2294 Sisyphos Chance
Albertina modern. Ich sitze vor den Franz Wests und ich sehe
den ersten West, der mir auf Anhieb gefällt: Sisyphos. Auch ihm ist eine
gewisse Kopflastigkeit eigen (wenn die Köpfe oben sind; scheint auf schwachen
Füßen zu stehen). Seine rote Sitzwurscht und sein ohne Titel hochgezogenes
Ohrwaschl halte ich auch locker aus. Ja, hier kann ich verweilen.
Aus der Ferne blicke, gaffe ich auf die drei Katz'schen jungen
Society-Ladies, zum Schwimmen am Strand – wie ich annehme, die Badeanzüge
erlesen, ausgeschnitten wie eine Laubsägearbeit (Chance). So kühl, so
beherrscht und diszipliniert, auf ihre Figur achtend, ein wenig fade, ohne
sichtbare Wunden und Schrunden, fast perfekt, wenn sie ein Alkoholproblem oder
eines mit ihren Schlafmitteln haben, sehe ich es noch nicht, sehr glatt, flach,
fast lächerlich so als Laubsägearbeit, aber wenn, dann nur auf den ersten
Blick, denn alles ist zurückgenommen und geglättet, damit man die Augen sieht:
denn in ihren Augen ist eine unsägliche Traurigkeit. Ein Schmerz kosmischer
Dimension. Eine Trauer, die mich sehr berührt und so nahe geht.
Oh! Heute sprechen mich sogar zwei Baselitz'sche
Fingermalereien mit Blau an. Zum erstenmal, dass mir von dem etwas gefällt.
Penck ist spannender als Haring.
Cecily Brown (Cherries and Pearls; Tripe with Lemons) die
mag ich, zumindest in dieser Umgebung: spielerischer, sinnlicher, kraftvoller
als vieles hier. Und ein Hollegha leuchtet mich auch schön an. Und allmählich
schaue ich von ihm zu den vier Ohne Titels von Katherina Grosse, die mir schon
öfters aufgefallen ist. Ja. Ja.
Zurück zum West: da gefällt's mir am besten (wenn ich alles
andere in diesem Saal ignoriere, das für mich unerträglich ist). Der
Sisyphos - oder sein Stein - beginnt zu
leuchten, als ich ihn länger anstarre. Das wird immer toller! Ganz sensible
Farben, ganz sensibel – sagen wir prosaisch: platziert. Für mich heute hier und
jetzt ein Meisterwerk! Jedes Detail wird eine Welt. Abgelenkt durch ein Baby
mit Mutter, mit denen ich nett plaudere, entdecke ich aber die Schatten. Die
der Kunstwerke und die der Distanzgestänge. Schatten. Schatten. Schatten – schaut man lange hin, entdeckt man, dass
sie in die Tiefe gehen. Ein heiliger Schauder läuft mir über den Rücken. Von
mir selbst kann ich keine Schatten sehen. Habe ich ihn verkauft? An wen?
Ich lenke aber meinen Blick wieder auf Sisyphos ('s Stein):
(meine Andachtsmusik der Omar Rodriguez-Lopez Group im Ohr – wie sich das immer
so schön ergibt).
Mein Gott! Wenn das der Stein ist, dann kann ich jetzt
sehen, wie Sisyphos versucht hat, seinen Stein zu lieben! Ich kann die farblich-energetischen Spuren
sehen! Erschütternd!
Erschütternd. Ich geh jetzt, sonst wird es mir zu viel.
(15.6.2021)
©Peter Alois Rumpf Juni 2021
peteraloisrumpf@gmail.com
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