Freitag, 10. September 2010

63 Schule

Zu Schulbeginn, wenn viele Kinder trotz Interesse an Wissen und am Lernen nervös und ängstlich werden, oder frustriert und zornig, wird es einem wieder bewußt: Schule macht immer noch Angst.
Zu meiner Zeit war es vielerorts noch üblich, jedenfalls aber möglich, Schüler zu ohrfeigen, zu schlagen („ein Schlag in das Genick erhöht das Denkvermögen!“). Vor der Klasse bloßgestellt, verhöhnt, lächerlich gemacht konnte man noch in der Oberstufe werden. Wegen einem vergessenen Malbecher konnte es seitenlange Strafaufgaben geben. Mobbing in der Klasse wurde kaum wahrgenommen. Auch für die, die nicht unmittelbar betroffen waren, ständig eine einschüchternde Atmosphäre.
So ist es mir heute noch unangenehm, ein Schulgebäude zu betreten, trotz der Einsicht, daß mir dort nichts mehr passieren kann.
Heute hat sich das Klima in der Schule verschoben, aber die Angst vor der Schule gibt es noch immer. Der Druck auf die Kinder ist groß. Dabei freut sich beinah jedes Kind auf die Schule, will lernen, Wissen erwerben – aber meistens wird in kurzer Zeit diese Liebe zum Wissen vermindert und gefährdet.
Die Pflichtschule für alle verdankt ihre Entstehung dem Interesse der Obrigkeit, die Untertanen besser steuern zu können – ob man Maria Theresia als Beispiel nimmt oder die Sowjetunion – und diese Intention wird die Pflichtschule trotz aller Reformversuche nicht los.
Dabei gäbe es eine ganz einfache Maßnahme, die die Situation schlagartig verändern würde:
Die vollständige Streichung der Schulpflicht.
Es bleibt nur die Pflicht des Staates, Schulunterricht für alle anzubieten.
Kein Kind könnte mehr gezwungen werden, in die Schule zu gehen, aber jedes Kind hätte das Recht, eine Schule zu besuchen. Ja, jetzt müßten sich die Schulen und Lehrer um die Kinder bemühen; sie würden ihre „Kunden“ nicht mehr zwangsweise vorgeführt bekommen. Es könnten sich ganz verschiedene Schulen im privaten als auch im öffentliche Sektor entwickeln, je nach den Bedürfnissen der Kinder.
Z.B. gibt es Kinder, die durch Konkurrenz und Wettkampf angespornt werden – anderen, sensibleren ist soetwas ein Greuel – sie macht so ein Konkurrenzkampf verkrampft, unsicher, ängstlich. Vielleicht möchten sie auch ihr Wissen zeigen, aber die Liebe zum Wissen für soziale Rangordnung und Herdenmachtspiele zu mißbrauchen, wo man Mitschüler damit bloßstellt, nein, das ist ihnen peinlich und unangenehm. Ohne Schulpflicht könnten sich die zueinanderpassenden Schüler, Lehrer, Schulen viel leichter finden. Ist es dem einen da zu wild, geht er woanders hin, ist es einem anderen hier zu still und fad, sucht er sich eine passendere Klasse. Oder Legastheniker, die vermutlich einen viel ganzheitlicheren, bildhafteren Zugang als andere haben, könnten sich – wenn es denn schon sein muß - stressfreier und ohne herabgesetzt zu werden auf das vorherrschende lineare Denken einüben.
Vermutlich wird die Schulbürokratie aus naheliegenden Gründen mit so einem Vorschlag keine Freude haben. Und daß „die Wirtschaft“ (wer immer das sein soll) aufschreien würde, vermute ich auch. Aber erstens ist die Wirtschaft für die Erfüllung der Bedürfnisse der Menschen da und nicht umgekehrt und zweitens glaube ich, daß die Unternehmen, wenn sie bei der Anstellung von Mitarbeitern nicht sosehr auf Zettel und Zeugnisse schauen, sondern sich ein Bild von der Person machen müßten, letztlich besser fahren würden und ihre Leistungsfähigkeit verbessern.

©Peter Rumpf 2010 peter_rumpf_at@yahoo.de

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]

<< Startseite