Dienstag, 3. Januar 2017

556 „Den Tod als Ratgeber benutzen“

Ich denke oft an den Tod. Genauer gesagt: daran, daß ich sterblich bin. Ich habe mir das vom Castaneda abgeschaut, wo die Rede davon ist, den „Tod als Ratgeber“ zu benutzen. Dort hat es den Sinn, die Proportionen zurecht zu rücken und sich die Kostbarkeit eines jeden Momentes bewußt zu machen. Nachdem eine jede Handlung, ein jeder Augenblick die beziehungsweise der letzte sein kann, gibt es nur die eine sinnvolle Chance, diese Handlung, diesen Augenblick mit aller Konzentration, mit aller Hingabe, Freude, Liebe zu vollziehen, alles hineinzugeben, das man hat, egal, ob man eine Landschaft anschaut, einem Baum pflanzt, einen Kampf ausführt, ein Haus baut, seine Arbeit erledigt, mit seinen Kindern spielt, Nase bohrt, die Schuhe putzt … völlig egal, was für eine Handlung das ist; völlig egal, was die Herausforderung des Augenblicks ist, völlig egal – im wahrsten Sinn des Wortes, weil der Tod alles gleich macht. Diese Auffassung vom Leben, diese Haltung hat mich fasziniert, seit ich sie vor fast vierzig Jahren zum ersten Mal gelesen habe.

Nun, ich bin weit davon entfernt. Ich habe immer den Eindruck, ich kokettiere bloß mit dieser Vorstellung, daß der Tod immer eine Armeslänge hinter unserer linken Schulter steht, uns beobachtet und wartet. Manchmal kommt es schon vor, daß ich, wenn ich mich links nach ihm umdrehe, den Schauder spüre, mit dem er seine Anwesenheit zeigt, aber nur ganz selten. Ich erwarte mir dann, daß sich in diesem Moment alles zurechtrückt, daß ich dann alles an seiner richtigen Stelle lassen kann  und mein Geist klar wird, weil alles Überflüssige abfällt. Aber das geschieht gar nicht. Zumindest nicht so, wie ich es erwarte. Nichtsdestotrotz versuche ich diese Übung immer wieder, auch, wenn ich sie tagelang vergessen kann.
Es bleibt aber so, als würde ich das nicht ernst nehmen, als würde ich das nur spielen und in Wirklichkeit bin ich genauso vom Wahn der Unsterblichkeit befallen, wo man alle seine Handlungen revidieren zu können glaubt und alles provisorisch bleibt.
Denn nur die Vorstellung vom persönlichen Tod kann uns dazu bringen, alles Unnötige loszulassen, das, was da ist, in Dankbarkeit und Demut anzunehmen und zu nutzen, ohne Gier, frei, ohne Angst, ohne Skrupel, aufrecht, unkorrumpierbar, ohne Bedauern, ohne Reue.

Mein Denken an den Tod kommt mir mehr wie eine Flucht aus der Wirklichkeit vor, die ich so oft so schwer ertrage, während das echte Empfinden der eigenen Sterblichkeit genau das Gegenteil bewirkt: daß man sich an der Wirklichkeit erfreut und sie ohne Zaudern und falsches Theater annimmt. Dann wird das eigene Ego, die eigene Aufgeblasenheit offensichtlich etwas Überflüssiges, Lächerliches, das einen nur hindert, den Augenblick in seiner Reinheit und Fülle auszukosten.
Ein „schwaches“ Ego ist aber sehr „stark“, wenn es darum geht, es loszuwerden. Es klammert sich an seine Interpretation der Wirklichkeit.





(31.12.2016)








 ©Peter Alois Rumpf     Jänner 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

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