1583 Na, zufrieden?!
„Na, zufrieden?!“ frage ich die Katze, nachdem ich ihr um
siebenuhrvierzig gegen die nicht ganz einvernehmliche Abmachung ein zweites
Frühstück serviert habe.
Kabarett wäre eigentlich der Bereich, wo ich am meisten
bewirken, aber am wenigsten anrichten könnte – im Gegensatz zur Politik zum
Beispiel, wo es umgekehrt zu sein scheint. Zumindest für einen Typen wie mich.
Ich werde mir das noch gründlich durchdenken, überlegen und
zerkauen, bevor ich meine Berufsentscheidung treffe, für die es doch langsam
Zeit wird.
Bei solchen Überlegungen beginnt mein leicht vorgebeugtes
Gesicht wie der Mond am Himmel über das Geschehen zu schweben und mein gesamtes
inneres Blickfeld zu verschwimmen.
Geile Halb- und Ganzträume und die Aktivitäten rundherum
halten mich im Bett, aber jetzt, jetzt stehe ich auf – die Katze will um diese
Zeit schon längst das ganze Bett alleine für sich (oder hilft mir fürsorglich
beim Aufstehen).
Frühstückszeit ist die allerbeste Zeit weil einem dann … und
seit Neuestem Müslizeit. Früher aß ich als spätes Frühstück gegen Mittag
Käsebrote mit allem möglichen Gemüse und Obst als Zuspeis. Was mach ich mit dem
angeblich so gesunden Gemüse beim Müsli? Obst geht ja, aber Gemüse?
Vorurteilsfrei und freigeistig wie ich bin, stelle ich folgende Überlegung an:
Brot ist doch im Kern (!) auch nichts anderes als gebackener Getreidebrei. Also
muß Gemüse und Müsli – beachte bitte auch die lautlich-buchstäblichen Übereinstimmungen
– auch gehen und heute will ich dieses Experiment starten.
Weil – wie schon in einem der Vortexte beschrieben – das
andächtige Müslimahl nur ohne künstlichem Gebiß möglich ist, gehe ich ohne
dieses hinunter um mir das Mahl zu bereiten (hüüaah! Galopp!). Wie es so ist,
ist auch heute eine Praktikantin da, die auch jetzt essen will – nämlich ihr
Mittagessen – (Gell, ihr Effen und Blaunen, viel zu viele Parallelwelten!
(Warum eigentlich parallel, wenn der eine seinen Morgen auf Mittag verschoben hat?
Ich dachte parallel wäre parallel?), da gehört durchgegriffen: Aufstehen!
Morgenappell! Zach! Zack! Zack!). Nun sitz ich also da mit meinen Zahnlücken
und kann sie so beim gegenübersitzenden Essen schwer bis gar nicht verbergen,
obwohl ich schweigend jeden meiner Müsli“bissen“ so zwischen siebzig und
hundert Mal kaue. Das ist schon toll! - Nebenbei gesagt. Aber beim Einlöffeln
muß ich mein Maul aufmachen und da geniere ich mich. Mit ruhigem, andächtig
gesenktem Blick bei einer gewissen gleichzeitigen inneren Unruhe – die ich mein
Leben lang gelernt habe, einigermaßen zu verbergen – sitze ich schweigend da
und kaue.
Als passiv-autoritärer und außengeleiteter
Nachkriegsüberlebender tu ich mir leichter, wenn ich irgendein passendes (?)
Bild habe, das mich ein wenig stützen kann. Als ich zum Beispiel vor
Jahrzehnten ohne Krankenversicherung nach einem Zeckenbiss vierzig Grad Fieber
hatte, ohne die Möglichkeit, einen Arzt aufzusuchen, und ich mir denken mußte,
kann sein, daß es mich jetzt erwischt hat und ich bald gehirnmäßig
eingeschränkt sein oder sterben könnte, da hat mir das Bild, die Vorstellung,
der Gedanke, daß es von Amerika über Afrika und Asien viele, viele Menschen
geben wird, die in der gleichen Lage sind, geholfen, meine Situation
einzuordnen als auf diesem Planeten nichts besonderes.
Jetzt bin ich natürlich in einer viel besseren und
bequemeren Lage und es geht nur darum, ob ich der Dame wegen wieder raufgehe
und mein Gebiß einsetze, oder ob ich mir in meinem doch ein wenig privaten
Bereich erlaube, mein Müsliding so durchzuziehen, wie ich es mir besonnen und
wohlüberlegt zurechtgelegt habe. Aber entspannter bin ich, wenn ich ein
passendes Bild dafür habe, und Gott(oderwemauchimmer)seidank fällt mir der
deutsche Kabarettist Wolfgang Neuss ein, der im Alter ohne jeden Genierer seine
physisch zahnlosen, aber inhaltlich ungemein bissigen Interviews gegeben hat.
Ja! Danke! Solche Leute braucht jedes Land! Nicht diese faschistoiden
Volltrottel und neoliberalen, schnöseligen Windbeutel oder die rechtlich wohlerworbenen Sesselfurzer! Ja! Jetzt geht
es! Ja! Jetzt bin ich auf mich, mein Leben und meine Zahnlücken stolz! Auch
wenn ich nie die Frechheit des Neuss mein eigen nannte und er einiges war und
ich nichts. („Jeder hat sein eigenart, der eine zirpt, der andre sparrt“ ich
glaube: Ludwig Senfl) Wurscht! Völlig wurscht! Ich wündse euff einen sönen Tag!
Ah! Das Gemüse-Obst-Problem habe ich so gelöst: wie beim
Käsebrotfrühstück habe ich mir einen Teller mit Gemüse, heute konkret mit
Paprika, Radieschen, Gürklein, Ruccolablätter, Vogerlsalat hergerichtet und
einen Obstteller mit klugen Äpfelchen (Anspielung: Werner Herzog, Kaspar
Hauser), Weintrauben, Nüssen. Und habe pro Löffel Müsli abwechselnd von dem
einen und beim nächsten Löffel vom anderen Teller genommen. Hat wunderbar
geschmeckt.
Als Bonustrack ein paar Neusszitate:
„Man muß das Grundgesetz vor seinen Vätern schützen und die
Verfassung vor ihren Schützern.“
„Nieten sind wichtig, damit wir das Schiff wieder klar
kriegen.“
„Eine Frage schwirrt mir durchs Hirn: kann man so geschickt
schweigen, dass man verstanden wird?“
„Leben wir noch in der Nachkriegszeit oder schon wieder in
der Vorkriegszeit?“ (1949)
„Zur Produktion des Schriftstellers gehören nicht nur
Bücher, sondern auch Gedanken.“
(8.11.2019)
©Peter Alois Rumpf, November 2019
peteraloisrumpf@gmail.com
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