Freitag, 8. November 2019

1583 Na, zufrieden?!


„Na, zufrieden?!“ frage ich die Katze, nachdem ich ihr um siebenuhrvierzig gegen die nicht ganz einvernehmliche Abmachung ein zweites Frühstück serviert habe.

Kabarett wäre eigentlich der Bereich, wo ich am meisten bewirken, aber am wenigsten anrichten könnte – im Gegensatz zur Politik zum Beispiel, wo es umgekehrt zu sein scheint. Zumindest für einen Typen wie mich.
Ich werde mir das noch gründlich durchdenken, überlegen und zerkauen, bevor ich meine Berufsentscheidung treffe, für die es doch langsam Zeit wird.
Bei solchen Überlegungen beginnt mein leicht vorgebeugtes Gesicht wie der Mond am Himmel über das Geschehen zu schweben und mein gesamtes inneres Blickfeld  zu verschwimmen.

Geile Halb- und Ganzträume und die Aktivitäten rundherum halten mich im Bett, aber jetzt, jetzt stehe ich auf – die Katze will um diese Zeit schon längst das ganze Bett alleine für sich (oder hilft mir fürsorglich beim Aufstehen).

Frühstückszeit ist die allerbeste Zeit weil einem dann … und seit Neuestem Müslizeit. Früher aß ich als spätes Frühstück gegen Mittag Käsebrote mit allem möglichen Gemüse und Obst als Zuspeis. Was mach ich mit dem angeblich so gesunden Gemüse beim Müsli? Obst geht ja, aber Gemüse? Vorurteilsfrei und freigeistig wie ich bin, stelle ich folgende Überlegung an: Brot ist doch im Kern (!) auch nichts anderes als gebackener Getreidebrei. Also muß Gemüse und Müsli – beachte bitte auch die lautlich-buchstäblichen Übereinstimmungen – auch gehen und heute will ich dieses Experiment starten.

Weil – wie schon in einem der Vortexte beschrieben – das andächtige Müslimahl nur ohne künstlichem Gebiß möglich ist, gehe ich ohne dieses hinunter um mir das Mahl zu bereiten (hüüaah! Galopp!). Wie es so ist, ist auch heute eine Praktikantin da, die auch jetzt essen will – nämlich ihr Mittagessen – (Gell, ihr Effen und Blaunen, viel zu viele Parallelwelten! (Warum eigentlich parallel, wenn der eine seinen Morgen auf Mittag verschoben hat? Ich dachte parallel wäre parallel?), da gehört durchgegriffen: Aufstehen! Morgenappell! Zach! Zack! Zack!). Nun sitz ich also da mit meinen Zahnlücken und kann sie so beim gegenübersitzenden Essen schwer bis gar nicht verbergen, obwohl ich schweigend jeden meiner Müsli“bissen“ so zwischen siebzig und hundert Mal kaue. Das ist schon toll! - Nebenbei gesagt. Aber beim Einlöffeln muß ich mein Maul aufmachen und da geniere ich mich. Mit ruhigem, andächtig gesenktem Blick bei einer gewissen gleichzeitigen inneren Unruhe – die ich mein Leben lang gelernt habe, einigermaßen zu verbergen – sitze ich schweigend da und kaue.

Als passiv-autoritärer und außengeleiteter Nachkriegsüberlebender tu ich mir leichter, wenn ich irgendein passendes (?) Bild habe, das mich ein wenig stützen kann. Als ich zum Beispiel vor Jahrzehnten ohne Krankenversicherung nach einem Zeckenbiss vierzig Grad Fieber hatte, ohne die Möglichkeit, einen Arzt aufzusuchen, und ich mir denken mußte, kann sein, daß es mich jetzt erwischt hat und ich bald gehirnmäßig eingeschränkt sein oder sterben könnte, da hat mir das Bild, die Vorstellung, der Gedanke, daß es von Amerika über Afrika und Asien viele, viele Menschen geben wird, die in der gleichen Lage sind, geholfen, meine Situation einzuordnen als auf diesem Planeten nichts besonderes.

Jetzt bin ich natürlich in einer viel besseren und bequemeren Lage und es geht nur darum, ob ich der Dame wegen wieder raufgehe und mein Gebiß einsetze, oder ob ich mir in meinem doch ein wenig privaten Bereich erlaube, mein Müsliding so durchzuziehen, wie ich es mir besonnen und wohlüberlegt zurechtgelegt habe. Aber entspannter bin ich, wenn ich ein passendes Bild dafür habe, und Gott(oderwemauchimmer)seidank fällt mir der deutsche Kabarettist Wolfgang Neuss ein, der im Alter ohne jeden Genierer seine physisch zahnlosen, aber inhaltlich ungemein bissigen Interviews gegeben hat. Ja! Danke! Solche Leute braucht jedes Land! Nicht diese faschistoiden Volltrottel und neoliberalen, schnöseligen Windbeutel oder die rechtlich  wohlerworbenen Sesselfurzer! Ja! Jetzt geht es! Ja! Jetzt bin ich auf mich, mein Leben und meine Zahnlücken stolz! Auch wenn ich nie die Frechheit des Neuss mein eigen nannte und er einiges war und ich nichts. („Jeder hat sein eigenart, der eine zirpt, der andre sparrt“ ich glaube: Ludwig Senfl) Wurscht! Völlig wurscht! Ich wündse euff einen sönen Tag!

Ah! Das Gemüse-Obst-Problem habe ich so gelöst: wie beim Käsebrotfrühstück habe ich mir einen Teller mit Gemüse, heute konkret mit Paprika, Radieschen, Gürklein, Ruccolablätter, Vogerlsalat hergerichtet und einen Obstteller mit klugen Äpfelchen (Anspielung: Werner Herzog, Kaspar Hauser), Weintrauben, Nüssen. Und habe pro Löffel Müsli abwechselnd von dem einen und beim nächsten Löffel vom anderen Teller genommen. Hat wunderbar geschmeckt.


Als Bonustrack ein paar Neusszitate:

„Man muß das Grundgesetz vor seinen Vätern schützen und die Verfassung vor ihren Schützern.“
„Nieten sind wichtig, damit wir das Schiff wieder klar kriegen.“
„Eine Frage schwirrt mir durchs Hirn: kann man so geschickt schweigen, dass man verstanden wird?“
„Leben wir noch in der Nachkriegszeit oder schon wieder in der Vorkriegszeit?“ (1949)
„Zur Produktion des Schriftstellers gehören nicht nur Bücher, sondern auch Gedanken.“











(8.11.2019)













©Peter Alois Rumpf,  November 2019  peteraloisrumpf@gmail.com


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