2505 Oh wie schön ist
Aus einem unguten Traum erwacht (13:26) betrachte ich mit
schwermütigem Genuß mein schönes Zimmer. Wirklich! Warum sollte ich aufstehen
und hinausgehen? Die Stille hier ist köstlich, ich erfreue mich am Anblick
meiner Schätze hier und an meiner Raumgestaltung. Verschlafen wie ich bin,
brauche ich nur irgendetwas ein paar Sekunden lang anschauen – schon verändert
sich das Angeschaute und verwandelt sich. So wird zB in Mali Lošinj die
Hafenstraße zu Kopftuch und Schleier einer hexenartigen Gestalt in marianischer
Kleidung, weiblich auf jeden Fall, eine adriatische Baba Yaga, ihr dunkles
Gesicht überm dunklen Meer gut getarnt. Oder hier im Notizbuch: in diesem Dämmer
hier im Zimmer leuchtet ein Lichtkegel-artiges Phänomen auf, gerade dort, wo
ich meinen Blick aufs Schreiben gerichtet habe, als hätte ich eine Stirnlampe
eingeschaltet, und vergeht gleich wieder. Das verlorene, elegische, vergeblich
klingende Aufschlagen der Wassertropfen auf Fensterbrett und Co. Und siehe: es
ist nicht vergeblich! Es tränkt – nicht hier – aber wo anders – den Erdboden.
Hier jedoch bearbeiten die Tropfen die menschengemachten Mauern, um die
Landschaft wieder in den Naturzustand zu versetzen und überhaupt alles
einzuebnen. Nein, es ist so schön hier. Und jetzt. Ich steh nicht auf. Der
gegen das trübe Licht beim Fenster ganz dunkle schiefe Turm meiner Ablagefächer
am Schreibtisch, überladen und grotesk wie eine barocke Pestsäule (das gemeinsam
ist nicht so sehr die Form, sondern beider Groteske), fast erzählt er mir, der
Turm, eine Geschichte. Und meine frankophone Schweizerin mit Hut, heute ganz
keusch – das hätte Potential zu einem Roman über Armut und künstlerische
Prostitution. Aber ich brauche ihn nicht schreiben – er ist ja schon da. Oder
meine Uhu-Stick-Krepp-Klebeband-Rolle-Spagat-Knäuel-Moschee – könnte heute auch
als ein Atomkraftwerk durchgehen. Oder die beiden leeren Yoghurtgläser im
Regal, ursprünglich benutzt für die Samen der Augarten-Blumen, um diese im
Frühjahr in meinem klandestinen Garten am Donaustrand auszusäen, diesmal leer,
weil ich aus Schwermut vergessen habe, die Samen rechtzeitig einzusammeln; die
leeren Gläser verschwinden optisch beinah in ihrer Durchsichtigkeit und ihrem
Glanz vorm Denzinger-Hünerman und der fragwürdigen Philosophiegeschichte vom
Fischl im Bücherregal. Welten über Welten! Abenteuer über Abenteuer! Ganze
Schichten von Schicksalen und Erzählungen türmen sich übereinander in jedem
Ding.
Ding-dong – die Wassertropfen aus geschmolzenem Schnee. Oh
wie herrlich ich es habe! Oh wie schön ist Pa … mhm … mein Kemenatenreich!
(26.11.2021)
©Peter Alois Rumpf November 2021
peteraloisrumpf@gmail.com
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