556 „Den Tod als Ratgeber benutzen“
Ich denke oft an den Tod. Genauer gesagt: daran, daß ich
sterblich bin. Ich habe mir das vom Castaneda abgeschaut, wo die Rede davon
ist, den „Tod als Ratgeber“ zu benutzen. Dort hat es den Sinn, die Proportionen
zurecht zu rücken und sich die Kostbarkeit eines jeden Momentes bewußt zu
machen. Nachdem eine jede Handlung, ein jeder Augenblick die beziehungsweise
der letzte sein kann, gibt es nur die eine sinnvolle Chance, diese Handlung,
diesen Augenblick mit aller Konzentration, mit aller Hingabe, Freude, Liebe zu
vollziehen, alles hineinzugeben, das man hat, egal, ob man eine Landschaft
anschaut, einem Baum pflanzt, einen Kampf ausführt, ein Haus baut, seine Arbeit
erledigt, mit seinen Kindern spielt, Nase bohrt, die Schuhe putzt … völlig
egal, was für eine Handlung das ist; völlig egal, was die Herausforderung des
Augenblicks ist, völlig egal – im wahrsten Sinn des Wortes, weil der Tod alles
gleich macht. Diese Auffassung vom Leben, diese Haltung hat mich fasziniert,
seit ich sie vor fast vierzig Jahren zum ersten Mal gelesen habe.
Nun, ich bin weit davon entfernt. Ich habe immer den
Eindruck, ich kokettiere bloß mit dieser Vorstellung, daß der Tod immer eine
Armeslänge hinter unserer linken Schulter steht, uns beobachtet und wartet.
Manchmal kommt es schon vor, daß ich, wenn ich mich links nach ihm umdrehe, den
Schauder spüre, mit dem er seine Anwesenheit zeigt, aber nur ganz selten. Ich
erwarte mir dann, daß sich in diesem Moment alles zurechtrückt, daß ich dann
alles an seiner richtigen Stelle lassen kann
und mein Geist klar wird, weil alles Überflüssige abfällt. Aber das
geschieht gar nicht. Zumindest nicht so, wie ich es erwarte. Nichtsdestotrotz
versuche ich diese Übung immer wieder, auch, wenn ich sie tagelang vergessen
kann.
Es bleibt aber so, als würde ich das nicht ernst nehmen, als
würde ich das nur spielen und in Wirklichkeit bin ich genauso vom Wahn der
Unsterblichkeit befallen, wo man alle seine Handlungen revidieren zu können
glaubt und alles provisorisch bleibt.
Denn nur die Vorstellung vom persönlichen Tod kann uns dazu
bringen, alles Unnötige loszulassen, das, was da ist, in Dankbarkeit und Demut
anzunehmen und zu nutzen, ohne Gier, frei, ohne Angst, ohne Skrupel, aufrecht,
unkorrumpierbar, ohne Bedauern, ohne Reue.
Mein Denken an den Tod kommt mir mehr wie eine Flucht aus
der Wirklichkeit vor, die ich so oft so schwer ertrage, während das echte
Empfinden der eigenen Sterblichkeit genau das Gegenteil bewirkt: daß man sich
an der Wirklichkeit erfreut und sie ohne Zaudern und falsches Theater annimmt.
Dann wird das eigene Ego, die eigene Aufgeblasenheit offensichtlich etwas
Überflüssiges, Lächerliches, das einen nur hindert, den Augenblick in seiner
Reinheit und Fülle auszukosten.
Ein „schwaches“ Ego ist aber sehr „stark“, wenn es darum
geht, es loszuwerden. Es klammert sich an seine Interpretation der
Wirklichkeit.
(31.12.2016)
©Peter Alois Rumpf Jänner
2017 peteraloisrumpf@gmail.com
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