Mittwoch, 30. Juni 2021

2309 Die Reise

 

Über das Reisegepäck habe ich komplett die Übersicht verloren. Wo liegt was herum? Wieviele  Zimmer haben wir belegt? Was von dem herumliegenden Gewand gehört uns? Wer aller sind „wir“? Warum mußte ich auch die Musikanlage auspacken, nur wegen einem Song, den ich unbedingt vorspielen wollte, den Anwesenden unauffällig unterjubeln, in der Hoffnung, dass er ihnen gefallen wird, dass sie diese Musik so berührt wie sie mich berührt. Der Song ist aber gar nicht angekommen, wurde gar nicht gehört. Wer hat da alles mit Drähten umwickelt? Soweit ich mich erinnern kann, war das nicht ich. Aber sicher bin ich mir nicht. Verdammt, ich krieg sie nicht runter! Wie bekomme ich das Zeugs auf? Angefangen hat die Reise in Griechenland zu Fuß und mit drei fremden Kindern, die auch verloren gegangen sind. Ich nehme sie mit nach Hause, wo wir hoffen, dass sie ihre Eltern, ihren Ursprung oder ein besseres Leben finden. Ich war völlig ohne Geld, weil ich alles verloren oder vergessen hatte; barfuß machte ich mich mit den Kindern auf den Weg. Ich versuchte wegen der Orientierung nicht allzuweit von der Küste abzukommen, obwohl das der längere Weg ist, aber wenn ich konsequent die Küste entlang wandere,  muß ich irgendwann in Triest/Trst oder Rijeka/Fiume ankommen. Das wird Monate dauern, ich weiß. Aber im Landesinneren fürchte ich mich zu verirren. So hat die Reise begonnen. Und jetzt: ich finde den ganz großen Koffer nicht und nicht die Schachtel für die Musikanlage. Mehrere andere Koffer stehen herum. Wir sind in einem abgewohnten Hotel, irgendwo, keine Ahnung. Hoffentlich ist es nicht zu teuer. Mein Vater, der jetzt auch da herumhängt, ist mir absolut keine Hilfe. Er gibt auf meine Fragen keine Antworten und redet überhaupt nicht mit mir. Stur und angfressen schaut er mich gar nicht an, ignoriert mich. Wo sind meine Töchter? Gerade war noch eine da. Ich schussel herum und die Situation wird immer chaotischer. Müssen wir nicht bald zum Bahnhof? Wo sind die fremden Kinder, die ich in Griechenland aufgegabelt habe und denen ich versprochen habe, sie zu ihren Eltern und nach Mitteleuropa zu bringen? Jetzt sind meine eigenen Kinder da, aber wo treiben sie sich herum? Ich zerre und reiße an den verdammten Drähten, mit denen alles, aber wirklich alles sorgfältig umspannt ist, und bekomme sie nicht auf. Ich schaue mich nach irgendeinem brauchbaren Werkzeug um, vergeblich. Das Funsellicht hier in diesem grindigen Hotel ist auch wirklich schlecht. Aus meiner Musikanlage tropft Wasser – wie ist das möglich? Die wird doch nicht an die Wasserleitung angeschlossen sein! Ich hebe sie hoch. Nein. Wo kommt das Wasser her? Verdammt noch mal! Meine geliebte Musikanlage wird dann wohl kaputt sein. Jemand aus dem Off (männliche Stimme) meint, dass im Hotel eine Wasserleitung geplatzt sein könnte. Das kommt mir noch am plausibelsten vor. Und nun fällt tatsächlich der Strom aus. Kein Licht. Ich sehe gar nichts mehr. Eine Zange zu finden brauche ich gar nicht erst versuchen.

 

(30.6.2021)

 

©Peter Alois Rumpf   Juni 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

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