3956 Zacken und Schlieren
0:41 a.m. Mein Smartphone düdelt. 0 Grad Celsius soll es draußen haben. Zum Lesen bin ich schon zu müde, zum Schlafen noch nicht müde genug. Mein Geist will ausbüxen und sich in wilde, gewalttätige Phantasien stürzen, aber ich halte dagegen, wiewohl er kaum zu bändigen ist. Eine leichte Gereiztheit und Ungeduld meine ich zu verspüren, ja, beinahe soetwas wie einen körperlichen Tatendrang. Aber um diese Zeit kann ich doch nichts tun. Für eine Nachtwanderung bin ich zu faul. Dann werde ich doch schlafen versuchen.
9:13 a.m. Die Holzvögel schaukeln an ihren Plastikfäden. Eine Zedee steckt schief im Gestell. Graues Morgenlicht hängt gelangweilt im Zimmer. Die frankophone Schweizerin bringt sich ins Wahrnehmungsspiel, aber dann zerbröselt sie vor meinen Augen und wird schemenhaft. Die mächtige Bücherwand wirkt heute besonders stark und eindrucksvoll. Die Bücher dort los- und ihrem Schicksal zu überlassen wird mir schwerfallen (ich nehme ihm seine ständig hervorgehobene Liebe zu Büchern nicht ganz ab! - der innere Kritiker). Ich denke über die ziemlich zufällige Ordnung der Bücher nach und ob da eine unbewußte, verdeckte Absicht erkennbar ist (warum zum Beispiel steht der Denzinger-Hünermann so nahe bei den Castaneda-Bänden?). Mein Kopf beginnt unwillkürlich zu wackeln. Dann beruhigt er sich wieder. Die Wellen eines Schlages unten im Vorzimmer vermutlich gegen die Wand oder die Sitzbank spüre ich durch meinen Schädel laufen. Ein undeutlicher, unspezifischer Alarm platzt in meine Leibesmitte. Keine Ahnung, wovor er mich warnen will. Ich beneide tüchtige Leute (aus der Ferne). Ein Cousin meines Vaters taucht in einer Szene in meine Gedanken auf, eine Erinnerung, aber ich bleibe ein Underdog. Und sein Sohn hat eine gewisse Ähnlichkeit mit meiner Großmutter im Gesicht, was mir jetzt erst auffällt (Achtung! Stimmt nur, wenn er sich an die Gesichter richtig erinnert! - der innere Kritiker). Ich wende meinen Blick von der frankophonen Schweizerin, die inzwischen wieder kompakter geworden ist, ab und lenke ihn auf die Bilder auf der Kastenwand am Fußende, die abseits vom Fenster weniger Morgenlicht erhalten und deswegen dunkler erscheinen. Das Kratzelbild zieht meine Aufmerksamkeit an sich, weil es Licht aus sich in diese dunkle Ecke zu leiten scheint. Aber jetzt tanzen Zacken und Schlieren vor meinen Augen und es wird Zeit.
(11.2.2025)
©Peter Alois Rumpf Februar 2025 peteraloisrumpf@gmail.com
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