3890 Scham?
9:20 a.m. Heute wollte ich hinaus, zu den Menschen, in ein Café zum Beispiel, aber ich merke, dass ich das nicht schaffen werde. Es ist ein strahlend schöner Morgen (ich habe das auf dem Weg ins Badezimmer beim Atelierfenster gesehen), aber eine unverständliche Beklemmung schränkt mir meinen Handlungsspielraum ein. Ich verstehe nicht, was los ist. Ich prüfe, ob eine kleine Wanderung „in die Natur“ geht, komme jedoch zu keinem Ergebnis. Anscheinend möchte ich mich nicht mehr so zeigen, so, wie ich bin. Mit meinem Scheitern auf die Stirn geschrieben. Ist es wirklich das? Scham? … Ja, könnte sein. So sicher weiß ich das nicht. Ich hege die vage Hoffnung, dass sich diese Stimmung (im musikalischen Sinn) im Laufe des Tages noch ändern könnte, aber momentan kommt der Impuls, das Bett zu verlassen, trotz Sonnenschein draußen im Innern nicht durch. Damit es kein Mißverständnis gibt: so, im Bett, fühle ich mich durchaus irgendwie geschützt und geborgen; es jagen mich akut keine Ängste herum; hier halt ich es gut aus. Ja, mich schreckt das auch, dass die Geborgenheit auf meine alten Tage so eine wichtige Rolle spielen soll. Am stimmigsten ist noch das Bild von einem verletzten Tier, das sich ins Dickicht eines Gebüsches zurückgezogen hat und hofft, dass es da kein Raubtier findet. Lustig! Die Unterseite der Jethro-Tull-Zede im Zedeturm scheint mir wieder graphisch, farblich, ja künstlerisch interessant, obwohl ich sie gestern aus der Nähe angeschaut habe und weiß, dass ich aus der Entfernung so einer Art optischen Täuschung erliege, denn die Gestaltung der Rückseite ist prosaisch und eher schlicht. Mein erster tiefer Atemzug an diesem Morgen kommt von ganz alleine und kann die verklemmte Brust etwas weiten. Nach ein paar Minuten Ratlosigkeit kommt ein zweiter. Den dritten führe ich selbst mit Absicht herbei. Die Beklemmung scheint sich tatsächliche ein wenig zu lockern. Fürs Hinausgehen reicht es noch nicht, um das Bett zu verlassen, vielleicht schon. Aber ich will noch nicht aufstehen, meine Wunde ist noch nicht ausgeheilt.
11:06 a.m. Ich werde mich jetzt zwingen müssen. Vielleicht geht einkaufen; da zahle ich immerhin für meine Anwesenheit in der Welt.
(5.12.2024)
©Peter Alois Rumpf Dezember 2024 peteraloisrumpf@gmail.com
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