Freitag, 26. November 2021

2505 Oh wie schön ist

 

Aus einem unguten Traum erwacht (13:26) betrachte ich mit schwermütigem Genuß mein schönes Zimmer. Wirklich! Warum sollte ich aufstehen und hinausgehen? Die Stille hier ist köstlich, ich erfreue mich am Anblick meiner Schätze hier und an meiner Raumgestaltung. Verschlafen wie ich bin, brauche ich nur irgendetwas ein paar Sekunden lang anschauen – schon verändert sich das Angeschaute und verwandelt sich. So wird zB in Mali Lošinj die Hafenstraße zu Kopftuch und Schleier einer hexenartigen Gestalt in marianischer Kleidung, weiblich auf jeden Fall, eine adriatische Baba Yaga, ihr dunkles Gesicht überm dunklen Meer gut getarnt. Oder hier im Notizbuch: in diesem Dämmer hier im Zimmer leuchtet ein Lichtkegel-artiges Phänomen auf, gerade dort, wo ich meinen Blick aufs Schreiben gerichtet habe, als hätte ich eine Stirnlampe eingeschaltet, und vergeht gleich wieder. Das verlorene, elegische, vergeblich klingende Aufschlagen der Wassertropfen auf Fensterbrett und Co. Und siehe: es ist nicht vergeblich! Es tränkt – nicht hier – aber wo anders – den Erdboden. Hier jedoch bearbeiten die Tropfen die menschengemachten Mauern, um die Landschaft wieder in den Naturzustand zu versetzen und überhaupt alles einzuebnen. Nein, es ist so schön hier. Und jetzt. Ich steh nicht auf. Der gegen das trübe Licht beim Fenster ganz dunkle schiefe Turm meiner Ablagefächer am Schreibtisch, überladen und grotesk wie eine barocke Pestsäule (das gemeinsam ist nicht so sehr die Form, sondern beider Groteske), fast erzählt er mir, der Turm, eine Geschichte. Und meine frankophone Schweizerin mit Hut, heute ganz keusch – das hätte Potential zu einem Roman über Armut und künstlerische Prostitution. Aber ich brauche ihn nicht schreiben – er ist ja schon da. Oder meine Uhu-Stick-Krepp-Klebeband-Rolle-Spagat-Knäuel-Moschee – könnte heute auch als ein Atomkraftwerk durchgehen. Oder die beiden leeren Yoghurtgläser im Regal, ursprünglich benutzt für die Samen der Augarten-Blumen, um diese im Frühjahr in meinem klandestinen Garten am Donaustrand auszusäen, diesmal leer, weil ich aus Schwermut vergessen habe, die Samen rechtzeitig einzusammeln; die leeren Gläser verschwinden optisch beinah in ihrer Durchsichtigkeit und ihrem Glanz vorm Denzinger-Hünerman und der fragwürdigen Philosophiegeschichte vom Fischl im Bücherregal. Welten über Welten! Abenteuer über Abenteuer! Ganze Schichten von Schicksalen und Erzählungen türmen sich übereinander in jedem Ding.

Ding-dong – die Wassertropfen aus geschmolzenem Schnee. Oh wie herrlich ich es habe! Oh wie schön ist Pa … mhm … mein Kemenatenreich!

 

(26.11.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf  November 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

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