1550 Flucht aus der Bedrängnis
Die Katze kratzt immer wieder an meiner Tür, weil ich sie
nicht in mein Zimmer lasse (sie: Durchfall, und ich: aus ganz anderen Gründen:
verstört). Es fällt mir schwer, so kaltblütig zu handeln, aber allmählich
kommen auch mein verleugneter Sadismus und meine versteckte Machtgeilheit ein
wenig zum Vorschein. Wobei die Macht über eine Katze auszuspielen schon
ziemlich mickrig ist. Oh mein Gott! (oder wer oder …) in welches Abseits habe
ich mich manövriert? Wegen der Nachwirkungen meiner unzähligen Albträume heute
Nacht kann ich auch nicht darüber lachen (Normalerweise kann ich das). Die
Katzenscheiße stinkt sogar durch die geschlossene Tür herein.
Warum glaube ich, daß der Vorname des
Wonderfull-World-Amstrong Tony oder Antony ist? Flucht aus der Bedrängnis ins
Einschlafen, aber dort lauern die Albträume. Hier lauern Katzenscheiße und
Vertreibung.
Dreimal krähte die Krähe, die ersten zweimal klingt es wie
dadadada, dann erst gelingt es meinem Gehör, sich ordentlich einzustellen, so,
wie es sich gehört (!) und ich höre endlich die Krähe krahkrahkrahkrah rufen.
Eindeutig eine Veränderung an meinem Gehör, nicht an den Krähenrufen!
Eigenartig: wenn ich die Augen schließe, wird es hell, wenn
ich sie öffne, ist es finster. War das sonst nicht immer umgekehrt?
Ich will meinen nach vorne gekippten Kopf heben, da
durchzucken mich Schmerz und großer Schrecken, als könnt ich tatsächlich meinen
Kopf verlieren, aber: anscheinend lebe ich in einem großen Haus mit Garten.
Seit zwei Stunden kämpfe ich ums Aufstehen. Diesmal ist es
keine Frage von Lust und Laune, sondern ich bin in diesem
Schlaf-Traum-Wach-Zwischenreich wie gelähmt. Ich wollte um acht Uhr frühstücken
(Zeitpunkt, da die Küche menschenleer gewesen wäre), aber es war nichts zu
machen. Nicht einmal zum Schreiben (und dann wieder weiterschlafen) bin ich
hochgekommen. Ich konnte mich gegen mich (?) nicht durchsetzen. Wie gelähmt war
ich gefangen, den Traumfetzen ausgeliefert, meine Beine steif und schmerzend.
Ein hochmodernes Universitätsgebäude, das ich orientierungslos durchstreife,
auf der Suche nach der Vorlesung, die ich besuchen muß und schon zu siebzig
Prozent verpaßt habe, um wenigstens den Professor ansprechen zu können und mich
für mein Versäumnis zu entschuldigen und zu fragen, wie es jetzt mit mir und
meiner Prüfung weitergehen kann. Aber der Trakt ist überschwemmt. Auch im
dritten Stock fließt am Gang ein regelrechter und nicht zu kleiner Bach durchs
Gebäude. Dann öffne ich die Tür zum Hörsaal, in dem ich die gesuchte Vorlesung
vermute, auch da steht das Wasser bis über die Knöchel und es sind keine
Studenten da, eigentlich auch keine Möbel, ein leerer weißer Raum, in dem drei
Professoren im Wasser stehen und irgendwas besprechen. Der gesuchte ist –
glaube ich – nicht dabei, ich erkenn nur den Liturgieprofessor Philipp de la
Fontaine Graf d'Harnoncourt-Unverzagt, aber den suche ich nicht.
Also wie sie weggehen frage ich doch einen von den zwei
unbekannten, nach meiner Zeit an die Uni gekommenen, nämlich den mit den zwei
Flinserl im linken Ohr, wo meine Vorlesung … jedoch antwortet er gar nicht bis
unklar, undeutlich, leise – ich bin so orientierungslos wie zuvor.
Wie ich bis zum gelähmten Wachzustand hochkomme, ist mir
fast schlecht und ich bin sehr verstört, nichteinmal die drei Professoren im
Wasser können mir ein inneres Lachen auslösen. Alle meine Traumfetzen sind
harmlos-schrecklich. Selbst eine Frau, die sich in der U-Bahn mir gegenüber
setzt und ihr Kleid lüftet, kann mich nicht erheitern, nicht erfreuen, kann mir
nicht helfen, meinen inneren Schrecken und meine äußere Lähmung aufzulösen.
Nach zwei Stunden schaffe ich es wenigstens in den
Schreibzustand: im Bett, aber in der Lage, Notizen zu machen. Es wird so gegen
halb zehn sein, ich habe mich gestern schon um einundzwanzig Uhr hingelegt.
Jetzt bin ich soweit wach und stabilisiert, daß ich
ernsthaft ans Aufstehen denken kann. Halb elf.
(18.10.2019)
©Peter Alois Rumpf, Oktober 2019
peteraloisrumpf@gmail.com
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