Freitag, 18. Juni 2021

2299 Miezzele

 

Wenn's wahr ist höre ich in der Ferne ein fernes Auto. Ich selbst habe mich nach der Morgenarbeit für die Katz wieder ins Bett gelegt (6:30)

 

Oh! Hab ich lange geschlafen! Gute elf Stunden. Aber jetzt bin ich frisch und erholt und habe alles gut verarbeitet. Was alles eigentlich? „Unsere“ Niederlage gegen Holland? Wer weiß!

Das wird zunehmend ein Schreibproblem: kaum bin ich wach, kommt die Katze und will sich auf meine Brust legen, was die Schreiberei und ihren Fluß erschwert. Sie macht das nicht, ohne mich vorher über Blickkontakt zu fragen und mein „na komm nur“ abzuwarten. Ich will sie nicht abweisen. Außerdem ist es schön, ihren warmen, weichen Körper zu spüren.

Also was mußte ich in diesem meinen langen Schlaf verarbeiten? (Frau Katz drückt sanft ihr Köpfchen auf meine linke Wange). Bruchstücke meines Lebens? (Jetzt hat sich Frau Katz so auf meine Brust gelegt, dass ich bequem schreiben kann). Trümmer meiner Kindheit? Mein Leben hier und jetzt respektive hier und in den letzten Wochen? Meine Gedanken und Phantasien? Meine Ängste und die letzten Hoffnungen?

Das Bücherregal und die vier Bilder darüber verschieben sich: das Regal nach links, die Bilder nach rechts, während irgendwo da draußen eine Polizeisirene dahinheult. (Frau Katz legt ihre rechte Pfote auf meine linke Schulter). Jetzt ist alles ganz ruhig: nichts bewegt sich, nichts schreit auf. Nachdenklich und gedankenverloren streichle ich sanft die Katze. Kann ich mich an irgendwelche Traumfetzen erinnern? Das an das Bücherregal gepinnte Photo eines Graffitis am Donaukanal, an den Rändern schon aufgebogen, bewegt sich wieder leicht in einem unbemerkten Luftzug. Jetzt nochmals in einem, der von windigem Aufheulen begleitet ist. Ich fühle mich wohl, ich habe es schön, aber allmählich tut sich unter mir ein Riesensee von Schmerz auf. Zuerst spüre ich ihn, den Schmerz, in der Körpermitte, dann bis herauf zum Herzen. Ich atme tief durch, unterbreche das Schreiben und streichle die schnurrende Katze. Mein Herz verkrampft sich etwas; ich spüre es im linken Arm, der das Notizbuch vermutlich die ganze Zeit sowieso schon etwas verkrampft festhält. Das helle Blau der Romano-Guardini-Bücher leuchtet aus dem Bücherregal an – einige der wenigen Bücher, die von der theologischen Ausbürgerung ins Katzenklovorzimmer verschont geblieben sind.

„Sasa! Wääähh!“ fällt mir ein und ich muß lachen. Somit bin ich doch wieder beim Hollandspiel, wo unser serbischer Albanersohn gefehlt hat. Ich finde die Sperre überzogen. Bei aller Problematik: Fußball ist ja auch ein Ventilritual.

Könnte so mein Sterben beginnen? Ich hocke im Bett, die Katze am Schoß, ich fühle mich recht wohl, ein wenig Zucken im linken Arm, noch bin ich ruhig und gefaßt, ich ahne Etwas Atemberaubendes näherkommen ...

Essen hält Leib und Seele beisammen. „Auf zum Frühstück!“ schaffe ich mir an. Ich lege Brille und Schreibzeug weg, streichle noch eine Zeit lang die schnurrende Katze und sage dann zu ihr: „Miezzele! Wir stehen jetzan (jetzt dann) auf!“ und schon springt sie vom Bett. (13:37)

 

(18.6.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juni 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

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