3886 Reallifedance
13:59. Beim Herwandern zur Buchabholung beim Herder hatte ich mein schönes Hänschenklein-Hans-im-Glück-Gefühl, denn ich bin den ganzen Weg zu Fuß gegangen, weil die Tramway erst in 8 Minuten gekommen und deren Strecke nicht einmal die Hälfte des Weges gewesen wäre (ich war mit allen Nebenerledigungen sicherlich eine dreiviertel Stunde unterwegs; mein Weg war länger als der von Irdning nach Raumberg, nur nicht so steil).
Nun aber sitze ich beim ersten Kaffee des Tages. Genau genommen bald – wie ich hoffe – denn noch hat sich keine Kellnerin nach meiner Begehr erkundigt. Aber jetzt: Cappuccino (beide haben wir dabei unsere Augenbrauen hochgezogen und die Augen aufgerissen). Und am Handy erhalte ich die Nachricht, dass das REM-Buch bald fertig sein soll (nur noch ein paar Kleinigkeiten).
Sitzen tue ich direkt am Fenster zu Gehsteig und Straße der Wollzeile, neben der Eingangstür. Ich sehe die Leute die Straße hinunter und hinauf flanieren und hereinkommen und hinausgehen. Es ist viel los, sodass meine Beschreibungsaufmerksamkeit einerseits nicht nachkommt und andererseits die Schreiberei überfordert. Sagen wir so: ich lasse mich vom Straßentheater einlullen. Die Spiegelungen hier im Café sind interessant und aufs erste nicht nachvollziehbar, weil sie über mehrere Stationen verlaufen. Ein Glatzkopf verdeckt im Spiegel zeitweise das Spiegelbild einer schönen, jungen Frau (warum auch nicht? Er sitzt ja bei ihr am Tisch! - der innere Spötter), aber ich kann auch direkt hinschauen. Das alles hat mit mir nichts zu tun. Ein alter Mann mit Stock geht mühsam vorbei und lächelt. Ein lädiertes Auto (getapet!) kurvt langsam um die Ecke. Warum denke ich jetzt wieder an die intensiven Verbformen wie sprühen-spritzen, schneiden-schnitzen, fliehen-flitzen? Ich muß unglaublich stolz auf dieses mein Wissen sein, denn ich denke oft daran und muß es unbedingt bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit anbringen. Von den Gesichtern der Passanten her sind alle mehr oder weniger in imaginären, inneren Kämpfen verstrickt (was waren schnell die imaginären Zahlen?). Ein Glatzkopf kommt herein, schaut auf sein Handy und geht wieder hinaus; wahrscheinlich ist er beim Diglas, ein paar Häuser weiter, verabredet. Ich versuche, in und aus den Bewegungen der Menschen auf der Straße eine Story oder ein Muster oder ein Drama oder ein Dramolette zu ziehen, aber es gelingt nicht. Eine alte, weißhaarige Frau steigt an der Ecke aus einem Taxi und hat ihre rote Handtasche mehr schlecht als recht über ihren wattierten Wintermantel gehängt: bei der Kapuze verwurschtelt sich der Trageriemen. Eine junge, robuste Frau geht mit deutlich erhobenem Kopf vorbei; sozusagen für den Lebenskampf bereit. Bei manchen, meistens alten Männern, sehe ich in den Augen, dass sie abgeschlossen haben und fast nur mehr der Hass übrig geblieben ist – aber das mag meine Projektion sein. Eine ältere Frau lächelt in sich hinein und stellt es im Vorbeigehen ab. Eine junge Mutter mit zwei kleinen Kindern – war ihr Blick leer und ausgelaugt? Es ist zu schnell passiert, als das ich es hätte besser erfassen können. Ein altes Paar mit trübem, verdämmernden Blicken kommt herein; scheinen sich aber gut zurechtzufinden. Sicherheit mit System steht auf einem Auto. Meine Sicherheit hat kein System. Ich sollte nach Hause gehen: dort wartet das Geschirr auf mich und eine Einkaufstour für unseren täglichen Bedarf (inklusive Tageskinder) mit meiner lieben Frau – der Trolley wird für einen allein schon recht schwer über die Stiegen die Stockwerke hinauf. Außerdem ist das köstliche Paararbeit und volles Beziehungsabenteuer, Kooperationstraining zur Überwindung von Eigendünkel und zur Übung in Geduld. Allein schon der Aufeinaderprall der männlichen (zack, zack, zack, raus!) und der weiblichen Einkaufsstrategien (Erholung, Trance und Reallifedance und Einkaufsballett).
(3.12.2024)
©Peter Alois Rumpf Dezember 2024 peteraloisrumpf@gmail.com
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