders viel geschimpft und überhaupt so einen aggressiven Ton drauf gehabt. Ein richtiger Wiener, und so wie er geredet hat, hat er auch ein, zwei „Pferdchen“ laufen gehabt, wie er das genannt hat, und nicht auf der Trabrennbahn. Ob er wirklich nebenberuflich Zuhälter war oder nur damit angeben wollte, kann ich als realitätsfremder und dualitätsgesperrter Mensch nicht wirklich beurteilen; jedenfalls hatte er einmal – an einem anderen Tag als dem, von dem ich jetzt erzählen werde - unten in der Ausweich – wo es keinen Revidenten (Kontrollbeamten) gab und er das Kommando führte – eine Dame hereingeholt, die in Aufmachung, Verhalten etc. schon hinpassen würde, noch dazu, wo er sie möglicherweise Kollegen angeboten hat – aber das kann ich nicht sicher bezeugen – könnte ja auch eine Projektion von mir sein. Dem Kerl hat es also auch viel Spaß gemacht, die über seine ausländerfeindlichen und frauenverachtenden Sprüche entsetzten Studentinnen erst recht zu provozieren. Ich hatte schon längst keine Lust mehr, mit ihm zu diskutieren – er war im Leben viel erfolgreicher, als ich. Das ist ja unter Umständen auch ein Kriterium dafür, welche Haltung wie viel wert ist – und habe schweigend und kommentarlos zugehört.
Einmal zieht er wieder ordentlich über „die Neger“ her, den anwesenden Studentinnen bleibt der Mund offen vor Entsetzen, wie er daherredet und sie haben sehr vergeblich versucht, dagegen zu halten. Wie gesagt: ich war still. Ich muß dazwischen noch einfügen, daß ich dort auf der Post bei den meisten wohl als homosexuell galt. Es gibt genug Anzeichen dafür und für schlichtere Gemüter ist ein Mann, der bei der Tür hereinkommt und nicht gleich die anderen Männer zurechtputzt und die Weiber anbaggert, nicht ganz richtig. Das gibt dem Ganzen noch einen speziellen Spin. Unser Freund redet mich also an und sagt: „Na, Beda!, g'foit da des, wenn a Bimbo unsere Weiber pudert?“ Und ich – ich schwöre, ich wußte selber nicht, was da als Antwort aus mir herauskommen wird – ich antworte schlagfertig und spontan und für mich selber überraschend: „Keine Ahnung! Ich habe dabei noch nie zugeschaut!“

Immerhin haben alle gelacht, sogar die entsetzten Studentinnen haben gelächelt, und die Situation war entschärft. Immerhin.

Aida. Auf weitere Beschreibungen von Kellnerinnen, Gästen und Passanten verzichte ich heute.






(14.6.2018)









©Peter Alois Rumpf    Juni 2018     peteraloisrumpf@gmail.com

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