890 Ich muß gut zu mir reden
Gestern Abend in der Arbeit im Callcenter hat es angefangen.
Eine leichte Übelkeit, leichte Probleme mit der Wahrnehmung, leichtes
Verschwimmen des Gesichtsfeldes. Die monotonen Klingelgeräusche im Kopfhörer,
das Starren auf den flimmernden Bildschirm mögen so eine leichte
Wahrnehmungsverschiebung vielleicht etwas fördern. Irgendetwas stimmte nicht
ganz, aber alles schien noch im grünen Bereich. Den Heimweg bin ich langsam und
bedächtig gegangen.
Zu Hause dann um zehn Uhr abends ist es losgegangen:
heftigste Übelkeit, Wahrnehmungsstörungen, als wäre ich auf einem schlechten
Trip. Panikattacken, die ich gerade noch so halbwegs abbremsen konnte, daß ich
nicht einfach aus Angst losschreie. Aber auch dafür wäre ich zu schwach
gewesen. Ich wußte nicht ob sitzen oder liegen, beides löste große Angst und
Übelkeit aus: beim Sitzen konnte ich mich nicht aufrecht halten, beim Versuch
mich hinzulegen Panik vorm Untergehen. Ich glaubte, mein letztes Stündlein hat
geschlagen.
Zuerst dachte ich an eine Herzgeschichte. Aber ich spürte
kein Ziehen, keinen Schmerz beim Herzen und mit dem linken Arm schien alles in
Ordnung zu sein. Habe ich etwas Schlechtes gegessen? Eher nicht. Es fühlte sich
nicht wie verdorbener Magen an. Kein Durchfall, die Übelkeit spürte ich auch im
Bauchbereich, aber anders als bei verdorbenem Magen. Obwohl es so ein heftiges
körperliches Phänomen war, vermutete ich eher etwas Psychisches, denn es war
ein Gefühl, sich aufzulösen. Außerdem fiel mir ein, daß mir schon ein paar Tage
vorher, beim Anschauen eines alten Familienvideos, schlecht wurde und ich vom
Film weggehen und mich hinlegen mußte, weil ich es nicht aushalten konnte, mich
da agieren zu sehen: wie ich mich bewege, wie ich rede, wie ich mit meinen
damals noch kleinen Kinder umtue: ich hielt mich selbst nicht aus.
Also jetzt wieder, aber viel heftiger. Ich nehme einen
Gegenstand und presse ihn gegen meinen Bauch, um mich wieder etwas zu zentrieren.
Das brachte ein bißchen Erleichterung, so viel, daß ich wieder etwas klarer
denken konnte. Schließlich ließ ich mir einen Kübel bringen – an Aufstehen und
Herumgehen war nicht zu denken – alllles drehte sich – und ich stecke den
Finger in den Hals um den Reflex des Erbrechens auszulösen, der, so viel mir
ein, oft geholfen hat.
Ich erbrach ein wenig (übrigens von eigenartigem Aussehen
und Konsistenz - ekelempfindliche Gemüter bitte nicht weiterlesen! - Weder sah
das aus wie der übliche halbverdaute Nahrungsbrei, auch nicht wie das grüne
Zeugs, das hochkommt, wenn nichts mehr im Magen ist, sondern es sah eher so aus
wie das, was Katzen auskotzen, wenn sie Gras gefressen haben, nur ohne
Grashalme. Braun wie Scheiße. Soetwas hatte ich noch nie gesehen.) Dieser
ausgelöste Kotzreflex brachte tatsächlich Erleichterung und ich konnte auf die
Toilette wanken. Die Sitzung dort dauerte länger und brachte schließlich noch
mehr Erleichterung. Wichtig: kein Durchfall! Fühlt sich tatsächlich nicht nach
verdorbenem Magen an. Ich wusch mich dann gründlich, so gut es ging.
Alles sehr eigenartig. Jetzt, am Morgen, fühle ich mich noch
immer ziemlich flau, als befände ich mich auf schwankendem Grund (Ergänzung
16.3.: auch heute noch), ich kann jederzeit in die Panik abrutschen. Meine
surrenden Sirenen haben Hochbetrieb und einen anderen, „fetteren“ Ton. Die
Gedanken rasen durch meinen Kopf und manche lösen Angstzustände aus. Ich muß
gut zu mir sein und vor allem: gut mit mir reden.
(14.3.2018/ überarbeitet 16.3.)
©Peter Alois Rumpf März
2018 peteraloisrumpf@gmail.com
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