Montag, 16. Dezember 2024

3908 Pinocchio

 



1:44 a.m.  Draußen geht der Wind, ein Sturm vielleicht, mir ist im Bett kalt und bei geschlossenen Türen und Fenstern zieht es herein. Ich spüre den Luftzug in meinem Gesicht und auf meinen kalten Händen.

Ich lese ein Buch, das ich nicht wirklich verstehe, aber aufhören kann ich trotzdem nicht. Ich überlege: bin ich zu müde? Zu dumm? Ist es schlecht übersetzt? Oder läßt sich der Autor gehen? Ich weiß es nicht. Der Wind heult immer wieder auf, und rüttelt und irgendwo knackt es. Ich weiß auch nicht, ob ich ein Schriftsteller bin, jedenfalls bin ich jemand, der schreibt. Und kommende Woche habe ich einige Arzttermine – nichts Schlimmes, nichts Besonderes – aber ich hasse das. Ich mag es nicht! Sich diesen Ritualen unterwerfen zu müssen – ich komme mir dabei machtlos und wie ein Strichjunge vor. Allein schon die Definitionsmacht über mich zuzulassen (zum Beispiel: Depression; dabei bräuchte ich nur Anerkennung und mehr Geld), nein, ich habe keine Selbstwertressourcen, auf die ich zurückgreifen kann. Und jetzt im Alter kann ich mir auch keine Hoffnung machen, mir noch ein solches Reservoir aufbauen zu können. Nein, ich werde ohne den Status der Selbstverständlichkeit mein Leben zu Ende führen müssen. Freilich habe ich auch so den einen oder anderen Gedanken, die eine oder andere Erinnerung, den einen oder anderen Moment, an die ich mich festzuhalten versuche, aber im Grunde weiß ich, dass das alles – auf mich bezogen – Illusionen sind.

Selbst der mobile Holzrabe vorm Fenster schaukelt ganz leicht; dabei ist er durch zwei Fensterscheiben und ein Rollo vom Sturm draußen getrennt. Fast feierlich dreht sich der Rabe hin und her. Oh! Jetzt hat er auch noch eine schwach leuchtende, weißliche Aura und seine Bewegungen werden deutlicher und stärker. Schon ein bißchen unheimlich, als würde er tatsächlich davonfliegen wollen (die Heizung heizt schon seit vielen Stunden nicht mehr – Aufwärme kann es also nicht sein. Mein Atem kann es auch nicht sein, dafür ist er zu weit weg – das sind schon ein paar Meter). Jetzt donnert wieder ein Windstoß über das Haus und rüttelt fest am Dachgestühl. (Bei Pinocchio muß ich immer an einen mißbrauchten Knaben denken: diese Lähmung, diese Erstarrung, die Bewegungsunfähigkeit aus sich heraus – nur von wegen bewegliche Holzfiguren, die lebendig werden und wegen des heutigen Albertinabesuchs zu Mittag (u.a. Jim Dine).)

Der Rabe scheint regelrecht einen Tanz aufzuführen, da an seinen Nylonschnüren.


(16.12.2024)


©Peter Alois Rumpf Dezember 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

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