2309 Die Reise
Über das Reisegepäck habe ich komplett die Übersicht
verloren. Wo liegt was herum? Wieviele
Zimmer haben wir belegt? Was von dem herumliegenden Gewand gehört uns? Wer
aller sind „wir“? Warum mußte ich auch die Musikanlage auspacken, nur wegen
einem Song, den ich unbedingt vorspielen wollte, den Anwesenden unauffällig
unterjubeln, in der Hoffnung, dass er ihnen gefallen wird, dass sie diese Musik
so berührt wie sie mich berührt. Der Song ist aber gar nicht angekommen, wurde
gar nicht gehört. Wer hat da alles mit Drähten umwickelt? Soweit ich mich
erinnern kann, war das nicht ich. Aber sicher bin ich mir nicht. Verdammt, ich
krieg sie nicht runter! Wie bekomme ich das Zeugs auf? Angefangen hat die Reise
in Griechenland zu Fuß und mit drei fremden Kindern, die auch verloren gegangen
sind. Ich nehme sie mit nach Hause, wo wir hoffen, dass sie ihre Eltern, ihren
Ursprung oder ein besseres Leben finden. Ich war völlig ohne Geld, weil ich
alles verloren oder vergessen hatte; barfuß machte ich mich mit den Kindern auf
den Weg. Ich versuchte wegen der Orientierung nicht allzuweit von der Küste
abzukommen, obwohl das der längere Weg ist, aber wenn ich konsequent die Küste
entlang wandere, muß ich irgendwann in
Triest/Trst oder Rijeka/Fiume ankommen. Das wird Monate dauern, ich weiß. Aber
im Landesinneren fürchte ich mich zu verirren. So hat die Reise begonnen. Und
jetzt: ich finde den ganz großen Koffer nicht und nicht die Schachtel für die
Musikanlage. Mehrere andere Koffer stehen herum. Wir sind in einem abgewohnten
Hotel, irgendwo, keine Ahnung. Hoffentlich ist es nicht zu teuer. Mein Vater,
der jetzt auch da herumhängt, ist mir absolut keine Hilfe. Er gibt auf meine
Fragen keine Antworten und redet überhaupt nicht mit mir. Stur und angfressen
schaut er mich gar nicht an, ignoriert mich. Wo sind meine Töchter? Gerade war
noch eine da. Ich schussel herum und die Situation wird immer chaotischer.
Müssen wir nicht bald zum Bahnhof? Wo sind die fremden Kinder, die ich in
Griechenland aufgegabelt habe und denen ich versprochen habe, sie zu ihren
Eltern und nach Mitteleuropa zu bringen? Jetzt sind meine eigenen Kinder da,
aber wo treiben sie sich herum? Ich zerre und reiße an den verdammten Drähten,
mit denen alles, aber wirklich alles sorgfältig umspannt ist, und bekomme sie
nicht auf. Ich schaue mich nach irgendeinem brauchbaren Werkzeug um,
vergeblich. Das Funsellicht hier in diesem grindigen Hotel ist auch wirklich
schlecht. Aus meiner Musikanlage tropft Wasser – wie ist das möglich? Die wird
doch nicht an die Wasserleitung angeschlossen sein! Ich hebe sie hoch. Nein. Wo
kommt das Wasser her? Verdammt noch mal! Meine geliebte Musikanlage wird dann
wohl kaputt sein. Jemand aus dem Off (männliche Stimme) meint, dass im Hotel
eine Wasserleitung geplatzt sein könnte. Das kommt mir noch am plausibelsten
vor. Und nun fällt tatsächlich der Strom aus. Kein Licht. Ich sehe gar nichts
mehr. Eine Zange zu finden brauche ich gar nicht erst versuchen.
(30.6.2021)
©Peter Alois Rumpf Juni 2021
peteraloisrumpf@gmail.com
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]
<< Startseite