1592 Der Große Korbflechter
Langsam rinnt und tropft die Verschlafenheit ab und ich
trockne in die Konturen dieser Welt aus, diese Welt, rational,
selbstverständlich, viele Milliarden Male gelikt und geteilt. Noch bewegen sich
einzelne Teile in meinem Gesichtsfeld, aber bald wird der Prozeß abgeschlossen
sein. Wenn ich nicht wieder in Schlaf und Traum zurück falle. Die Versuchung
ist groß. Und ich bin zu alt, um mich überzeugen zu können, den Versuchungen
widerstehen zu müssen (sonst explodiert im Sterben zu viel unverbrauchtes
Leben, Vgl. Dylan Thomas; Ich wollte fort seit langer Zeit).
Ein massiver Energieknoten am Kinn. Der vibriert und
pulsiert fast. Und ich spüre massiven Druck auf meine Hände, die Stift und
Notizbuch halten. Der Druck ist so stark, daß um die Hände herum eigene
Magnetfelder entstehen.
Die ersten, fernen Boten des Tageskinderjauchzens erreichen
meine Ohren im Surren, Schwerpunkt links. Ein Schluckauf-Hicks durchrüttelt
meinen Körper und führt das Thema „Frühstück“ ein. Katzenscheiße-Gestank zwingt
mich – nahe am Kotzen - aufzustehen und meine innere Betrachtung zumindest zu
unterbrechen.
Ja, richtig! Und durch die Arbeit am Entfernen des Scheiße
vor meiner Zimmertür bin ich auch in die helleren, nicht lichtschacht- sondern
hofseitigen Bereiche der Wohnung gekommen und stelle freudig fest: draußen
scheint die Sonne!
Eine freundliche Tatsache, die ich auch würdigen will und
würdigen soll. Aber das „soll“ verdirbt es mir gleich und so lege ich mich
wieder ins Bett und widme mich der Beschreibung meiner inneren dunkleren Teile
(nie werde ich ohne Schuldgefühle und ohne zumindest einen Anflug schlechten
Gewissens optimistisch sein können).
Oh! Jetzt singen die Tageskinder gemeinsam! Ganz aus sich
heraus, ohne Anleitung oder Aufforderung haben sie – wenn ich es recht höre –
ein „Omalied“ erfunden. Das sind viele Plus für die Tageslichtseite.
Und prompt rührt sich das Hungergefühl. (Ich habe eine
große, große Hemmung, das Wort „Hunger“ für den Zustand zu verwenden, in dem
einem der Körper darauf aufmerksam macht, daß es wieder Zeit wäre, Nahrung
aufzunehmen. Denn „Hunger“ verbinde ich mit „hungern“ oder „verhungern“, wenn
einem der Körper sein Bedürfnis meldet und nichts da ist, womit man es stillen
könnte. Und so ist es selbstredend gar nicht, Im Gegenteil, es ist im Überfluß
da.
Sprache! Können wir nicht zwei verschiedene Wörter für die
zwei verschiedenen Zustände entwickeln? Sonst kann ich zwar sagen „boah, hob i
an hunger“ aber – weil das Geschriebene verbindlicher ist - niemals
hinschreiben: „ich bin hungrig“.) (Aha! Ich bin ein Kryptolutheraner!)
Ich bin hungrig und werde bald zum Frühstück aufstehen.
Unten singt wieder ein mehrstimmiger, polyphoner, fröhlicher Kinderchor.
Allmählich wieder Richtung Schlaf verrutscht, höre ich meine
Schrillen in Höchstform surren. Ich wundere mich, daß ich bei diesem stillen
Lärm nicht schon taub bin. Ich neige mein Haupt nach links und lasse meine
Augen zufallen.
Die Welt, die ich jetzt mit meinem inneren Augen sehe,
besteht ausschließlich aus Flechtwerk, als wäre sie vom Großen Korbflechter
geschaffen.
Aber nein, mein Hunger holt mich wieder aus dieser
interessanten, vielversprechenden Visi- und Meditati-on heraus und fordert mich
eindringlich auf, endlich aufzustehen.
(14.11.2019)
©Peter Alois Rumpf,
November 2019
peteraloisrumpf@gmail.com
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