Montag, 8. Juni 2020

1867 Der Kran hat sich gedreht


Wiewohl ich überhaupt keine Arbeit gesehen habe: der Kran hat sich gedreht. Jetzt zeigt er direkt auf den Turm der Pfarrkirche, als möchte er auf diesen zielen. Die Kirchturmglocke schlägt halb (vier). Die Wolkendecke hat sich in helle, weiße Ballen aufgelöst, die Sonne leuchtet auf den Markt. Daß ich nichts zu sagen habe, stört mich nicht: denn hinter jedem gewöhnlichen Ding, hinter jedem nichtssagenden Blödsinn lauert die Unendlichkeit.

Erst jetzt fallen mir die riesigen, majestätischen Bäume drüben hinter Kirche und Rathaus auf  (Rathauspark! - ich weiß – Rathauspark!) und wie der Wind sie ganz still und unauffällig wiegt; geradezu verschämt vor diesem aufdringlichen Auto- und Motorradlärm.

Wieder hat sich der Kran bewegt, ohne daß ich es gesehen habe: jetzt zeigt er rechts am Kirchturm knapp vorbei.
Die einzelnen Menschen, die ich unten, drüben sehen kann, sind von angenehmer kleiner Größe, kein Zehntel meines kleinen Fingers, und stören die Unbewegtheit meines Anblicks auf die Ortschaft nicht. Zwei Welten nehm ich wahr: die eine sichtbare, standbildhafte Welt und eine unsichtbare, laute, ohrenbeleidigende, bewegte Welt. Film und Tonspur passen nicht zusammen; im Film bewegt sich nur, was fliegen kann: Licht, Wolken und die Vögel.
Ah! Jetzt! Jetzt zappelt auch ein dürres Männchen durch das Standbild, kommt hinter einem Haus hervor, zuckelt sich über den Kirchenvorplatz und verschwindet wieder hinter Haus und Mauer, während ein Unsichtbarer unmusikalisch die Autotür schlägt und ein anderer nicht sichtbar auf irgendwas klopft und hämmert.
Ah! Da schiebt sich noch ein kleiner Mann  - kein Zehntel meines kleinen Fingers - mit schwerer Wampe die Straße querend dort drunt im Untermarkt und keucht sich unhörbar in einen Hauseingang.
Oh! Nun stehen drei junge Männer unten beim ersten Straßenanstieg hier herauf und brunzen in die Wiese – schon fast den halben kleinen Finger groß! - und wo zugleich die Unsichtbare mit breitem Hintern links von mir mit Lärm den Rasen mäht.

Die Kichturmuhr schlägt vier. Das ist der Feierabend für meine Arbeit für den Nachmittag. So lasse ich den Griffel fallen.










(6./8.6.2020)










©Peter Alois Rumpf,  Juni 2020  peteraloisrumpf@gmail.com


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