1867 Der Kran hat sich gedreht
Wiewohl ich überhaupt keine Arbeit gesehen habe: der Kran
hat sich gedreht. Jetzt zeigt er direkt auf den Turm der Pfarrkirche, als
möchte er auf diesen zielen. Die Kirchturmglocke schlägt halb (vier). Die
Wolkendecke hat sich in helle, weiße Ballen aufgelöst, die Sonne leuchtet auf
den Markt. Daß ich nichts zu sagen habe, stört mich nicht: denn hinter jedem
gewöhnlichen Ding, hinter jedem nichtssagenden Blödsinn lauert die
Unendlichkeit.
Erst jetzt fallen mir die riesigen, majestätischen Bäume
drüben hinter Kirche und Rathaus auf
(Rathauspark! - ich weiß – Rathauspark!) und wie der Wind sie ganz still
und unauffällig wiegt; geradezu verschämt vor diesem aufdringlichen Auto- und
Motorradlärm.
Wieder hat sich der Kran bewegt, ohne daß ich es gesehen
habe: jetzt zeigt er rechts am Kirchturm knapp vorbei.
Die einzelnen Menschen, die ich unten, drüben sehen kann,
sind von angenehmer kleiner Größe, kein Zehntel meines kleinen Fingers, und
stören die Unbewegtheit meines Anblicks auf die Ortschaft nicht. Zwei Welten
nehm ich wahr: die eine sichtbare, standbildhafte Welt und eine unsichtbare,
laute, ohrenbeleidigende, bewegte Welt. Film und Tonspur passen nicht zusammen;
im Film bewegt sich nur, was fliegen kann: Licht, Wolken und die Vögel.
Ah! Jetzt! Jetzt zappelt auch ein dürres Männchen durch das
Standbild, kommt hinter einem Haus hervor, zuckelt sich über den
Kirchenvorplatz und verschwindet wieder hinter Haus und Mauer, während ein
Unsichtbarer unmusikalisch die Autotür schlägt und ein anderer nicht sichtbar
auf irgendwas klopft und hämmert.
Ah! Da schiebt sich noch ein kleiner Mann - kein Zehntel meines kleinen Fingers - mit
schwerer Wampe die Straße querend dort drunt im Untermarkt und keucht sich
unhörbar in einen Hauseingang.
Oh! Nun stehen drei junge Männer unten beim ersten
Straßenanstieg hier herauf und brunzen in die Wiese – schon fast den halben
kleinen Finger groß! - und wo zugleich die Unsichtbare mit breitem Hintern
links von mir mit Lärm den Rasen mäht.
Die Kichturmuhr schlägt vier. Das ist der Feierabend für
meine Arbeit für den Nachmittag. So lasse ich den Griffel fallen.
(6./8.6.2020)
©Peter Alois Rumpf, Juni 2020 peteraloisrumpf@gmail.com
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