Donnerstag, 14. November 2019

1592 Der Große Korbflechter


Langsam rinnt und tropft die Verschlafenheit ab und ich trockne in die Konturen dieser Welt aus, diese Welt, rational, selbstverständlich, viele Milliarden Male gelikt und geteilt. Noch bewegen sich einzelne Teile in meinem Gesichtsfeld, aber bald wird der Prozeß abgeschlossen sein. Wenn ich nicht wieder in Schlaf und Traum zurück falle. Die Versuchung ist groß. Und ich bin zu alt, um mich überzeugen zu können, den Versuchungen widerstehen zu müssen (sonst explodiert im Sterben zu viel unverbrauchtes Leben, Vgl. Dylan Thomas; Ich wollte fort seit langer Zeit).

Ein massiver Energieknoten am Kinn. Der vibriert und pulsiert fast. Und ich spüre massiven Druck auf meine Hände, die Stift und Notizbuch halten. Der Druck ist so stark, daß um die Hände herum eigene Magnetfelder entstehen.

Die ersten, fernen Boten des Tageskinderjauchzens erreichen meine Ohren im Surren, Schwerpunkt links. Ein Schluckauf-Hicks durchrüttelt meinen Körper und führt das Thema „Frühstück“ ein. Katzenscheiße-Gestank zwingt mich – nahe am Kotzen - aufzustehen und meine innere Betrachtung zumindest zu unterbrechen.

Ja, richtig! Und durch die Arbeit am Entfernen des Scheiße vor meiner Zimmertür bin ich auch in die helleren, nicht lichtschacht- sondern hofseitigen Bereiche der Wohnung gekommen und stelle freudig fest: draußen scheint die Sonne!

Eine freundliche Tatsache, die ich auch würdigen will und würdigen soll. Aber das „soll“ verdirbt es mir gleich und so lege ich mich wieder ins Bett und widme mich der Beschreibung meiner inneren dunkleren Teile (nie werde ich ohne Schuldgefühle und ohne zumindest einen Anflug schlechten Gewissens optimistisch sein können).

Oh! Jetzt singen die Tageskinder gemeinsam! Ganz aus sich heraus, ohne Anleitung oder Aufforderung haben sie – wenn ich es recht höre – ein „Omalied“ erfunden. Das sind viele Plus für die Tageslichtseite.

Und prompt rührt sich das Hungergefühl. (Ich habe eine große, große Hemmung, das Wort „Hunger“ für den Zustand zu verwenden, in dem einem der Körper darauf aufmerksam macht, daß es wieder Zeit wäre, Nahrung aufzunehmen. Denn „Hunger“ verbinde ich mit „hungern“ oder „verhungern“, wenn einem der Körper sein Bedürfnis meldet und nichts da ist, womit man es stillen könnte. Und so ist es selbstredend gar nicht, Im Gegenteil, es ist im Überfluß da.

Sprache! Können wir nicht zwei verschiedene Wörter für die zwei verschiedenen Zustände entwickeln? Sonst kann ich zwar sagen „boah, hob i an hunger“ aber – weil das Geschriebene verbindlicher ist - niemals hinschreiben: „ich bin hungrig“.) (Aha! Ich bin ein Kryptolutheraner!)

Ich bin hungrig und werde bald zum Frühstück aufstehen. Unten singt wieder ein mehrstimmiger, polyphoner, fröhlicher Kinderchor.

Allmählich wieder Richtung Schlaf verrutscht, höre ich meine Schrillen in Höchstform surren. Ich wundere mich, daß ich bei diesem stillen Lärm nicht schon taub bin. Ich neige mein Haupt nach links und lasse meine Augen zufallen.

Die Welt, die ich jetzt mit meinem inneren Augen sehe, besteht ausschließlich aus Flechtwerk, als wäre sie vom Großen Korbflechter geschaffen.

Aber nein, mein Hunger holt mich wieder aus dieser interessanten, vielversprechenden Visi- und Meditati-on heraus und fordert mich eindringlich auf, endlich aufzustehen.











(14.11.2019)











©Peter Alois Rumpf,  November 2019  peteraloisrumpf@gmail.com

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