1862 jetzt und in der Stunde unseres Absterbens ...
Ich habe mich über die religiösen Menschen des Mittelalters
bis herauf ins 20. Jahrhundert lustig gemacht, die sich manchmal geradezu
panisch Sorgen gemacht haben, eine gute Sterbestunde zu bekommen, was in diesem
Kontext bedeutet hat, vorher noch alle Sünden bereuen und beichten zu können.
Ich habe die Vorstellung (ab einem gewissen Alter) lächerlich gefunden, daß da
drüben so ein Zwangsneurotiker und Bürokrat am Richterstuhl sitzt, der einen in
den Abgrund schickt, weil man kein Beichtzettelformular dabei hat. Noch dazu,
wo sich das mit dem biblischen Bild des Jesus von Nazareth komplett schlägt.
Soeben bin ich jedoch draufgekommen, daß ich mutandis
mutatis – und auf jeden Fall entspannter – aber defacto doch etwas ähnliches
erhoffe. Zwar glaube ich nicht an einen Oberlehrer da drüben – und angenommen,
es würde mich tatsächlich der Jesus Christus zum Richterspruch über mein Leben
in Empfang nehmen: der wär mir sicherlich lieber als Richter, denn meine
Eltern, die Lehrer, die Türkisen und Neoliberalen, die Nazis sowieso, aber auch
lieber als die Linken, lieber als meine Schwestern, sonstige Verwandtschaft,
die Bussibussigesellschaft, die Bobos, die Sandler (die gingen vielleicht
schon), die Intellektuellen, als Döbereiner und die Döbraniten, die Tüchtigen
und Erfolgreichen, die Leistungsträger und sonstige selbsternannte Eliten, die
Musikantenstadler, Ischgler und rustikalen Teppen, der Wirtschaftbund und auch
die Gewerkschaften und und und ... und lieber als ich selbst als Richter über
mein Leben – aber bewußt und nicht blind zu sterben wäre mir schon recht. Ich
möchte noch innehalten und mein Leben überblicken können, meine inneren
Angelegenheiten ordnen, Abschied nehmen und gefaßt hinüberschreiten und nicht
in den Tod stolpern und taumeln (manchmal denke ich mir: das ist viel verlangt,
nach einem Leben, wo das Stolpern und Taumeln dominant war).
Aber trotzdem: ich will bewußt hinüber und nicht bumm! Aus!
Das oder auch im Schlaf und nichts merken meinen viele, vorallem sich
aufgeklärt wähnende Leute (wie meine Eltern es dachten, dass sie seinen) wäre
ein guter Tod. Nein, für mich nicht! Das gilt für mich auch, wenn es ins Nichts
geht! (Von dem ich bei mir ausgehe. Gilt aber nicht für alle!)
Aber vielleicht ist es sowieso eingerichtet, daß jeder, egal
wie er stirbt, im Sterben seinen Lebensfilm anschauen kann, aber sub specie
aeternitatis, also unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit, so, daß man, daß ich
alle energetischen Strömungen, die von meinen Vorfahren her auf mich gekommen
sind (die aufbauenden und die destruktiven), aber auch die, die aus meiner
Umgebung auf mich eingewirkt haben und auch alle Wellenbewegungen und
Energieströme, die von meinen Gedanken, Worten und Werken ausgegangen sind und
die Welt beeinflußt haben, erfassen kann. Daß jeder dieses komplexe Netzwerk
intuitiv erfassen und verstehen kann. Ja, dann könnte ich endlich alles
verstehen und allen, auch mir selbst, verzeihen. Das wäre am Schönsten. Auch
wenn ich dann ins Nichts falle.
(4./5.6.2020)
©Peter Alois Rumpf, Juni 2020
peteraloisrumpf@gmail.com
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