1595 Familie Essigbaum
Der Kirschbaum hält mir seine gelblich bräunlich blaßgrünen
Blätter zum Fenster her. Die Familie Essigbaum jedoch hat ihre bis auf wenige
schon abgeworfen und reckt die gräulichen und bräunlichen kahlen Äste über die
Dächer des Innenhofes. Der Weidenbaum schaukelt noch die seinen schmalen, fast
noch grünen Blättchen über die Kante der Dachschräge.
Übrigens: was für ein blöder Name: Essigbaum! So schöne
Bäume! So schöne Blätter! So schön angeordnet! Hat man dem Baum keinen
schöneren Namen geben können? Essig! Das riecht nach Küche, „alles ist Essig!“
und Herabsetzung. (Die Früchte sollen aber tatsächlich zur Essigherstellung
verwendet werden.)
Aber man stelle sich vor, die Tanne würde Käsebaum heißen:
„Oh Käsebaum, oh Käsebaum, wie grün ...“! Wäre der andere Name für den
Essigbaum, nämlich Hirschkolbensumach, besser? Nicht wirklich, oder? Man
braucht einfache und schöne, nicht wissenschaftliche Namen, in irgendeiner
Oberschicht erfunden!
Im Übrigen habe ich mir die Sätze in nuce schon ausgedacht
gehabt, bevor ich mich oben im Atelier wie geplant in den Stuhl gesetzt habe,
von dem aus ich durchs große Atelierfenster in den Innenhof blicken kann. Also
alles ausgedacht! Und fast wäre ich damit baden gegangen (wie am Abend dann
wörtlich nach Oberlaa, von meiner Frau aufgescheucht und rausgelockt), weil es
sich beinahe nicht ausgegangen wäre, denn die Blätter des Kirschbaums kann ich
gerade noch erblicken, wenn ich mich im Stuhl aufrichte, und den ausgedachten
Satz über den „Akazibam“ (Robinia pseudacacia) mußte ich weglassen, weil ich
ihn von hier aus gar nicht sehen kann (auch er hält neben seinen braunen
Früchten noch etliche noch grüne Blätter, obwohl schon deutlich gelichtet).
(Das Ausgedachte merkt man als Leserin schon, gell?)
Der Wind dreht die Kronen des ganzen Essigensembles als
Ganzes hin und her, wiegt sie waagrecht, bevor er sie dann doch ein wenig
durcheinander schüttelt.
Die sonnenbeschichteten Äste machen sich gut vor dem roten
Ziegeldach.
Oben der Himmelsstreifen in trübem, blassen Blau.
Das Bild vor meinen Augen hinter dem Fenster abstrahiert
sich, verschwimmt ein wenig und löst sich ein wenig in tanzende Lichtflecken
auf. Weil ich so hinstarre. Und um diesen Effekt zu verstärken, schiele ich
jetzt. Nie kann ich das lange halten.
Dünne, zerschlissene Wolkenfetzchen ziehen recht flott nach
rechts.
Jetzt greift der Wind richtig kraftvoll ins Geäst und spielt
mit seiner Macht.
(17.11.2019)
©Peter Alois Rumpf,
November 2019
peteraloisrumpf@gmail.com
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